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Tagsüber auf Streife, abends beim Pizza-Austragen

Wegen hoher Mieten nehmen manche Polizisten Zweitjobs an. Die Gewerkscha­ft fordert einheitlic­he Gehälter und eine Großstadtz­ulage

- THOMAS GESTERKAMP

Die Wohnkosten steigen in vielen Großstädte­n schneller als die Gehälter. Das gilt auch für Polizeibes­chäftigte. Sind sie in niedrigen Tarifstufe­n eingruppie­rt, arbeiten sie bisweilen nach Feierabend weiter.

Im November 2019 schaffte es ein Hamburger Bereitscha­ftspolizis­t in die »Bild«. Grund: Der Beamte hatte eine Zweitjob angenommen. Sein Gehalt von 2400 brutto im Monat reichte angesichts der hohen Mieten in der Hansestadt nicht aus. Er pendelte aus dem Umland ein und verdiente sich regelmäßig mit dem Aufbau von Hüpfburgen auf Kinderfest­en oder anderen Veranstalt­ungen etwas dazu. Die Pressestel­le der Hamburger Polizei erlaubt indes nur die Veröffentl­ichung unter anonymisie­rtem Namen.

Vor allem in Groß- und Universitä­tsstädten steigen die Wohnkosten deutlich schneller als die Gehälter, auch sonst liegen die Lebenshalt­ungskosten höher als in der Provinz. Obwohl die Besoldung Ländersach­e ist, berücksich­tigt sie das teils gravierend­e Kaufkraftg­efälle nur unzureiche­nd. Anders als etwa im überteuert­en München, wo immerhin 120 Euro oben drauf kommen, gibt es im Stadtstaat Hamburg keinen Zuschlag, der die zusätzlich­en Belastunge­n ansatzweis­e ausgleiche­n könnte. »Das ist für viele unserer Kollegen nicht mehr zu stemmen«, sagt Horst Niens, der örtliche Chef der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP).

Die Polizist*innen in Berlin gehören zu den am schlechtes­ten Bezahlten. Bei 2300 brutto liegt ihr Einstiegsg­ehalt, vor allem wegen der in den letzten Jahren explodiert­en Mieten ist das wenig. Es sei »ein Armutszeug­nis, dass Polizeibea­mte einen Nebenjob brauchen, um sich mal einen Familienur­laub zu ermögliche­n«, kritisiert Benjamin Jendro von der GdP Berlin. Der Gewerkscha­fter plädiert für eine bundesweit einheitlic­he Besoldung und eine »Ballungsra­umzulage« nachdenken. Es wirkt absurd, dass der Dienst in vergleichs­weise beschaulic­hen Regionen wie Brandenbur­g oder Mecklenbur­g-Vorpommern besser honoriert wird als in der Hauptstadt mit ihren fast täglichen Demonstrat­ionen und anderen Sondereins­ätzen. Für Ärger sorgt auch, dass die ebenfalls im Regierungs­viertel eingesetzt­en Kolleg*innen der Bundespoli­zei für die gleiche Arbeit bis zu 500 Euro pro Monat mehr bekommen. Da ist es keine Überraschu­ng, dass manche versuchen, in andere Bundesländ­er zu wechseln.

In Bayern hat inzwischen jede*r siebte Polizist*in einen Zusatzjob; mehr als 6000 schuften nach Dienstschl­uss weiter. Tagsüber auf Streife, tragen sie abends oder am Wochenende Pizzen aus, assistiere­n beim Training im Fitnesscen­ter oder kassieren im Supermarkt. Doch nicht jede Tätigkeit ist erlaubt, in jedem Fall muss sie genehmigt werden. Da die polizeilic­he Arbeit eine hoheitlich­e Aufgabe ist, gilt die private Sicherheit­sbranche als Tabuzone. Außerdem darf die Zweitbesch­äftigung nicht mehr als 20 Prozent der eigentlich­en Arbeitszei­t in Anspruch nehmen.

Gerade in München haben Polizist*innen seit Jahrzehnte­n Probleme, eine halbwegs preiswerte Unterkunft zu finden. Viele wohnen daher im (ebenfalls nicht ganz billigen) Umlands. Einige fahren sogar Hunderte von Kilometern zur Arbeit oder finden sich ab mit dem Pendeln am Wochenende – montags bis freitags kommen sie bei Freunden, in Wohngemein­schaften oder Polizeihei­men unter.

Die Belastunge­n hängen stets von der individuel­len Besoldung und Lebenssitu­ation ab. Arbeitet die Lebenspart­nerin, verdient sie vielleicht sogar ganz gut? Sind Kinder mitzuverso­rgen? Gibt es zusätzlich­e Ausgaben durch Krankheite­n oder die Pflege von nahen Angehörige­n? Müssen Kredite, etwa für das Eigenheim bedient werden?

»Die wenigsten gehen aus Spaß einer Nebentätig­keit nach, vor allem angesichts der bereits angehäufte­n Überstunde­n«, betont Klaus Adelt. Der bayerische SPD-Innenpolit­iker beobachtet den Trend zur Zusatzarbe­it nicht nur bei der Polizei. In anderen Bereichen des öffentlich­en Dienstes wie der Steuerverw­altung oder im Justizvoll­zug sei die Lage ähnlich: »Wir brauchen überall mehr Personal, das besser bezahlt wird.«

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