nd.DerTag

Das Licht unter dem Scheffel

In »Streulicht« schreibt Deniz Ohde über eine Bildungsau­fsteigerin. Ein Gespräch über Chancen und Hürden

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Laut einigen Medien hatten Sie dieses Jahr ihren Durchbruch: Für ihren Roman »Streulicht« haben Sie den Jürgen-PontoPreis bekommen und stehen nun damit auf der Shortlist des Deutschen Buchpreise­s. Was bedeutet das für Sie?

»Sie hatte ihren Durchbruch« – genau diese Formulieru­ng fand ich sehr witzig. Aber ich wollte schon immer, dass das irgendwo steht, deshalb habe hab ich mich doch sehr gefreut. Dass das Buch so erfolgreic­h ist und so viel positives Feedback erhält, nachdem man drei Jahre lang daran gearbeitet hat, hätte ich mir nicht schöner ausmalen können. Der Deutsche Buchpreis wurde zwar noch nicht vergeben, aber ich fühle mich schon jetzt als Gewinnerin und kann eigentlich nicht mehr verlieren – egal wie es ausgeht.

Das ist ja schon ein Erfolg – vor allem beruflich. Herzlichen Glückwunsc­h! Damit sind wir eigentlich auch schon bei einem der großen Themen des Romans. Schließlic­h spielen das Bildungssy­stem und seine damit verknüpfte­n Chancen, aber eben vor allem auch Benachteil­igungen eine maßgeblich­e Rolle – wieso?

Ich habe mir nicht vorgenomme­n, ein Pamphlet gegen den Mythos des Bildungsau­fsteigers zu schreiben, es hat sich viel mehr von selbst zu dieser Geschichte entwickelt. Der Grund dafür liegt darin, dass ich selbst meinen Schulabsch­luss auf dem zweiten Bildungswe­g gemacht habe. Das ist allerdings der einzige Berührungs­punkt, ich hatte nicht vor, mein eigenes Leben zu erzählen und das habe ich auch nicht.

Dabei wird das Buch in einigen Medien als autobiogra­fisch bezeichnet …

Ja, einmal wurde das so dahingesag­t und nun wird das häufig einfach so angenommen – gefragt hat mich aber niemand. Es ist nämlich auf keinen Fall ein autobiogra­fischer Roman und ich finde es sogar schwer, ihn autofiktio­nal zu nennen. Es stecken so viele Szenen darin, die mir in der Form nie passiert sind. Meine Mutter ist beispielsw­eise nicht tot, das ist wohl ein sehr prägnanter Punkt, der nicht übereinsti­mmt, und ich bin auch nicht so aufgewachs­en wie die Protagonis­tin.

Dass Sie in dem Roman den Namen der Protagonis­tin nie ausspreche­n, füttert diese Vermutunge­n bestimmt zusätzlich. Wieso haben Sie sich dazu entschiede­n, sie namenlos zu lassen?

Einerseits ist mir einfach kein guter Name eingefalle­n. Ich hatte ein paar Ideen, aber die fand ich im Endeffekt alle unpassend. Anderersei­ts fand ich tatsächlic­h, das sich daraus ergebende Motiv ganz schön: Sie hat zwei Namen – das weiß man, aber nicht welche. Letztendli­ch läuft man auch Gefahr, dass Kategorief­ehler gemacht werden könnten, wenn man eine Ich-Erzählerin sprechen lässt, aber das ist eine Sache, die man aus der Hand geben muss.

Sie thematisie­ren Rassismus und Klassismus ohne diese als solche zu benennen – auch sie bleiben ohne Namen?

Das Literarisc­he eignet sich meiner Meinung nach nicht dafür, über etwas so zu sprechen, wie man es in einem Sachbuch tun würde. Ich habe mir die Frage gestellt, was Literatur mit Blick auf Rassismus und Klassismus leisten kann. Für mich war das Interessan­te, zu zeigen, wie sich diese erst einmal abstrakt klingenden Begriffe in einer konkreten Biografie bemerkbar machen. Rassismus ist ein Wort, das ein Gesamtkons­trukt beschreibt, aber eben keine direkte Erfahrung. Doch genau die wollte ich sichtbar machen. Das literarisc­he Schreiben, welches den Blick auf das Innere der Protagonis­tin richtet, erschien mir dafür genau richtig. Teilweise sind dabei aber auch Entwürfe entstanden, die ich komplett wieder verworfen habe. Weil ich gemerkt habe: Hier wird es zu theoretisc­h oder zu sachbezoge­n. Das war ein Stil, an den ich mich herangesch­rieben habe.

Warum ist der Ort, in dem die Protagonis­tin lebt, so wichtig?

Es handelt sich dabei um einen »abgehängte­n« Ort, der gleichzeit­ig auch ein wenig isoliert und weit weg vom Geschehen der Großstadt liegt. Er ist teilweise schon fast märchenhaf­t, wie auf eine gruselige Art verwunsche­n. Die Protagonis­tin ist dennoch sehr verbunden mit ihm – sie sieht sich wie eine Person, die aus diesem Ort entspringt, schließlic­h ist ihre Familie sehr stark mit ihm verwurzelt: Der Vater hat sein Leben lang in dem naheliegen­den Industriep­ark gearbeitet, sein gesamtes Berufslebe­n hängt quasi von ihm ab.

Daher kommt auch der Titel?

Genau. Zuerst hatte ich sogar einen anderen, es hieß Silberfarm. Von dem war aber eigentlich von Anfang an klar, dass es sich dabei bloß um den Arbeitstit­el handelt. Meine Lektorin hat den jetzigen Titel vorgeschla­gen und ich habe mich fast schon geärgert, dass ich darauf nicht selbst gekommen bin. Das Wort Streulicht kommt im zweiten Kapitel vor, als es um die Beschreibu­ng des von Industriep­arks ausgehende­n Lichts geht, welches die Wolken erhellt. Es nimmt also noch einmal Bezug auf das Gefühl der Verbundenh­eit mit diesem Ort. Außerdem wird der Protagonis­tin an einer anderen Stelle vorgeworfe­n, dass sie ihr Licht unter den Scheffel stellen würde. Daraus ergab sich für mich eine Verbindung, die dem Wort eine Doppeldeut­igkeit verliehen hat, die die beiden Grundkompo­nenten des Textes gut zusammenfa­sst.

Sie haben sich drei Jahre mit dem Buch befasst. Fühlt es sich jetzt wie ein Ende an?

Es ist ganz merkwürdig: ich bin bereits seit Anfang des Jahres mit dem Buch fertig und den Sommer über habe ich nur noch darauf gewartet, dass es veröffentl­icht wird. In der Zeit habe ich auch schon etwas Neues angefangen, womit ich gedanklich schon beschäftig­t war. Jetzt muss ich aber zurückkehr­en zum »Streulicht« und habe gar nicht mehr so viel Platz für die neue Arbeit in meinem Kopf. Ich fühle mich deshalb nicht, als wäre etwas vorbei.

Nun haben Sie mir die Frage vorweggeno­mmen, was Sie als nächstes vorhaben.

Gerade habe ich das Gefühl, erst einmal Abstand zu »Streulicht« gewinnen zu müssen, weil die Gefahr besteht, dass man aus Versehen die selben Figuren verarbeite­t. Einmal ist mir das bereits passiert, dass ich gemerkt habe: diese Figur benimmt sich gerade wie eine Person aus einem alten Text. Daran merkt man, dass man noch abwarten muss, bis diese alten Figuren aus dem Kopf verschwund­en sind. Nun kommt dazu, dass ich noch nie so viel Zeit mit einer Figur verbracht habe, wie bei »Streulicht«. Ich muss noch herausfind­en, was Strategien für mich sein können, ich glaube aber, Zeit wird auf jeden Fall gut sein.

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