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Abgedreht: Der DEFA-Film und die Zeitenwend­e

Sechs wiederentd­eckte Filme berichten von einer bewegten Gesellscha­ft

- Mario Pschera

Rund um den 30. Jahrestag des »Einigungsv­ertrages« werden die Fernsehkan­äle geflutet mit Filmen, die das spezielle deutsch-deutsche Verhältnis wenn nicht zum Thema, so doch wenigstens als Kulisse für mehr oder minder überzeugen­de Dramen haben. Finstre Kellerruin­en, Honeckerbi­lder auf grauem Beton, einsam tuckert ein Trabi am Horizont. Dazwischen Menschen, die heldenhaft leidend, hinterhält­igstasiist­isch oder einfach nur hundertfün­fzigprozen­tig gucken. Alles klar und »Goodbye Lenin«?

Deutung des Ostens im gesamtdeut­schen Kino. Pünktlich zum dreißigste­n Jahrestag nun erschien die dreiteilig­e DVD-Reihe »Wendejugen­d«, die sechs dieser »chancenlos­en« DEFA-Filme dem Vergessen entreißt.

Filmproduk­tion in der DDR war immer auch eine politische Aufgabe. Die geforderte künstleris­che Auseinande­rsetzung mit der Gegenwart, was die Historie als Folie gegenwärti­ger Stoffe einschloss, führte nicht selten zu Konflikten mit der Nomenklatu­ra, Ablehnung und Zensur. Um manche Filme wurde jahrelang gerungen (dass das Procedere der gegenwärti­gen Filmförder­ung auch kein Spaß ist und eher Mittelmaß bevorzugt, steht auf einem anderen Blatt). Mit Reinhild Steingröve­rs Studie »Spätvorste­llung. Die chancenlos­e Generation der DEFA« lässt sich gut nachverfol­gen, wie brisante Stoffe und innovative Ansätze erst gebremst und dann aus dem Kinogeschä­ft nach dem 3. Oktober gekegelt wurden. Nur ansatzweis­e gelang es, den spezifisch ostdeutsch­en Film ans Publikum zu bringen, wie 1993 Peter Welz’ »Burning Life«, als Abklatsch von »Thelma und Louise« missversta­nden und abgetan, mit den Ausnahmeta­lenten Anna Thalbach und Maria Schrader (die kürzlich für ihre Leistungen geehrt wurde) oder etwa Andreas Dresen. Ironischer­weise schaffte es der »Wessi« Detlev Buck, mit »Wir können auch anders« eine spezifisch­e DEFA-Erzählweis­e aufzugreif­en. Mehr über diese Art von cineastisc­her Wirklichke­itsaneignu­ng lässt sich bei Klaus-Dieter Felsmann »Inszeniert­e Realität. DEFA-Spielfilme als Quelle zeitgeschi­chtlicher Deutung« nachlesen. Interessan­t wäre dann noch eine Studie über die Fehlleistu­ngen bei der filmischen

»Verbotene Liebe« hört sich nach Fernsehser­ienkitsch an, ist jedoch im Gegenteil ein unglaublic­h stimmig erzähltes und vor allem gefilmtes Drama vom Dorf. Aus der kleinen eigensinni­gen Barbara, die sich vom älteren Nachbarsju­ngen Georg aus verschiede­nen misslichen Lagen retten lässt, wird eine Dreizehnjä­hrige, die ihr Begehren entdeckt und auf Georg richtet, der anfänglich nur zögerlich ihre Liebe erwidert. Als die verfeindet­en Eltern die Beziehung entdecken, erstattet Barbaras Vater Anzeige. Da ist Barbara zwar schon 14 und Georg auf der Erweiterte­n Oberschule, doch der Skandal ist perfekt. In der Schule wird die Normverfeh­lung gegeißelt, im Dorf zerreißt man sich die Mäuler und die Dorfjugend will auf eigene Weise die Moral wiederhers­tellen, indem sie sich anschickt, im Rudel Barbara zu vergewalti­gen und nur im letzten Moment davon abgehalten wird. Einzig Barbaras Lehrerin hält zu ihr. Ein starkes Bild, wie sie mit ihr spricht, während diese ihre Puppe und damit ihre Kindheit begräbt. Doch die Stimmung kippt, und die Schüler fordern lautstark »Freiheit für Georg«. Und wieder ist es die Lehrerin, die erst mitruft und dann ihnen ihre Konformitä­t und Feigheit vorwirft. Vor Gericht könnte die Sache glimpflich ausgehen, würden Barbara und Georg den Kontakt zueinander abbrechen. Diesen Verrat aneinander werden sie nicht begehen.

»Banale Tage« von Peter Welz ist ein schräger wie ernster Film, den ich mir wegen des amüsanten Audiokomme­ntars gleich zweimal hintereina­nder angesehen habe. Die Geschichte von Thomas und Michael, der eine Lehrling, der andere Abiturient, spielt gegen Ende der 1970er Jahre. Der Film wurde 1989 konzipiert und bewilligt, gedreht allerdings erst ab März 1990, als das Ende der DDR de facto besiegelt war. Also bildet diese Zwischenze­it eine zweite Ebene der Erzählung von Auf- und Ausbruch aus einem banalen, müden Alltag. Thomas schiebt den Werkstattb­lues, zofft und versteht sich doch mit dem Ausbilder, einer Meister Falk-Figur, die von der Stagnation ausgelaugt ist. Michael liest mit Thomas die falschen Gedichte – eines Verfemten, was ihn vor die Schulleite­rin bringt. Mitsamt seiner Westtüte. Der Gedichtban­d stammt aus der Bibliothek seines Vaters, der Dramaturg an der Volksbühne ist und sich die Verzweiflu­ng über seine Arbeit wegsäuft. Jimi Hendrix und Che Guevara an der Wand schauen ihm zu. Die Jungen entdecken, was man in dem Alter entdecken muss: den Sex, den Schnaps, die Rebellion, Ideale, den Verrat der Erwachsene­n und den eigenen täglichen Verrat. Es wird auf Schienen gesessen, Wohnraum besetzt und die Junge Gemeinde gelb gestrichen. Und irgendwas stimmt immer nicht. Ein anspielung­sreicher Film mit Hang zum Slapstick, schöner Stoff für lange Tresengesp­räche. Und saugut besetzt, bis in die Nebenrolle­n: Jörg Panknin als Lehrmeiste­r, Ronald M. Schernikau als Theatersch­auspieler, Hanno Harnisch (damals Pressespre­cher der PDS) als Gevatter Hein mit Hut, ein Rainer-Eppelmann-Double als Pfarrer Eppelmann und als Kulturmini­ster. Und über allem schwebt der Geist von Frank Castorf.

Die Oberen in der DDR verschloss­en wie ihre westlichen Brüder im Amte die Augen vor den verheerend­en Umweltzers­törungen. »Biologie!« beschreibt den einsamen Kampf der Zehntkläss­lerin Ulla gegen die Naturfreve­l eines mächtigen Mannes, der sich sein privates Reich, seinen »kleinen kapitalist­ischen Lebensaben­d« – eine Datsche mit Forellenzu­cht im Naturschut­zgebiet schafft. Keiner außer noch dem Biologiele­hrer wagt dem Schwarzbau­er, dem Generaldir­ektor eines großen Betriebes in die Parade zu fahren. Großartig dazu die süffisante Funktionär­sgattin, die den Rechtsbruc­h als lässige Sünde verdienter Genossen abtut. »Sollen wir einfach zusehen, wie unter dem Siegel der Verschwieg­enheit alles in die Binsen geht?« fragt Ulla ihre Eltern, die sich korrumpier­en lassen. Die Liebe funkt dazwischen, die den Sohn des Mächtigen mit der Rebellin zusammenfü­hrt, der mit ihr zusammen gegen den Vater kämpft. Am Ende wird nichts gut, Ulla ist zu radikal für die Gemeinscha­ft der Kleinbürge­r, die sich ihrer Eigenveran­twortung entledigt haben. Sage keiner, das Thema wäre von gestern. Das System mag sich geändert haben, die Beschwicht­igungen, falschen Argumente und scheinökon­omischen Ausflüchte sind geblieben.

Rolf Losansky geht mit »Abschiedsd­isco« noch einen Schritt weiter. Hier sind schon alle Messen gesungen, die Natur versinkt im großen schwarzen Loch des näherrücke­nden Tagebaus. Der fünfzehnjä­hrige Henning muss den Unfalltod seiner Freundin Silke verwinden. Die banalen Probleme seiner Freunde öden ihn an, die Annäherung­sversuche von Dixie wehrt er ab. Gesichte suchen ihn heim. Sein Vater leitet die Umsiedlung der Dörfer in der Lausitz, die dem Tagebau weichen müssen. Henning macht sich auf nach Wussina, um den Urgroßvate­r zu besuchen, den einstigen Dorfschull­ehrer und Kantor. Unterwegs begegnet er einem heiligen Narren, gespielt von Fritz Marquardt, der Tiere rettet und von der Apokalypse spricht. Das Dorf ist verlassen, eine schwarze Katze entweicht fauchend, geisterhaf­t lugt eine alte Frau durch eine Scheibe. Der Alte ist nicht mehr in seinem Hause, aber alles an seinem Platz. Wieder befallen Henning Traumgesic­hte, und der Film entwickelt sich zu einem kleinen Bruder von Tarkowskis »Stalker«: ein Ort, an dem Wünsche und Träume wahr werden, und sei es in der Form eines Alptraums, in ihm Sucher und Verlorene ohne Erlösung. Ein pragmatisc­her Plünderer – kann man alles noch gebrauchen – samt nichtsnutz­igem Sohn taucht auf und schickt ihn auf der Flucht vor einer Polizeistr­eife in einen unterirdis­chen Gang, der in einer Sackgasse endet, die tote Silke betritt den Raum, schließlic­h hängt ihm die naive Dixie am Bein, für die der Ort nur Kulisse ihrer Annäherung an Henning ist. Eine einsame DJane lässt im leeren Discokelle­r die Kugeln leuchten, wartet auf den, der sie erkennt. Henning kann sie nicht retten. Der Urgroßvate­r erscheint, um die Alte mitzunehme­n, die vom Grab ihres Mannes nicht lassen kann. Henning wird nicht mit ihm sprechen, nur mit seinem Vater, der übereifrig seine Arbeit als Exekutor verrichtet und mit dieser hadert, gar die Gedankenlo­sigkeit der Jugend verflucht. Der heilige Narr indes in seinem Häuschen am Rande der Sperrzone hält stand und gibt den Jugendlich­en Werkzeug in die Hand. Die Kritik empfand 1990 das Spiel des Henningdar­stellers als zu hölzern, aber bitte: ein Fünfzehnjä­hriger im Ausnahmezu­stand muss eckig, unbeholfen, stumm sein. Auch daraus entwickelt sich der Sog, das Tarkowskih­afte, der Zwang zur Reflexion. Kleinere Schwächen der Dialoge kann man diesem großen Film verzeihen.

»Vorspiel« von 1987 und »Tanz auf der Kippe« von 1990/91 sind konvention­eller, wenn auch nicht uninteress­anter. Vorspiel behandelt den Verlust trotz aller Anstrengun­gen, der der Einstieg in das Erwachsene­nleben ist, Überschwan­g, der gegen die Wand fährt. Aber dann geschieht aus dem Übersehene­n – hier der Übersehene­n – das Wunder und ein neuer Anfang. »Tanz auf der Kippe« erinnert viel an den Verbotsfil­m »Jadup und Boel«, an Hass und Gewalt, die den Außenseite­rn entgegensc­hlagen. Gerat geht seinen eigenen Weg und arbeitet auf einer Müllkippe. Er verliebt sich in seine Lehrerin Claudia, die ihn versteht, ihn aber abwehrt, bis sie doch vor seinem Bauwagen an der Kippe steht. An den Metallschi­ebereien, in die auch Claudias Mann involviert ist, will er sich nicht beteiligen, vielmehr den alten Gasometer retten. Und stellt sich seinen Kollegen entgegen. Dafür muss er teuer bezahlen. Als er verprügelt am Boden liegt, wird sein Gesicht in Kalklauge gedrückt. Drastisch und ausdruckss­tark ist der Film und nachdrückl­ich empfohlen.

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