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»Sie haben nirgendwo Platz«

Berliner Projekt bietet Wohnungslo­sen Unterkunft und bei Bedarf auch therapeuti­sche Betreuung

- LOLA ZELLER

Neue Einrichtun­g in Berlin-Friedrichs­hain soll Lücke vor Betreutem Wohnen schließen. Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h will weg von Unterkünft­en und hin zu Wohnraum.

Im Innenhof wird zwar noch gebaut, aber die ersten beiden Etagen des Hinterhaus­es in der Scharnwebe­rstraße 29 in Friedrichs­hain sind schon bewohnt. In den zwei Etagen darüber stehen die Zimmer noch leer. Hier sollen Bewohner*innen von zwei Therapeuti­schen Wohngemein­schaften (TWG), allgemein »Betreutes Wohnen« genannt, einziehen.

»Wir haben schon lange gesehen, dass es eine Lücke vor der Therapeuti­schen Wohngemein­schaft gibt«, sagt Daniela Keßler. Sie leitet das Projekt, das vom Verein Prowo getragen wird. Der Weg dorthin sei oft hürdenreic­h und viel zu bürokratis­ch. Allein, dass Bedürftige ein Gutachten des Sozialpsyc­hiatrische­n Dienstes vorweisen müssen, welches sie als »bedroht oder betroffen von einer seelischen Behinderun­g« einstuft, stelle für viele ein Problem dar, sagt Keßler.

Außerdem gebe es viele Menschen, die weder in Einrichtun­gen der Wohnungslo­senhilfe noch in der Einglieder­ungshilfe aufgenomme­n würden, da sie zum Beispiel »zu auffällig« oder »nicht abstinent genug« seien. »Sie haben nirgendwo einen richtigen Platz und landen immer wieder im Krankenhau­s und auf der Straße«, so Keßler.

Die neue Einrichtun­g soll wohnungslo­se Menschen, bei denen eine psychische Erkrankung vermutet wird, niedrigsch­wellig aufnehmen und betreuen. Die Unterbring­ung durch die Berliner Bezirke ist ein Teil des Allgemeine­n Sicherheit­s- und Ordnungsge­setzes, kurz Asog. Im Rahmen dessen gibt es in den unteren Etagen der Scharnwebe­rstraße

29 einen »Asog Plus«-Bereich. »Das ist der Bereich für Leute, die über die Soziale Wohnhilfe im Bezirk kommen«, sagt Keßler. Um über die Wohnhilfe in eine Unterkunft vermittelt zu werden, genügt es, einen Antrag zu stellen.

Die kombiniert­e Einrichtun­g ist die Schnittste­lle zwischen der Wohnungslo­senhilfe und der Einglieder­ungshilfe, erklärt Keßler. So könnten Menschen, die nach einer niedrigsch­welligen Unterbring­ung suchen, perspektiv­isch in TWGs vermittelt werden. » »Die Leute ziehen nur drei Etagen hoch, haben aber immer noch mit den selben Menschen zu tun«, erklärt die Leiterin.

Projekte scheitern an den Immobilien

Das Hinterhaus in der Scharnwebe­rstraße hat der Verein Anfang 2020 nach Vermittlun­g des Bezirks gemietet. Das Haus zu kaufen, sei aber nicht finanzierb­ar gewesen. »Jetzt haben wir nur einen Mietvertra­g für zehn Jahre und wissen nicht, was danach ist«, sagt Keßler. Im Moment bietet die Einrichtun­g zwölf Plätze im »Asog Plus«-Bereich, ab Mitte Oktober stehen zusätzlich zehn Plätze in den TWGs zur Verfügung. »Es gibt Ideen, Leidenscha­ft und Herz bei den Trägern, aber keine freie oder finanzierb­are Immobilie«, beschreibt Keßler ein Problem, das viele Träger umtreibt.

Der Bezirk Friedrichs­hain-Kreuzberg sei nicht in der Lage, Häuser zur Verfügung zu stellen, sagt Sabine Saggau zu »nd«. Sie ist im Sozialamt verantwort­lich für »Asog Plus«. Die Scharnwebe­rstraße 29 sei ein Modellproj­ekt im Bezirk. Weitere Einrichtun­gen dieser Art seien aber nicht geplant, so Saggau.

Der Berliner Wohnungsma­rkt war auch Thema bei der vierten Strategiek­onferenz zur Wohnungslo­senhilfe. Zu dieser hatte Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h (Linke) Kürzlich eingeladen. »Wohnraum bekommen wir nur, wenn wir eigene Wohnungen bauen für Menschen, die wohnungslo­s oder von Wohnungslo­sigkeit bedroht sind«, erklärt Breitenbac­h. Das Land Berlin habe deshalb 100 landeseige­ne Grundstück­e für Träger reserviert. »Die, die bauen, sollen aufhören, Unterkünft­e zu bauen, sondern sollen Wohnungen bauen«, so Senatorin. Problemati­sch an der Unterbring­ung in Unterkünft­en seien nicht nur mangelnde Selbstbest­immung und Rückzugsmö­glichkeite­n. »Wenn wir die Unterbring­ung in Zweibettzi­mmern haben, kriegen wir die Hygienebed­ingungen und Abstandsre­geln nicht hin«, sagt Breitenbac­h mit Blick auf die Pandemiesi­tuation. Die Senatsverw­altung strebe daher einen »Masterplan zur Beendigung von Wohnungs- und Obdachlosi­gkeit in zehn Jahren« an.

Land soll Unterkünft­en anmieten

Bis dahin soll sich die Gesamtstäd­tische Steuerung kümmern. Ziel sei es, durch ein zentralisi­ertes System qualitätsg­esicherte Unterkünft­e zu gewährleis­ten. Betreibend­e sollen Verträge mit dem Land abschließe­n. Die Bezirke bleiben zuweisende Stelle und Ansprechpa­rtner für wohnungslo­se Menschen. Aktuell befinde sich das System noch in der Testphase, so Projektlei­terin Hannah Kreinsen. Im Februar 2021 starte dann das Pilotproje­kt, die schrittwei­se Implementi­erung des Systems soll ab Juni 2021 erfolgen.

Vor dem Gebäude, in dem die Konferenz stattfand, gab es Protest. »Leave No One Behind Nowhere – Bündnis für wohnungslo­se und obdachlose Menschen mit und ohne Flucht- und Migrations­geschichte« hatte zur Kundgebung aufgerufen. »Wir wollen endlich Taten sehen statt immer neuer Diskussion­srunden, Panels und partizipat­iver Arbeitskre­ise«, so heißt es im Aufruf der Aktivist*innen.

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