nd.DerTag

Problembeh­aftete Antifa-Allianzen

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Ismail Küpeli über die Hürden migrantisc­her Antifaschi­st*innen innerhalb der deutschen Linken.

Spätestens seit dem Anschlag in Hanau im Februar 2020 wächst die Migrantifa-Bewegung in Deutschlan­d. Immer mehr Migrant*innen und Geflüchtet­e wollen sich unabhängig von den bisherigen deutschen Antifa-Strukturen organisier­en. Neuerliche Auseinande­rsetzungen um eine antirassis­tische Demonstrat­ion in Frankfurt am Main machen aber deutlich, dass manche alten Konfliktli­nien nicht überwunden sind: Anfang Oktober 2020 organisier­te die lokale Migrantifa­Gruppe gemeinsam mit anderen Organisati­onen eine antirassis­tische Demonstrat­ion, um auf die Situation der Geflüchtet­en in Moria aufmerksam zu machen. Bei der Demonstrat­ion hielt eine anti-israelisch­e Gruppe eine Rede und es wurden Parolen gerufen, die sich als Aufruf zur Zerschlagu­ng Israels deuten lassen. Damit positionie­ren sich die jeweiligen Migrantifa-Gruppen bei jenen Themen, mit denen sich auch die deutsche Linke beschäftig­t – und viele alte Probleme tauchen wieder auf.

Als junger Geflüchtet­er habe ich Anfang der 90er Jahre erfahren, wie schwierig es für »Nicht-Deutsche« ist, innerhalb der deutschen Linken Fuß zu fassen. Und dass antifaschi­stische Gruppen und Netzwerke keineswegs frei sind von rassistisc­hen Vorurteile­n und Äußerungen. Solche Erfahrunge­n, gepaart mit der Notwendigk­eit eines antifaschi­stischen Selbstschu­tzes gegen rassistisc­hen Angriffe in jenen Jahren, hatten zu der Gründung von »Antifaşist Gençlik« (Antifaschi­stische Jugend) in Berlin geführt und auch uns migrantisc­he Antifaschi­st*innen im Ruhrgebiet dazu bewegt, eigene Gruppen zu gründen.

Der Versuch von Antifaşist Gençlik scheiterte nach wenigen Jahren, nicht zuletzt wegen massiver polizeilic­her Repression und einer mangelnden Unterstütz­ung durch die deutsche Linke – aber auch aufgrund eigener konzeption­eller Fehler. Insbesonde­re die Einbindung der »unpolitisc­hen« türkischen Jugendlich­en, die in »Gangs« organisier­t waren, gelang schlussend­lich nicht. Dieser Misserfolg führte zum Ende von Antifaşist

Ismail Küpeli ist Politikwis­senschaftl­er und Doktorand am Institut für Diaspora- und Genozidfor­schung.

Gençlik. Aber die Herausford­erungen für Geflüchtet­e und Migrant*innen blieben weiter bestehen: die Organisier­ung eines antifaschi­stischen Selbstschu­tzes ebenso wie die Haltung der deutschen Linken.

In den Folgejahre­n verlor diese Debatte an Bedeutung, nicht zuletzt weil das Thema Antifaschi­smus insgesamt scheinbar an Dringlichk­eit verlor. Dies änderte sich erst durch die Selbstentt­arnung des NSU im November 2011. Es stellten sich viele unangenehm­e Fragen, etwa: Warum hatten Antifaschi­st*innen die NSU-Mordserie nicht als solche erkannt? Warum wurden die Warnungen und Äußerungen der Angehörige­n der Mordopfer, die schon früh auf einen rechtsterr­oristische­n Hintergrun­d deuteten, nicht ernst genommen? Es wurde wieder mal deutlich: Es braucht eine explizit migrantisc­he Perspektiv­e, wobei keine Einigkeit darüber bestand, ob es auch einer eigenständ­igen Organisier­ung der Migrant*innen und Geflüchtet­en bedarf. Die Erfahrunge­n der Vergangenh­eit sprechen dafür, aber gleichzeit­ig lässt sich die Gefahr einer Selbstisol­ierung und -marginalis­ierung nicht wegreden. Auch steht eine getrennte Organisier­ung im Widerspruc­h zu einem weit verbreitet­en linken Universali­smus, wonach es innerhalb der Linken keine identitäre­n Grenzen geben darf.

Jedenfalls hat der (auch nach der Zerschlagu­ng der NSU andauernde) Rechtsterr­orismus bei gleichzeit­iger Schwäche der deutschen Antifa-Strukturen dazu geführt, dass die Migrantifa-Bewegung nicht nur eine Parole oder eine vage Idee blieb, sondern sich in verschiede­nen Städten reale Gruppen gründeten. Diese erhielten insbesonde­re nach dem Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 durch Gedenk- und Protestakt­ionen mehr öffentlich­e Aufmerksam­keit und sind inzwischen fester Bestandtei­l des linken und antifaschi­stischen Spektrums in Deutschlan­d. Doch durch Ereignisse wie im Oktober in Frankfurt am Main gerät die Migrantifa-Bewegung in eine der linken Debatten, die wenig mit den gesellscha­ftlichen Realitäten in Deutschlan­d, dafür viel mit Projektion­en und Halbwahrhe­iten zu tun haben. Das zentrale Motiv des antifaschi­stischen Selbstschu­tzes gegen Nazis und Rechte in Deutschlan­d gerät so in den Hintergrun­d. Das ist angesichts der fast tagtäglich­en Meldungen über rechtsterr­oristische Netzwerke, nicht zuletzt innerhalb der Polizei und der Bundeswehr, fahrlässig.

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