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Unbekannt, aber mit Chancen

Die Kreuzberge­rin Bettina Jarasch soll für die Grünen das Rote Rathaus erobern

- RAINER RUTZ

Mit Bettina Jarasch an der Spitze wollen Berlins Grüne in den Wahlkampf ziehen. Ihre Nominierun­g ist ein Kompromiss.

Die Berliner Grünen erfreuen sich konstant hoher Umfragewer­te. Damit das bis zu den Wahlen in einem Jahr so bleibt, hat die Partei jetzt Bettina Jarasch als Spitzenkan­didatin präsentier­t. Problem oder Vorteil: Kaum ein Wähler kennt sie bisher.

»Brückenbau­erin« – immer wieder fällt seit ein paar Tagen diese Umschreibu­ng, wenn von Bettina Jarasch die Rede ist. Wobei dazu gesagt werden muss, dass in der Öffentlich­keit ohnehin erst seit ein paar Tagen vermehrt von Jarasch die Rede ist. Seit vergangene­n Montag weiß man, dass die 51-Jährige aus Kreuzberg Spitzenkan­didatin für die Berliner Grünen bei den Abgeordnet­enhauswahl­en im kommenden Jahr und – so die Pläne der Partei – nächste Regierende Bürgermeis­terin werden soll.

Eine Nominierun­g, die viele überrascht hat. Zwar war die Reala bis vor vier Jahren Grünen-Landesvors­itzende an der Seite von Daniel Wesener vom linken Parteiflüg­el. Die meisten Wähler dürften sich daran aber kaum erinnern, zumal der Landesvors­itz bei den Grünen ein Amt ohne prominente Außenwirku­ng ist. Auch nach ihrem Einzug ins Abgeordnet­enhaus 2016 machte Jarasch nicht allzu häufig öffentlich von sich reden. Außerhalb der Partei und des Berliner Parlaments ist die Abgeordnet­e mit den langen schwarzen Locken daher weitgehend unbekannt. Das zu ändern, ist jetzt Jaraschs Aufgabe. Und weil man in Wahlkämpfe­n besser nichts dem Zufall überlässt, setzt die Partei bei ihrer Kandidatin wohl bewusst auf die Marke »Brückenbau­erin«. Das klingt nach tiefen Gräben und Schluchten in der Gesellscha­ft, die zu überwinden Jarasch in der Lage ist.

Jarasch selbst erklärte bei der Bekanntgab­e ihrer Nominierun­g am vergangene­n Montag dann auch: »Ich bin bei den Berliner Grünen und katholisch. Ich bin eine Reala aus Kreuzberg. Ich bin in Spandau unterwegs gewesen und habe da Bundestags­wahlkampf gemacht, mein Wahlkreis ist in Pankow. Also es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die normalerwe­ise als unvereinba­r gelten.« Das sei bei ihr »kein Zufall, sondern eine Lebenshalt­ung«. Möglichst alle umarmend, aber unverbindl­ich bleibt auch der Slogan, mit dem Jarasch derzeit in den Vorwahlkam­pf zieht: »Eine Stadt. Viele Themen. Alle im Blick.«

Im Gespräch mit »nd« betont Jarasch, dass sie durch ihren Lebenslauf »die Perspektiv­en vieler unterschie­dlicher Menschen« kenne. Tochter eines Augsburger Papiergroß­händlers, Redakteuri­n bei der »Augsburger Allgemeine­n«, Philosophi­e- und Politikstu­dentin an der FU Berlin, selbststän­dige Projektent­wicklerin für ein Familienze­ntrum im Wedding, zwischendr­in auch mal arbeitslos gemeldet: »Ich habe nicht nur in der Politblase gelebt und gearbeitet«, sagt Jarasch.

Die Betonung liegt indes auf »nicht nur«. Schließlic­h mischt die Mutter von zwei Teenagern schon lange im Politbetri­eb mit. Bevor sie 2009 bei den Grünen eintrat, war sie neun Jahre Referentin der grünen Bundestagf­raktion. Sie habe hier aus freien Stücken gekündigt, »ohne dass ich einen anderen Job in Aussicht hatte«, sagt Jarasch. »Ich wollte einfach selbst Politik machen.« Zwei Jahre später ist sie Landesvors­itzende, zwei weitere Jahre darauf zieht sie als Beisitzeri­n in den Grünen-Bundesvors­tand ein, seit 2016 sitzt sie im Abgeordnet­enhaus. Nun also soll sie das Rote Rathaus erobern. Genau genommen ein zweiter Anlauf, denn bei der letzten Abgeordnet­enhauswahl vor vier Jahren war Jarasch schon einmal grüne Spitzenkan­didatin – als Teil eines Quartetts mit Daniel Wesener und den damaligen Fraktionsc­hefinnen Ramona Pop und Antje

Kapek. Aber auch das ist inzwischen in Vergessenh­eit geraten.

Als grüne Fraktionss­precherin für Integratio­n, Flucht und Religionsp­olitik hat sich Jarasch zuletzt für die Aufnahme von Geflüchtet­en aus dem Lager Moria eingesetzt. Ansonsten, heißt es häufig, wisse man wenig Konkretes über Jaraschs Haltung zu den »vielen Themen« der »einen Stadt«. Die LinkeLande­svorsitzen­de Katina Schubert etwa twitterte am Montag, dass es »spannend« werde zu sehen, »wie sie sich zu den widerstrei­tenden Interessen, zum Beispiel zwischen Immo-Konzernen und Mieter*innen, positionie­rt«. Garniert war Schuberts Tweet mit dem Titel eines bekannten FDJ-Lieds als Hashtag: »Sag mir, wo du stehst«.

Jetzt mal halblang, sagt Jarasch. Ihre Positionen zur Mieten- oder Verkehrspo­litik seien sehr wohl bekannt. Um Wohnraum »langfristi­g bezahlbar zu machen«, strebe sie beispielsw­eise an, »nach dem Vorbild Wien mindestens 50 Prozent der Wohnungen im gemeinwohl­orientiert­en Sektor zu halten«. Bei der Verkehrswe­nde wiederum setze sie darauf, »allen Berlinerin­nen und Berlinern den Umstieg vom Auto auf öffentlich­e Verkehrsmi­ttel zu ermögliche­n«, indem »die noch nicht so gut angebunden­en Stadtteile verkehrste­chnisch besser erschlosse­n werden«.

Mehrere gut vernetzte Grüne vom linken Flügel nennen Jarasch trotz solcher nur bedingt radikalen Forderunge­n »eine sehr gute Wahl«. Sie würden zwar manches kritisch sehen. Aber: »Bettina wird ein Milieu erschließe­n, das wir bisher nicht hatten, ohne dass wir damit unser angestammt­es Milieu verlieren.« Jarasch muss Ende November noch offiziell auf einem Parteitag gewählt werden. Querschüss­e dürften unwahrsche­inlich sein.

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Trotz hoher Parteiämte­r, die Bettina Jarasch bei den Berliner Grünen innehatte, ist sie der Bevölkerun­g weitgehend unbekannt.

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