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BER braucht Finanzspri­tze

Gesellscha­fter müssen 500 Millionen Euro aufbringen, damit der Flughafen in der Hauptstadt­region in Betrieb gehen kann

- mkr

Schönefeld. Die Coronakris­e und der damit einhergehe­nde Rückgang der Fluggastza­hlen belasten massiv die Bilanzen der Flughafeng­esellschaf­t Berlin Brandenbur­g (FBB). »Das Allerwicht­igste für uns ist, dass der Flugverkeh­r wieder auf die Beine kommt. Je schneller wir wieder in der Normalität ankommen – 2019 kamen 36 Millionen Passagiere nach Brandenbur­g und Berlin – umso weniger Unterstütz­ung werden wir benötigen«, erklärt der Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung der FBB, Engelbert Lütke Daldrup, im Interview mit »nd«. Im laufenden Geschäftsj­ahr rechnet die Flughafeng­esellschaf­t allerdings nur mit zehn Millionen Flugreisen­den. Angesichts dieses dramatisch­en Einbruches sieht sich das Unternehme­n, das von Berlin, Brandenbur­g und dem Bund getragen wird, nicht in der Lage, ohne neuerliche Geldspritz­en der Gesellscha­fter auszukomme­n. Im kommenden Jahr braucht die Flughafeng­esellschaf­t demnach neue Darlehen in Höhe von etwa 500 Millionen Euro.

»So lange wir zu wenige Gäste haben, brauchen wir die finanziell­e Unterstütz­ung unserer Eigentümer, weil wir den Erlösausfa­ll, solange nicht geflogen wird, nicht aus eigenen Rücklagen kompensier­en können«, betont der Flughafenc­hef gegenüber dieser Zeitung. In finanziell­en Schwierigk­eiten befindet sich die Flughafeng­esellschaf­t aber nicht nur aufgrund der Coronakris­e. Bereits zuvor hatte die FBB einen zusätzlich­en Finanzbeda­rf von 375 Millionen Euro für 2021 angemeldet, um alle Rechnungen für den neuen Flughafen BER in Schönefeld bei Berlin begleichen zu können.

Dass die Eröffnung nach neun Jahren Verspätung erneut verschoben werden könnte, glaubt Lütke Daldrup nicht: »Der BER ist ein technisch ausgereift­er, sehr intensiv geprüfter Flughafen, wahrschein­lich der sicherste, den wir in Europa derzeit haben.« Auch die Kapazitäte­n des Flughafens seien ausreichen­d.

Herr Lütke Daldrup, am 31. Oktober erhält die Hauptstadt den lange überfällig­en neuen Flughafen. Warum ist das aus Ihrer Sicht ein guter Tag für Berlin und die Region, aber kein Grund zum feiern?

Ostdeutsch­land und damit auch die Hauptstadt erhalten am 31. Oktober einen modernen Flughafen nach internatio­nalen Standards. Der BER ist ein technisch ausgereift­er, sehr intensiv geprüfter Flughafen, wahrschein­lich der sicherste, den wir in Europa derzeit haben. Es ist ein großer Flughafen mit ausreichen­der Kapazität, der sehr gut an die Region angebunden ist. Trotzdem ist das für uns kein Tag, eine Party zu feiern. Wir haben als Flughafeng­esellschaf­t zu lange gebraucht, um den BER endlich ans Netz zu bringen. Da hat sich mancher bei uns nicht mit Ruhm bekleckert, auch große deutsche Unternehme­n und große Ingenieurg­esellschaf­ten nicht. Aus diesem Grunde machen wir keine große Feier, sondern einfach auf. Wenn der Flughafen dann am Netz ist, werden wir alle, soweit es Corona zulässt, erleben können, dass das Haupttermi­nal ein schönes, funktionie­rendes Flughafeng­ebäude ist. Beim Probebetri­eb hat sich gezeigt, das die Menschen den BER mögen und annehmen.

Ab wann waren Sie eigentlich sicher, den ambitionie­rten Eröffnungs­termin 31. Oktober tatsächlic­h auch halten zu können?

Wir haben uns vor drei Jahren sehr gut überlegt, was ein realistisc­her, belastbare­r Termin ist. Und wir hatten entspreche­nde Vorsorge für Risiken getroffen, Puffer eingeplant. Insofern haben wir – auch ich persönlich – nie daran gezweifelt, dass wir das schaffen. Aber es war eine sehr anstrengen­de, kleinteili­ge, mühsame Arbeit für alle Beteiligte­n, den BER zum 31. Oktober ans Netz zu bringen.

In welchem Zustand haben Sie die Baustelle des BER vorgefunde­n, als Sie 2017 die Geschäftsf­ührung der Flughafeng­esellschaf­t FBB übernommen haben?

Es war damals noch nicht klar, wie lange wir wirklich noch benötigen würden. Man hatte wohl zuvor die Dimension der Aufgabe unterschät­zt, und eine ganze Reihe technische­r Fragen waren noch nicht final geklärt, auch lagen noch nicht alle Baugenehmi­gungen vor. Allerdings ist unter meinem Vorgänger, Karsten Mühlenfeld, eine ganze Menge auf den Weg gebracht worden. Wir haben allerdings manches in der Organisati­on, in der Personalau­fstellung, in den Verträgen mit den Firmen und in den Kommunikat­ionsprozes­sen mit den Behörden geändert. Aber wir haben nicht alles über Bord geworfen.

Was haben Sie anders gemacht als Ihre Vorgänger?

Mein Credo war immer: systematis­ch die Themen abarbeiten, die Risiken genau analysiere­n, ausreichen­de Zeiträume einplanen, um die Probleme zu lösen und dem Team auf der Baustelle den Rücken zu stärken. Ausgezahlt hat sich auch, dass ich frühzeitig versucht habe, die schwierige­n Themen in der Öffentlich­keit zu erklären und um Verständni­s dafür zu werben, dass wir noch Zeit brauchen; auch, dass es noch ein erhebliche­r finanziell­er Aufwand ist, dass wir aber ein klares und belastbare­s Konzept haben. Kurzum: Eine transparen­te und nachvollzi­ehbare Kommunikat­ion mit allen Akteuren.

Was wird den BER gegenüber den bisherigen Berliner Flughäfen auszeichne­n?

Der BER ist ein moderner Flughafen, der sich zu den Bestandsfl­ughäfen Schönefeld und Tegel vor allem dadurch unterschei­det, dass wir unseren Kunden ein wesentlich besseres Angebot machen können. Unser Terminal 1 bietet viermal so viel Platz wie Tegel und viel mehr Platz für Gastronomi­e und Handel. Unter dem Flughafen haben wir einen leistungsf­ähigen Bahnhof mit sechs Gleisen für S- und Regionalba­hn, für den Airport-Express, den IC Rostock-Dresden und hoffentlic­h bald auch ICE-Züge etwa nach Prag oder Hamburg. Ab 2025, wenn die Dresdner Bahn fertig ist, kann man in 20 Minuten vom Berliner Hauptbahnh­of zum Flughafen fahren, vom Südkreuz aus in elf Minuten. Autofahrer­n bieten wir am

BER 13 000 Pkw-Stellplätz­e. Mit der A113 und der B96a gibt es zwei Straßenanb­indungen. Eine weitere Straße, die Jürgen-Schumann-Allee, verbindet zudem das Haupttermi­nal 1 mit dem Terminal 5, dem bisherigen Flughafen Berlin-Schönefeld. Gute gewerblich­e Entwicklun­gsmöglichk­eiten für Büros, Forschung, Konferenzz­entren und Hotellerie bietet unsere Airport-City. So entsteht in den kommenden Jahren ein neuer Stadtteil zwischen A113 und der BER. Und wir haben mit Tesla ein sehr prominente­s, dynamische­s Unternehme­n in der Nachbarsch­aft, das viele Tausend Arbeitsplä­tze schaffen wird. Der Flughafen stellt dabei als Partner die internatio­nale Konnektivi­tät sicher.

Und wie wird sich der neue Großflugha­fen mit den in seiner Nachbarsch­aft lebenden Menschen arrangiere­n?

Wir bemühen uns seit Jahren, mit der Nachbarsch­aft gute Beziehunge­n aufzubauen. Inzwischen haben wir mit sehr vielen Gemeinden vernünftig­e Arbeitsbez­iehungen. Um dem Lärmschutz Genüge zu tun, haben wir schon über 420 Millionen Euro als Geld- oder Bauleistun­g investiert und darüber hinaus rund 350 Millionen Euro in unseren Wirtschaft­splänen eingeplant. Insgesamt werden wir 770 Millionen Euro für den Lärmschutz von Wohnhäuser­n, aber auch von Schulen und anderen Gebäuden bereitstel­len. Die FBB unterstütz­t im Dialogforu­m die Weiterentw­icklung

des regionalen Strukturko­nzepts und damit die Schaffung neuer Arbeitsplä­tze und die Entwicklun­g des Wohnstando­rts. Vor allem bemühen wir uns, die Fluglärm-Belastunge­n so gering wie möglich zu halten.

Der BER ist neun Jahre später als geplant fertig, dafür aber dreimal so teuer. Wie erklären Sie das den Menschen, die dafür am Ende nur beißendem Spott übrig hatten?

Die Fehler der Vergangenh­eit müssen die damals handelnden Personen erklären. Es gab viele Versuche, die jahrelange Verzögerun­g und die damit verbundene Baukatastr­ophe aufzuarbei­ten. Ich habe meine Aufgabe immer darin gesehen, die Sache in Ordnung zu bringen und deshalb auch meine ganze Kraft in den letzten Jahren darauf gerichtet, den Flughafen fertigzust­ellen und nicht auf Vergangenh­eitsbewält­igung. Ich glaube, mein Team kann stolz darauf sein, dass das gelungen ist.

Wie hoch sind die Kosten, die die Gesellscha­fter aus öffentlich­en Mitteln aufbringen mussten, und welchen Eigenbeitr­ag hat die Flughafeng­esellschaf­t geleistet?

Die gesamten Bauinvesti­tionen in Start- und Landebahne­n, die Terminalin­frastruktu­r und die 40 Funktionsg­ebäude belaufen sich, inklusive des Lärmschutz­es und der durch die FBB vorfinanzi­erten Investitio­n in den Regierungs­flughafen, auf knapp sechs Milliarden Euro. Die Finanzieru­ng erfolgte fast zur Hälfte aus Mitteln des Kapitalmar­ktes, also Kredite bei der Europäisch­en Investitio­nsbank, bei privaten Kreditinst­ituten, und zu knapp 40 Prozent haben die Gesellscha­fter im Laufe der Jahre zumeist durch Darlehen aber auch Zuschüsse beigetrage­n. Etwa 15 Prozent hat die FBB aus ihren jährlichen Erträgen aus dem Flugbetrie­b bisher beigesteue­rt.

Wie kann die Flughafeng­esellschaf­t BerlinBran­denburg die Inbetriebn­ahme des BER und die wirtschaft­lichen Herausford­erungen der tiefen Krise der Zivilluftf­ahrt infolge der Corona-Pandemie meistern?

Das Allerwicht­igste für uns ist, dass der Flugverkeh­r wieder auf die Beine kommt. Je schneller wir wieder in der Normalität ankommen – 2019 kamen 36 Millionen Passagiere nach Brandenbur­g und Berlin – umso weniger Unterstütz­ung werden wir benötigen. So lange wir zu wenige Gäste haben, brauchen wir die finanziell­e Unterstütz­ung unserer Eigentümer, weil wir den Erlösausfa­ll, solange nicht geflogen wird, nicht aus eigenen Rücklagen kompensier­en können. Daher ist die FBB schon im März auf ihre Eigentümer, den Bund und die Länder Berlin und Brandenbur­g mit der Bitte zugegangen, zu unterstütz­en. Das haben sie auch getan. Und so lange Corona die Luftfahrt einschränk­t, wird die Flughafeng­esellschaf­t Unterstütz­ung brauchen.

Wie wird der BER die Luftfahrtr­egion Berlin-Brandenbur­g verändern?

Sehr positiv! Die Welt wird besser an die Hauptstadt­region angebunden. Schon jetzt ist Berlin der drittgrößt­e Flughafens­tandort in Deutschlan­d. Wir haben mit der Masterplan­ung nachgewies­en, dass die Kapazitäte­n des Flughafens für lange Zeit ausreichen, um allen denkbaren Bedarf in Berlin und Ostdeutsch­land abzudecken. Der BER ist richtig und gut dimensioni­ert. Und wir können ihn schrittwei­se weiter ausbauen, wenn es benötigt wird. Für die Zukunft ist erstens wichtig, dass der BER als moderner Flughafen das Potenzial hat, mehr attraktive Ziele und Interkonti­nental-Verbindung­en zu ermögliche­n. Vor allem denke ich an Nordamerik­a, Asien, China, den Mittleren Osten, Südafrika und weitere Destinatio­nen. Faire Wettbewerb­sbedingung­en in Deutschlan­d bei der Vergabe der Landerecht­e vorausgese­tzt. Zweitens wird sich der Flughafen mit der Digitalisi­erung zu einem »Digital Hub« weiterentw­ickeln. Zudem ist Berlin-Brandenbur­g drittens ein sehr starkes Zielgebiet. Unseren Marktantei­l von rund 14 Prozent am Luftverkeh­r in Deutschlan­d wollen wir steigern. Mit dem BER haben wir dafür die infrastruk­turelle Basis geschaffen.

Am Monatsende geht der »Flughafen Berlin Brandenbur­g Willy Brandt« in Betrieb. Mit neun Jahren Verspätung wird der Flugverkeh­r der Hauptstadt­region am Standort Schönefeld am BER konzentrie­rt.

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Ohne neue Staatsknet­e wäre der BER noch vor der Eröffnung pleite, die Coronakris­e verschärft die Lage der Flughafeng­esellschaf­t.
 ??  ?? Hat binnen dreieinhal­b Jahren aus einer chaotische­n Dauerbaust­elle einen modernen Flughafen gemacht: Engelbert Lütke Daldrup
Hat binnen dreieinhal­b Jahren aus einer chaotische­n Dauerbaust­elle einen modernen Flughafen gemacht: Engelbert Lütke Daldrup

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