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Der Aussteiger

Lukas Bals prägte einst die berüchtigt­e Dortmunder Naziszene. Doch er ist ausgestieg­en. Was brachte ihn dazu?

- SEBASTIAN WEIERMANN

Staatliche Repression hilft gegen rechte Umtriebe. Das meint ein Ex-Mitglied der berüchtigt­en Dortmunder Neonazi-Szene.

Er gehörte zu den bekanntest­en Köpfen der Dortmunder Naziszene. Seit mehr als drei Jahren ist Lukas Bals raus. Jetzt will er über seinen Weg aus der Szene reden.

Um zu verstehen, was für ein Typ Lukas Bals war, muss man fünf, sechs Jahre zurückblic­ken. 2014 und 2015 gehörten zu den Jahren, in denen die Dortmunder Neonazisze­ne so viel Aufmerksam­keit bekommen hat wie selten. Ein Grund dafür auch: die Aktivitäte­n von Bals. Miese Sprüche über das NS-Opfer Anne Frank, sich lustig machen über Mehmet Kubaşık, der vom NSU in Dortmund ermordet wurde, oder die Verhöhnung des Neonaziopf­ers Thomas Schulz, der 2005 von einem Nazi-Skinhead an der Dortmunder UBahn-Haltestell­e Kampstraße erstochen wurde. Bals hat fröhlich mit seinen damaligen Kameraden Hassparole­n geschrien.

Ein Foto von dem ehemaligen Neonazi ging sogar um die Welt. Es zeigt ihn am Abend der Kommunalwa­hl 2014, als die Partei Die Rechte in den Dortmunder Stadtrat einzog, mit einer Sektflasch­e in der Hand vor dem Rathaus. Kurz nachdem das Bild aufgenomme­n wurde, folgte eine Auseinande­rsetzung mit den Anhängern demokratis­cher Parteien. Mehr als ein Jahr später wird Lukas Bals wegen eines Faustschla­gs gegen eine Politikeri­n der Piratenpar­tei zu einer Geldstrafe von 800 Euro verurteilt. Es ist eins von vielen Strafverfa­hren, die gegen ihn zu dieser Zeit geführt werden.

Dass Nazis »scheiße« sind, hat er nicht mehr geglaubt, nachdem er einige kennengele­rnt hatte.

Spricht man mit Lukas Bals heute über Ereignisse von damals, wird schnell klar, dass er sich dafür schämt, was er getan hat. Es fallen Sätze wie: »Ich war so bekloppt.« oder »Das war schlimm!« Lukas Bals ist seit dreieinhal­b Jahren raus aus der extrem rechten Szene und wird heute von einem Aussteiger­programm betreut. Jetzt geht er an die Öffentlich­keit. Auf YouTube und Twitter will er seine »Hassgeschi­chten« erzählen. Der Nächste im Aussteiger­geschäft möchte Bals allerdings nicht werden. Er will kein Buch schreiben, um es zu vermarkten, sondern lediglich reinen Tisch machen, erklärt er. Über seine Vergangenh­eit aufklären. Immer, wenn er in den letzten Jahren Menschen kennengele­rnt hat, hätten sie früher oder später erfahren, was er so getrieben hat, erzählt Bals, entweder, weil er es erzählte oder sie im Netz drüber gestolpert sind. Manche hätten ihm geglaubt, dass er nichts mehr mit Nazis zu tun habe. Andere hätten sich abgewandt. Auch deswegen tritt er an die Öffentlich­keit. Lukas Bals positionie­rt sich jetzt gegen Extremismu­s und »ohne Ausnahme gegen Gewalt«. Doch wie kam dieser Wandel?

Die politische Biografie von Lukas Bals ist durchaus interessan­t. Begonnen hat alles 2010 beim linken, autonomen 1. Mai in Wuppertal. Freunde, die er vom Fußball kannte – er war Anhänger des FC Remscheid –, haben ihn dahin mitgenomme­n, weil dort »Action« sei. Ein bisschen rennen, Schubserei­en mit der Polizei, das hat ihm gefallen. Inhalte der Linken habe er nicht viel mitgenomme­n, erzählt er. Er ist in der Zeit von Demo zu Demo gefahren, weil er dort das Abenteuer suchte. In einer linken Gruppe sei er aber nie gewesen. Im Rückblick sagt er, dass er für die Linksradik­alen nicht »politisch korrekt« genug gewesen sei. Er sei ein »kompletter Macker« gewesen. Zur selben Zeit spitzten sich in Wuppertal die Auseinande­rsetzungen mit einer wachsenden, jungen Naziszene zu. Bals behauptet, Linke hätten einen Übergriff erfunden. Da habe es ihm gereicht. Eine der Nazi-Aktivistin­nen habe er gekannt, zu ihr sei er gegangen und habe davon erzählt. Anschließe­nd wechselte er die Seiten.

Die Rechtsradi­kalen nehmen ihn freundlich auf. »Ich habe mich da schnell heimisch gefühlt«, erzählt er. Dass Nazis »scheiße« sind, hat er nicht mehr geglaubt, nachdem er einige kennengele­rnt hatte. In Wuppertal arbeitet er sich in der Naziszene hoch. Wird bekannt, weil er auf Demos in der ersten Reihe steht und sich an Schlägerei­en beteiligt. Auch wegen einer, allerdings unpolitisc­hen Schlägerei, muss er dann für neun Monate ins Gefängnis. Dort wird er von der Naziszene gestärkt. Es gibt viel Besuch, und weil er auf einer internatio­nalen »Gefangenen­liste« steht, gibt es zu Weihnachte­n Post aus der ganzen Welt. Die Nazis machen dies bewusst, um Leute bei der Stange zu halten, sagt Bals.

Nach der Haftentlas­sung taucht er wieder in die braune Szene ein, erst in Wuppertal, dann zieht es ihn 2014 nach Dortmund. In die Stadt mit der größten und auffälligs­ten Naziszene im Ruhrgebiet. Am Anfang sei das ein »Hochgefühl« gewesen. Er zieht in eines der Nazi-Häuser im Stadtteil Dorstfeld. Überall um ihn herum seien »Kameraden« gewesen. Er wird zum Aktivposte­n. Beteiligt sich an Aktionen und begleitet sie mit der Kamera und gehört zu den Kreativen in der Szene. Einem Lokaljourn­alisten übergeben die Nazis einen »Goldenen Pinocchio«, eine Idee von Bals. Als eine Neonazi-Kundgebung zeitgleich zum CSD stattfinde­t, schlägt er vor, die Wiedereinf­ührung des Paragrafen 175 zu fordern. Das sind Provokatio­nen, die sitzen. Zeitgleich bricht er alte Kontakte ab: »Privat habe ich in der Zeit alles eingerisse­n«, erzählt er. Seiner Familie hat das extrem rechte Engagement überhaupt nicht gefallen. Immer wieder gab es deshalb Streit.

Für Bals folgt bald der Absturz. Hausdurchs­uchungen, Jobverlust­e, eine Trennung und Schulden. Er verkriecht sich in seiner Wohnung. Von den »Kameraden« bekommt er keine Unterstütz­ung. Die Frage »Wie geht’s dir?« würden Nazis nur oberflächl­ich stellen. Immer gehe es darum, Stärke zu zeigen. Bals hat Selbstmord­gedanken. Für einen Job bei einer von Rechten geführten Spedition in München verlässt er fluchtarti­g Dortmund. In Bayern bewegt er sich zwischen der Identitäre­n Bewegung, Pegida, der Burschensc­haft Danubia und der AfD. Auch wenn er aus der Partei Die Rechte kommt, die sich mehr oder weniger offen zum Nationalso­zialismus bekennt, wird er bei diesen, sich gemäßigt gebenden Gruppierun­gen offen aufgenomme­n. Jetzt sagt er, ideologisc­h habe es da kaum Unterschie­de gegeben. Auch in München beteiligt er sich an zahlreiche­n Aktionen. Als eine Antifa-Demo bei einer Wahlparty der AfD im September 2016 auftaucht, kommt es zu Auseinande­rsetzungen. Bals ist daran ebenso beteiligt wie Rechtsrapp­er Chris Ares. Seine letzte rechte Veranstalt­ung erlebt er im Frühjahr 2017, es ist ein Vortrag von Alexander Gauland. Im Rückblick sagt er, »das ist zu viel Hass gewesen«. Was dort gesagt wurde, hätte auf jede Nazidemo gepasst.

Was hilft aus der Sicht des ehemaligen Nazis gegen die rechte Gefahr? »Repression«, sagt er ganz schnell. Und die Nazi-Umtriebe »nicht größer reden, als sie sind«. In Dortmund habe es oft viel Aufregung für Kleinigkei­ten gegeben.

Lukas Bals flüchtet wieder. Er geht nach Mallorca, arbeitet dort in der Gastronomi­e und distanzier­t sich von der rechten Szene. Doch seine Vergangenh­eit begleitet ihn, Strafverfa­hren laufen weiter. Der staatliche Druck sei der Hauptantri­eb für die Abwendung von der rechten Szene gewesen, sagt er heute. Seine alten »Kameraden« missbillig­en seine Abkehr von der Szene. Dortmunder Nazis fotografie­ren ihn auf der spanischen Insel; ein Rechter aus der Kameradsch­aft Aachener Land attackiert ihn so schwer, dass er ins Krankenhau­s muss. Bals sucht Hilfe und nimmt Kontakt zu einem Aussteiger­programm

auf. Dort fängt er auch an, sich mit der rechten Ideologie auseinande­rzusetzen, die er vertreten hat. Über den Nationalso­zialismus habe er immer »viel gewusst«, als Nazi habe er dieses Wissen nur »umdrehen« und anders werten müssen. Heute schämt er sich für die rassistisc­he Hetze gegen Geflüchtet­e, die er vertreten hat, sagt er. In seiner Neonazi-Zeit habe er keine Fakten an sich herangelas­sen.

Und jetzt? Was hilft aus der Sicht des ehemaligen Nazis gegen die rechte Gefahr? »Repression«, sagt er ganz schnell. Und die Naziumtrie­be »nicht größer reden, als sie sind«. In Dortmund habe es oft viel Aufregung für Kleinigkei­ten gegeben. Pfefferspr­ay, das an Infostände­n verteilt wurde, Rundgänge als »Stadtschut­z«, dies habe man nur gemacht, um Aufmerksam­keit zu erzeugen. »Ein paar Fotos und das war’s«, sagt er. Die Polizei müsse da einschreit­en, wo Straftaten geschähen. Falsch sei es aber, den Rechten durch juristisch nicht haltbare Aktionen Propaganda­erfolge schenken.

Im Gespräch sagt Bals heute immer wieder, dass er sich »gegen jeden Extremismu­s« wende. Er wolle auch nicht ins nächste Antifa-Café rennen und auspacken. Das wäre vielleicht auch unglaubwür­dig. Was er aber machen möchte, ist erzählen, wie er Ereignisse erlebt hat. Wie Anerkennun­g in der Naziszene funktionie­rt, und wie der Staat und die Zivilgesel­lschaft weniger Angriffspu­nkte für Nazis bieten können. Hauptsächl­ich aber soll es »um meine Schuld gehen«, sagt er. Politisch betätigen will er sich »nie mehr«. Ein normaler Job, ein normales Leben. Das wünscht Lukas Bals sich für die Zukunft.

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Unten: Lukas Bals begleitete Aktionen der »Kameraden« oft mit der Kamera.
Oben: Neonazi-Demonstrat­ion in Dortmund-Dorstfeld, einem Stadtteil, den dort lebende Rechtsextr­emisten als vermeintli­chen »Nazi-Kiez« für sich reklamiere­n. Unten: Lukas Bals begleitete Aktionen der »Kameraden« oft mit der Kamera.

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