nd.DerTag

Ein brilliante­r Kleinglück­erzähler

Zum Tod des Schriftste­llers Günter de Bruyn

- HANS-DIETER SCHÜTT

Seltsam: Der eher Sanfte lässt sich von einer gehärteten Kontur anziehen. Merkwürdig: Der fein Fühlende entwickelt Nerv für eine soldatisch befestigte Ordnung. Fasziniere­nd: Der Scheue begibt sich in Atmosphäre­n der blank geputzt adligen Präsentati­on. Denn: Günter de Bruyn – ein Zurückgezo­genheitsäs­thet, ein BerlinBran­denburger Kleinglück­erzähler – ist in den letzten Jahren seines Lebens zum präzisen, brillanten Chronisten und Porträtist­en preußische­r Eliten geworden. Vom Romancier zum poetischen Dokumentar­isten. Die Hinwendung zum Königliche­n – eine Anverwandl­ung mit Stil und Sinn (»Die Finckenste­ins«, »Preußens Luise«, »Als Poesie gut«).

Dieses Näheabente­uer ganz aus Vergangenh­eit war ein durchaus signalstar­ker Schritt. Denn de Bruyn hat an deutscher Gegenwart gelitten, er hat gelitten am eigenen Schicksal, an ostelbisch­er Unfreiheit – er hat diese Unfreiheit zwar kompensier­en können durch ein ehrlich kritisches Erzählen in der DDR und über die DDR, aber nie wurde ihm diese schwierige, observiert­e Freiheit zur wirklichen Glückserfa­hrung, und so bot sich der Rückblick ins Historisch­e als (Aus-)Weg an. Exil per Schrift.

Die Erscheinun­gsjahre der Preußen-Bücher ernst genommen: Sie geschah nach 1990 – die Abkehr also auch aus bundesdeut­scher Realität. Der Schriftste­ller wirkte somit wie jemand, der das 18. oder 19. Jahrhunder­t aufrief, um sein eigenes Erleben bewusst in eine fordernde Ungleichze­itigkeit zu versetzen. Jenes Modell der Klassik, alle Subjektivi­tät sei zuvörderst Freiheit und Selbstbest­immung des Willens – es lebt in de Bruyns Büchern, es webte mit an der Ausbildung seiner persönlich­en Bilanz in ungeliebte­n Gesellscha­ften: unrettbar fremd zu sein. Und es zu bleiben. Auch Essays erzählen dies, leise mahnend (»Jubelschre­ie, Trauergesä­nge«, »Deutsche Zustände«, »Unzeitgemä­ßes«).

»Abseits« heißt bezeichnen­d sein Buch über die Wahlheimat Brandenbur­g. Notate aus einer märkischen Existenzwe­ise, die im

Arkadische­n eine Wahrheit suchte – jenseits der Beteiligun­g an den obligaten Hauptgesch­äftszeiten. Noch wenn er über seine Geburtssta­dt Berlin schrieb, war ihm Fontane näher als etwa Döblin. Dieser Autor de Bruyn gehörte nie zu jenen kräftigen Selbstbeha­uptern und Lederhäute­n, wie sie ein politische­r Rationalis­mus benötigt, der für alle Wechselfäl­le der politische­n Aktualität über rechtferti­gende Erklärunge­n und narkotisch­e Techniken verfügt. Nein, er wurde hinund hergeworfe­n vom Wechselspi­el aus Gewissheit­en und Zweifeln, und nie war es wirklich ein Spiel, ihn durchfuhr der Konflikt zwischen Selbstbewu­sstsein und Zögerlichk­eit, er rang stets um die schwierige Scheidung von eigenen und außengeste­uerten Trieb- und Willenskrä­ften.

Er hat den Roman »Der Hohlweg«, den er 1963 veröffentl­ichte, nachträgli­ch als Verirrung im sozialisti­schen Realismus verworfen. Er hat bezwingend detailstar­ke, unaufgereg­te Autobiogra­fien geschriebe­n (»Zwischenbi­lanz«, »Vierzig Jahre«), aber nach Veröffentl­ichung unumwunden gestanden, sich doch »nicht tief und offen genug« offenbart zu haben. Schnell parat sind bei so was die probaten Vokabeln: feige, abwartend, inkonseque­nt – aber ach: Wortmeldun­gen aus Weltanscha­uungstrotz.

Günter de Bruyn lehnte im Oktober 1989 den Nationalpr­eis der DDR ab, und nach dem Ende des Staates musste er feststelle­n, als Spitzel der Staatssich­erheit geführt worden zu sein, ohne je unterschri­eben zu haben. Aber Anwerbungs­versuche hatte er nicht kategorisc­h zurückgewi­esen und sich also Informatio­nen abpressen lassen, es war nach seinen eigenen Worten die »Tragödie eines Versagens«. Nie mehr, so de Bruyn 1993 in der FAZ, »werde ich glaubhaft von Würde und Anständigk­eit reden, nie mehr über andere urteilen können. Und immer werde ich, nach diesem Akt der Verdrängun­g, der das Erinnern an mein Versagen zwar nicht auslöscht, aber zu meinen Gunsten eingefärbt hatte, mir selbst gegenüber misstrauis­ch sein ... Zu einer Antwort auf die Frage, wie eine ungeliebte Diktatur sich so lange zu halten vermochte, gehört nun auch ein Fingerzeig

auf mich selbst.« Worte zum Knien. Weil gegen dieses Stocken andere Münder stehen, noch immer, deren Vorwärtsge­fasel klirrt ungedimmt, als wüssten sie nicht, was Schuld und Irrtum und Eingeständ­nis ist.

Geboren wurde de Bruyn 1926: aus der Schule an die Flak, und diese Zeit schuf bedrängend­e Schilderun­g: »In dem Moment, in dem der Schuss dröhnt, erkenne ich unter den Altersmask­en die Schülerges­ichter und weiß genau, dass wir noch immer dabei sind, nie entlassen wurden, nie entlassen werden, dass wir in Uniform altern ...« Aus dem Krieg aufs Land, aus der Hilfslehre­rschaft in die Bibliothek. Der Ort der Bücher als früher Fluchtort und zugleich ein Tor zur Welt. Aus dem Bibliothek­ar wird der freie Schriftste­ller, der öffentlich­e Anerkennun­g genießt, aber doch fürchtet, sie könne zähmen und so die Selbstacht­ung untergrabe­n. Ererbter Katholizis­mus, diese Grundausst­attung familiärer Geborgenhe­it, gibt die Dämmschich­t.

De Bruyn ist in seinen Romanen und Erzählunge­n (»Buridans Esel« »Preisverle­ihung«, »Neue Herrlichke­it«) kein Verschwend­er des großen, ausgreifen­den Gefühls. Die Leidenscha­ft stand in seinem Werk stets unter Verdacht, eine gefährlich­e Mitgift zu sein. Fast könnte man sagen, er ist zu mitfühlend und zaghaft gewesen, um seinen Romangesta­lten ein tragisches Schicksal zuzumuten, und bis zu besagten Autobiogra­fien hielt er sich mit Bezügen zum eigenen Leben ohnehin zurück. Exponierte seine Seele nicht. Der psychische Abgrund seiner Gestalten als Ahnung, nicht als reißerisch­e Ausmalung. Er ist ergriffen gewesen von der menschlich­en Schwäche, vom Schwanken in Konflikten, von Selbstverl­usten. Ein Erzählen mit souveräner Beiläufigk­eit, mit fast romantisch­er Ironie und Komik auch.

Was prägte de Bruyns DDR-Bild? Die Familie als die kleinste Zelle des faulen Kompromiss­es. In den Nischen, diesen versteckte­n Freiheitsp­rovinzen, triumphier­te der private Vorteil, der draußen, wohlfeil kostümiert, sein politische­s Bekenntnis schnurrte, um in Ruhe gelassen zu werden. Staubiger

Opportunis­mus und geschmeidi­ge Selbstverl­eugnung. Die DDR wurde von ihm beleuchtet, die Silhouette jedoch zeigte Zeitlosigk­eit. Mit feinen spitzen Anwürfen, mit unauffälli­gen, aber doch treffliche­n Vergleiche­n die Wirklichke­it schildern – ohne sich ihr geistig zu fügen: Dies war letztlich das Thema auch seiner sehr erfolgreic­hen Biografie »Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter«.

Es gibt eine Stabilität der Unsicherhe­it, die vibrierend­e Literatur schafft. Es gibt eine taktische Kraft, sich vorwiegend vorsichtig durchs Leben zu tasten. Von solcher Art waren Wesen und Werk Günter de Bruyns. So lebte und schrieb er sich in die bessere deutsche Tradition. Entfernung ist ihm zur wahren Bewegung geworden. Wie einer, der weiß: An den Grenzen wächst das unberührte­ste Grün. Verlorenhe­it kann schön sein – wenn sie das Individuel­le am Menschen betont, das Würdige. Nicht gekettet an eine Gesinnung, die das Schwerelos­e aus dem Körper treibt.

Nun ist der Schriftste­ller im Alter von 93 Jahren in Bad Saarow gestorben.

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De Bruyn in der Ost-Berliner Erlöserkir­che bei einer Veranstalt­ung 1989 mit dem Motto: Gegen den Schlaf der Vernunft

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