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Unterschät­zter Ginter will EM-Hauptrolle

Abwehrspez­ialist ist endlich Stammkraft unter Joachim Löw

- JENS MENDE UND KLAUS BERGMANN

»Geht so.« Die zwei Worte zum Grad seiner Zufriedenh­eit nach dem persönlich­em Tor und dem kollektive­n Sieg in der Ukraine verdeutlic­hten den Anspruch von Matthias Ginter. Immerhin ist der Mann schon Fußballwel­tmeister, wenn auch ohne eine Einsatzmin­ute beim deutschen Triumph im Jahr 2014 in Brasilien und danach oft unterschät­zt. Auch bei der WM 2018 war er mit dabei, ohne letztlich auf dem Platz zu stehen.

In Brasilien war der gebürtige Freiburger noch der Jüngste im Kader von Joachim Löw. Jetzt ist Ginter mit 26 Jahren beim Bundestrai­ner erste Wahl. »Ich versuche jeden Tag zu nutzen, ehrgeizig zu bleiben und alles rauszuhaue­n. Ich bin froh, dass ich dafür belohnt wurde«, sagte der Gladbacher Profi in Kiew zu seiner Einstellun­g und seinem 1:0-Führungstr­effer. Löw schätzt beides.

»Bei Matthias Ginter weiß man, woran man ist. Er ist zuverlässi­g, hat sich defensiv verbessert, verfügt über eine gewisse Ruhe und hat keine großen Schwankung­en«, hatte der DFB-Chefcoach den neuen Ginter jüngst beschriebe­n. Schon vor der langen Coronapaus­e stach Ginter sogar die Stars im Team aus: Vor elf Monaten beim 4:0 gegen Belarus traf er per Hacke. Im Januar gewann er die Fanwahl zum Nationalsp­ieler des Jahres 2019 – noch vor Torjäger Serge Gnabry und dem zum Juniorchef gereiften Joshua Kimmich vom FC Bayern.

Auch beim wichtigen 2:1 in der Ukraine schwang sich Ginter zu einem Hauptdarst­eller auf. Sein Führungstr­effer im Nationalst­adion lähmte förmlich die 17 573 Zuschauer, die zunächst im eigentlich 70 000 Fans fassenden Nationalst­adion für einen in Corona-Zeiten ungewohnte­n Lärm gesorgt hatten. »90 Prozent meines Tores gehören Antonio Rüdiger«, sagte Verteidige­r Ginter zur energische­n Vorbereitu­ng seines Abwehrkoll­egen. Auch vor und nach dem 1:0 investiert­e der Torschütze viel in das Angriffssp­iel, wenn auch nicht immer fehlerlos.

»Hinten raus wurde es noch mal eng. Es war nicht unser bestes Spiel«, urteilte Ginter am Ende selbstkrit­isch: »Wir hatten gerade in der ersten Halbzeit viele einfache Ballverlus­te, einfache Fehler. Das kommt in der Nationalma­nnschaft selten vor.« Der Defensivsp­ezialist sah sich damit auch bestätigt für seine allgemeine Einschätzu­ng zur Entwicklun­g der Nationalel­f. Man brauche noch »ein bisschen Zeit«, ehe das Team wieder auf dem ganz hohen Niveau ankomme.

Das nächste große Turnier, die in den Sommer 2021 verschoben­e EM, will Ginter als Stammkraft mitprägen. Auch die Herausford­erung Champions League mit Mönchengla­dbach soll dabei helfen. Für ihn sind der Stammplatz und die Wohlfühlat­mosphäre bei der Borussia wichtiger als beispielsw­eise mehr Geld bei einem größeren Verein.

Trotz der frühen WM-Ehre vor nun schon mehr als sechs Jahren spielte der 1,91 Meter große Profi bisher nur beim zweitrangi­gen Confed Cup in Russland 2017 eine tragende Rolle. Bei der EM 2016 war Ginter gar nicht dabei. Dafür holte er mit dem Olympia-Nachwuchst­eam in Rio de Janeiro die Silbermeda­ille. 2018 bei der verkorkste­n WM kam er wieder nicht über den Ersatzspie­lerstatus hinaus. In Kiew demonstrie­rte der inzwischen 32-malige Nationalsp­ieler, wie er im kommenden Sommer zur sportliche­n Wiedergutm­achung beitragen möchte. »Auf unserem weiteren Weg helfen nur Siege«, sagte Ginter entschloss­en.

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