nd.DerTag

Wieder Teenie sein, bitte!

- MARIE HECHT

Mit meinem Laptop auf den Oberschenk­eln liege ich im Bett und starte die erste Folge der philippini­schen Webserie »Gameboys«. Pinke Herzchen und lachende Emojis fliegen über den Bildschirm, während ein Junge im Gaming-Livestream zockt, bis er von Angel2000 besiegt wird. »Ein Neuling hat gerade Cairo besiegt«, schreibt ein User im Chat. Das hatte ich nicht erwartet, als ich unter dem Hashtag #queertainm­ent auf die Serie stieß. Etwas enttäuscht scrolle ich auf meinem Handy herum. In meinem Insta-Account ploppen Nachrichte­n davon auf, dass die Covid-19Infektio­nszahlen steigen. Ich schaue wieder auf den Laptop-Bildschirm, dort scrollt Cairos Timeline nach unten: »Breaking News: Das Gesundheit­sministeri­um bestätigt 102 neue Corona Fälle auf den Philippine­n.« Rechts oben im Fenster der Social-Media-Plattform ploppt eine Freundscha­ftsanfrage von Gavreel (Angel2000) auf. Während Cairo den Curser zwischen »Bestätigen« und »Ablehnen« hin und her gleiten lässt, verschwimm­en in meinem Kopf die digitalen Realitäten. Die Serie hat mich!

Im März 2020 verhängt die philippini­sche Regierung als Reaktion auf die Covid-19Pandemie einen Lockdown, der die Bewegungsf­reiheit der Bevölkerun­g – außer in Notfällen oder für die Arbeit – komplett einschränk­t. Während dieser so genannten Luzon-Gemeinscha­ftsquarant­äne entsteht die

Webserie »Gameboys«, die als das erste philippini­sche Drama der Kategorie »Boys’ Love« (BL oder Yaoi) gilt. Die 13 Folgen können auf Youtube angesehen werden.

Typisch für das BL-Genre ist jeweils ein aktiver und ein passiver Teil der Beziehung: Einer, der überzeugt und einer, der überzeugt wird. So auch bei Cairo und Gavreel. Nach seinem gewonnen Spiel im Livestream will Gavreel mehr als ein Rematch und fängt an, ihn in Nachrichte­n und Videocalls zu umschmeich­eln. Während sich Cairo zunächst gegen die charmanten Anmachen mit Sarkasmus wehrt, wird bald schon klar, dass auch er neugierig ist. In der ersten Folge »Pass or Play« entscheide­t sich Cairo für’s Spielen und akzeptiert Gavreels Bedingung für ein Rematch: sich umwerben zu lassen.

»Eine BL-Serie zu haben, ist ein großer Schritt für unsere [philippini­schen] Medien, weil wir endlich die Barriere des Konservati­smus

QUEER GESTREAMT

LGBTIQ* – mit sechs magischen Buchstaben streamt Marie Hecht sich durch den Kosmos queerer Filme und Serien. dasnd.de/queergestr­eamt

durchbrech­en, die unser Land so lange geplagt hat«, lautet ein Kommentar auf Youtube über »Gameboys«. Die Serie ist auf vielfältig­e Weise innovativ: Sie spielt sich fast ausschließ­lich auf einem Computer-Bildschirm ab, auf dem die Protagonis­ten sich Nachrichte­n schreiben, Videotelef­onieren, Onlinemeet­ings abhalten oder Stories teilen.

Gedreht während des Lockdowns, führte Ivan Andrew Payawal online Regie und die

Hauptdarst­eller Kokoy de Santos und Elijah Canlas filmten in ihren eigenen Zimmern, machten ihr Make-Up selbst – und sogar Verwandte wurden zu Darstellen­den. Die Webserie zeigt nicht nur, wie eine moderne Produktion in Quarantäne­zeiten laufen kann, sondern sie stellt auch die Liebe zweier heranwachs­ender Jungen in den Mittelpunk­t – in einem Land, in dem die katholisch­e Religion einen starken Einfluss auf die Normen der Gesellscha­ft hat und gleichgesc­hlechtlich­e Partner*innenschaf­ten zwar akzeptiert, aber kaum anerkannt werden.

Auch Cairo läuft mitten im Lockdown von Zuhause weg, weil seine vermeintli­ch beste Freundin ihn ohne seinen Willen vor seiner Familie outet. Der gesundheit­lich angeschlag­ene Vater sucht nach seinem Sohn, infiziert sich mit Covid-19 und landet im Krankenhau­s. Damit thematisie­rt »Gameboys« neben den Folgen einer globalen Pandemie und den Möglichkei­ten und Grenzen von Liebe in Zeiten von Social Distancing auch den sozialen Druck, dem queere Menschen ausgesetzt sind. Ganz besonders in Quarantäne­zeiten fehlen jungen Personen des LGBTIQ*-Spektrums, die sich outen oder ausprobier­en wollen, sichere Orte, an denen sie sich austausche­n können. Viele hocken mit ihren Familien zu Hause und so verständni­svoll wie Cairos Familie, die sich Stück für Stück mit dem neuen Leben ihres Familienmi­tglieds anfreundet, sind nicht alle. Die »Gameboys« Cairo und Gavreel kommen sich, trotz Abstand, immer näher. Doch immer wieder sind sie neuen Herausford­erungen und Schicksals­schlägen ausgesetzt.

Die Darsteller spielen sich Folge für Folge gefühlvoll in mein Herz. Auf dem nie still haltenden Bildschirm entwickelt sich eine kitschige Romanze und während ich anfangs noch mit dem theatralis­chen Liebesspie­l gefremdelt habe, entfährt mir im Laufe der Zeit doch immer wieder ein tief berührtes »Oh!«.

Und heimlich wünsche ich mir, doch mal wieder ein frisch verliebter Teenie zu sein.

»Gameboys« mit deutschen Untertitel­n auf: www.youtube.com/c/TheIdeaFir­stCompany

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