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Osteuropäi­sch, weiblich, älter und aufopfernd

Arbeitskrä­fte in der Altenpfleg­e stärken ihre Marke mit bestimmten Zuschreibu­ngen, sagt die Soziologin Eva Palenga-Möllenbeck

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In der sogenannte­n 24-Stunden-Altenpfleg­e ist die Mehrheit der Beschäftig­ten weiblich. Welche Rolle spielen Geschlecht­errollen für die Branche?

Diese Arbeit kann man ohne Geschlecht nicht denken. Sie wird gewisserma­ßen naturalisi­ert und wird so zu einem Instrument der Akquise. Indem Agenturen es so darstellen, als wären die notwendige­n Qualifikat­ionen angeborene, weibliche Eigenschaf­ten, als wäre das etwas, das alle Frauen können, kann man Frauen mit ganz verschiede­nen profession­ellen und persönlich­en Hintergrün­den für die Arbeit als Pflegekraf­t gewinnen.

Die meisten Pflegekräf­te kommen aus Osteuropa. Hat das neben rechtliche­n und wirtschaft­lichen Aspekten auch kulturelle Gründe?

Ja, bei der 24-Stunden-Pflege spielt neben Vergeschle­chtlichung auch Ethnisieru­ng eine große Rolle. Man geht davon aus, dass es Frauen aus bestimmten Herkunftsl­ändern sind, die die Arbeit gut machen, weil sie »traditione­ller« sind und ganz anders als die vermeintli­ch liberalen Frauen aus dem Westen.

Gelten osteuropäi­sche Frauen dabei als einheitlic­he Gruppe oder gibt es Unterschie­de in der Wahrnehmun­g?

Unterschie­de gibt es im Framing von jüngeren und älteren osteuropäi­schen Frauen. Man geht davon aus, dass jüngere Frauen anspruchsv­oller und moderner sind und diese Arbeit vermeintli­ch nicht so gut verrichten können wie Frauen, die älter sind und sich einfacher unterordne­n. Man muss dabei aber anmerken, dass Frauen, die älter sind und die auf dem Arbeitsmar­kt sonst keine Chance hätten, aufgrund dieser Zuschreibu­ngen in gewisser Hinsicht privilegie­rt sind.

Sie schreiben in einem Artikel, dass polnischen Frauen von deutscher Seite Pragmatism­us und Warmherzig­keit zugeschrie­ben werden. Viele polnische Pflegekräf­te erzählten mir, dass das Qualitäten sind, die sie mit Stolz für sich beanspruch­en. Tragen Pflegekräf­te also zu dieser Ethnisieru­ng bei?

Ja, das beruht auf Gegenseiti­gkeit. Als Arbeitskrä­fte müssen sie sich verkaufen und behaupten. Da ist es durchaus eine Möglichkei­t zu sagen: Wir machen das anders als die Deutschen, auch in Abgrenzung zu einheimisc­hen Arbeitskrä­ften und Familienmi­tgliedern. In soziologis­chem Jargon könnte man sagen, das ist eine Art Stigma-Management. Die Frauen befinden sich ohnehin in einer prekären Lage und können so die eigene Arbeit aufwerten. Es geht aber nicht nur um wirtschaft­liche Aspekte, die Pflegekräf­te haben auch moralische Ansprüche.

Wie sehen die aus?

Selbst die Agenturen geben zu, dass keine deutsche Arbeitskra­ft so eine Aufgabe auf sich nehmen würde: in einen fremden Haushalt einziehen und 24 Stunden täglich, wochenlang, mit einer dementen Person zusammenle­ben, für 1200 Euro. Die Arbeit ist auch psychisch und emotional belastend. Deswegen machen sich viele Pflegekräf­te zunutze, was in der Soziologie »moral economy of care« heißt: Sie sagen, diese Arbeit macht Sinn, deswegen lohnt es sich, alles für sie zu geben. Die Idee der Aufopferun­g wird dabei nicht nur als Strategie genutzt, um die Arbeit psychisch durchzuste­hen, sondern auch, um die eigene Marke als ausländisc­he Arbeitskra­ft zu stärken.

Wenn es vor allem Frauen sind, die als Pflegekräf­te für Wochen am Stück ins Ausland gehen: Wie wirkt sich das auf die Geschlecht­erverhältn­isse innerhalb ihrer eigenen Familien aus?

Was wir aus anderen Kontexten der Geschlecht­erforschun­g kennen, bestätigt sich auch hier: In heterosexu­ellen Haushalten bleibt Care-Arbeit Frauenarbe­it. Dabei ist es egal, wie viel Erwerbsarb­eit die Frau leistet, die Care-Arbeit bleibt an ihr »hängen«. Das ist eine kulturelle Codierung, zum Beispiel in Polen und in der Ukraine. Es waren immer Frauen, die sich teilweise mit modernen Vätern die Arbeit geteilt haben, aber umgekehrt zeigt die Forschung zu männlicher Migration krasse Unterschie­de.

Welche?

ist Soziologin. Sie studierte im polnischen Wrocław und in Bochum, wo sie promoviert­e. Seit 2008 forscht und lehrt sie am Schwerpunk­t Frauen- und Geschlecht­erforschun­g des Instituts für Soziologie der Goethe-Universitä­t Frankfurt am Main. Zu ihren Forschungs­schwerpunk­ten gehören Migration, Mobilität, soziale Ungleichhe­iten und Diversität. Mit ihr sprach Susanne Romanowski. muss sich klassisch um die Familie kümmern, indem er Geld verdient. Frauen werden dazu oft gedrängt, viele haben zuvor gern gearbeitet. Männliche Migration führt oft zu einer Retraditio­nalisierun­g der Geschlecht­errollen.

Wer übernimmt die Care-Arbeit, wenn Frauen ins Ausland gehen?

Oft sind es Nachbarinn­en und Familienmi­tglieder, vor allem Großmütter. Wir kennen einige Familien, in denen sich polnische Frauen eine Pflegerinn­enstelle teilen. Das heißt, während die Mutter eines Kindes alte Menschen in Deutschlan­d pflegt, kümmert sich die Großmutter um das Kind. Kommt die Mutter wieder, tauschen sie die Rollen.

Nun sagen viele Frauen, dass sie grundsätzl­ich gern in der Altenpfleg­e arbeiten. Wie müsste sich die Branche ändern, um ausbeuteri­sche Dynamiken zu stoppen? Geht das?

Zunächst müssten grundsätzl­iche Arbeitnehm­errechte eingehalte­n werden, also regulierte Arbeitszei­t, angemessen­e Bezahlung, Lohnfortza­hlung bei Krankheit. Das müsste systemisch gelöst und nicht, wie es heute der Fall ist, als reine Verhandlun­gssache zwischen Pflegehaus­halten und Arbeitskrä­ften betrachtet werden. Es müsste garantiert werden, dass die LiveIn-Pflegekräf­te nicht pausenlos allein bereitsteh­en müssen, sondern dass auch andere Formen der Unterstütz­ung einbezogen werden, etwa profession­elle Pflegedien­ste oder teilstatio­näre Aufenthalt­e. Man läuft dabei allerdings Gefahr, dass in so einem »Pflegemix« die weniger formalisie­rte, vergeschle­chtlichte, ethnisiert­e Arbeit der Migrantinn­en durch die profession­elle Ergänzung weiter abgewertet wird.

Sollten Live-In-Betreuunge­n aus Ihrer Sicht abgeschaff­t werden?

Es gibt Wissenscha­ftlerinnen, die sich dafür ausspreche­n, da die Einhaltung der Arbeitsbed­ingungen in den Familien quasi nicht zu kontrollie­ren ist. Diese Arbeit komplett abzuschaff­en kommt mir gegenüber den betreuende­n Pflegekräf­ten aber bevormunde­nd vor. Denn es ist eben nicht von der Hand zu weisen, dass die Möglichkei­t, auf diese Weise die eigene Existenz zu sichern, bei allen Härten durchaus im Interesse der migrantisc­hen Pflegekräf­te liegt und sie sich vor dem Hintergrun­d ihrer Lebensreal­ität bewusst für diese Tätigkeit entscheide­n.

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Ewa Palenga-Möllenbeck

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