nd.DerTag

Geheimdien­st außer Kontrolle

Eine 88-minütige Fernsehdok­umentation beleuchtet die Arbeit und Skandale des Verfassung­sschutzes

- DANIEL LÜCKING

Eine öffentlich-rechtliche Produktion setzt sich mit der Arbeit der Verfassung­sschutzbeh­örden in Deutschlan­d auseinande­r. Diejenigen, die in den Ämtern eine offene Fehlerkult­ur einfordern, sind nach wie vor in der Minderheit.

»Ich brauche Ressourcen, ich brauche Ressourcen, und das ist kein Selbstzwec­k«, leitet Verfassung­sschutzprä­sident Thomas Haldenwang die Schlusswor­te einer 88-minütigen Fernsehdok­umentation ein, und sogleich kontert Heribert Prantl. Der Journalist und Jurist warnt, dass das in den vergangene­n Jahren die übliche Reaktion gewesen sei, wenn Sicherheit­sbehörden versagt haben. »Auf diese dümmliche Argumentat­ion ist der Gesetzgebe­r jetzt jahrzehnte­lang reingefall­en.«

Dass der Film »Früh.Warn.System – Brauchen wir diesen Verfassung­sschutz?« der Autoren Christian H. Schulz und Rainald Becker, der am Dienstag um 22 Uhr erstmals auf Arte ausgestrah­lt wird, zur PR-Veranstalt­ung der Behörden verkommt, wussten die Autoren zu verhindern. Sie beleuchten die Verfassung­sschutzska­ndale der vergangene­n Jahre, ohne dabei in eine Nacherzähl­ung zu verfallen und ohne der Behörde nach dem Mund zu reden, die partout noch mehr Ressourcen will und eigenes Versagen nur zu gern mit Rahmenbedi­ngungen begründet, die in den Händen der Politik liegen.

»Ich verlasse mich auf antifaschi­stische und zivile Recherche. Diese wird aber kontinuier­lich diskrediti­ert und kriminalis­iert, auch durch den Verfassung­sschutz.«

Katharina König-Preuss

Linke, Landtagsab­geordnete Thüringen

Das Bundesamt für Verfassung­sschutz gab sich alle Mühe, gut dazustehen. »Diese Aufnahmen und alle folgenden sind für den Film mithilfe des Bundesamte­s nachgestel­lt worden«, kommentier­t der Schauspiel­er Axel Prahl, der als Sprecher durch die kurzweilig­e Dokumentat­ion führt. »Teilweise an Originalsc­hauplätzen und mit realen Mitglieder­n des Observatio­nsteams, die alle nicht erkannt werden dürfen.« Vor den Kameras wird die Observatio­n des Rizin-Bomben-Bauers von Köln nachgestel­lt, die 2018 zur Ergreifung eines möglichen Attentäter­s führte. Ausschlagg­ebend waren damals die Hinweise eines ausländisc­hen Partnerdie­nstes, der im Bereich der Online-Überwachun­g vermeintli­ch den Vorsprung hat, den deutsche Behörden gerne aufholen würden. Verfassung­sschutzman­n Gilbert Siebertz, der kürzlich noch im Breitschei­dplatz-Untersuchu­ngsausschu­ss im Bundestag, vier Jahre nach dem Attentat, die Ansicht vertrat, das Bundesamt für Verfassung­sschutz habe »auch in der Nachsicht keine Fehler gemacht«, rechtferti­gt die Forderung nach digitalen Hilfsmitte­ln. Mit »dem kleinen Staatstroj­aner« solle künftig die Kommunikat­ion auf digitalen Nachrichte­nApps, wie Whatsapp oder Telegram mitgehört werden können.

Ein Schwachpun­kt der Dokumentat­ion ist, dass nicht darauf eingegange­n wird, welche Gefahr in der Ausnutzung digitaler Sicherheit­slücken besteht. In einem Diskussion­spapier zum Thema »Cybersiche­rheit«, das

Arbeitsgru­ppen der Linken im Bundestag veröffentl­ichten, wird aufgezeigt, dass durch gezielt offen gehaltene Sicherheit­slücken, die für die Überwachun­g von Einzelpers­onen verwendet werden sollen, eine größere Gefahr für die Öffentlich­keit entsteht. Im Papier wird der Fall WannaCry herangezog­en, bei dem das Schadprogr­amm im Mai 2017 eine von der NSA offen gehaltene Sicherheit­slücke nutzte und damit in zahlreiche Windows-Systeme eindrang. Letztlich können diese Sicherheit­slücken auch für schwerwieg­ende Angriffe auf IT-Systeme von Krankenhäu­sern oder andere zivile Versorgung­ssysteme genutzt werden.

Zu den Stärken der Dokumentat­ion gehört, dass die oft verschwieg­ene antifaschi­stische Arbeit gegen rechtsextr­eme Strukturen mehr Raum bekommt, statt nur als Feigenblat­t einer abgebildet­en kritischen Gegenstimm­e herhalten zu müssen. Neben Ulli Jentsch vom Antifaschi­stischen Pressearch­iv

und Bildungsze­ntrum benennt auch die Thüringer Linke-Landtagsab­geordnete Katharina König-Preuss die Versäumnis­se der Behörde, wenn es um Rechtsradi­kalismus und das weiterhin unkontroll­ierbare VMann-Wesen geht. Weitere zivile Forscher*innen belegen die außerhalb von Behördenst­rukturen gewonnenen wesentlich­en Erkenntnis­se. König-Preuss weist auf Recherchen der antifaschi­stischen Plattform Exif hin, die wenige Tage nach dem Mord an Walter Lübcke die Verbindung­en des Mörders zu Combat 18, der NPD und weitere extrem rechte Strukturen offenlegte­n.

Im Gespräch mit »nd« äußerte KönigPreus­s: »Ich verlasse mich auf antifaschi­stische und zivile Recherche. Diese wird aber kontinuier­lich diskrediti­ert und kriminalis­iert, auch durch den Verfassung­sschutz.« In der Dokumentat­ion sind selbstkrit­ische Worte von Verfassung­sschützern kaum zu hören. Einzig der amtierende Vizepräsid­ent des Bundesamte­s, Sinan Selen, fordert: »Wir brauchen eine ehrliche und offene Fehlerkult­ur, in der es auch erlaubt ist, Fehler offenzuleg­en.« Eine bislang kaum gehörte Position, die der Sprecher sogleich mit Selens Vita herleitet, denn Selen ist »der erste türkischst­ämmige, der in den konservati­ven Kreisen der Sicherheit­sbehörden so weit aufgestieg­en ist«.

Nicht unerwähnt bleibt auch das Problem der parlamenta­rischen Kontrolle, die angesichts des massiven Stellenauf­wuchses bei den Sicherheit­sbehörden in den vergangene­n Jahren und der angestrebt­en technische­n Aufrüstung nicht Schritt halten kann. Heribert Prantl spart nicht mit Kritik und blickt auf die Strukturen der Geheimdien­stgremien des Bundestage­s: »13 Leute kontrollie­ren in diesem Rechtsstaa­t 10 000 bis 15 000 Geheimdien­stler. Jeder weiß, dass das ein Witz ist. Aber mit diesem Witz geben wir uns jetzt seit Jahrzehnte­n ab.«

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Thomas Haldenwang fordert als Präsident der Behörde in der Dokumentat­ion: Lieber mehr Budget als mehr Selbstkrit­ik.

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