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Raus aus der Unsichtbar­keit

Zehntausen­de Migranten leben in Berlin ohne Dokumente und ohne Rechte

- MASCHA MALBURG

Mit der Kampagne »Legalisier­ung jetzt« tritt in Berlin ein selbstorga­nisiertes Migrantenn­etzwerk an die Öffentlich­keit. Das Das erzwungene Untergrund­dasein dieser Menschen soll ein Ende haben.

»Wir sind unsichtbar, niemand weiß von uns. Sichtbar ist nur die Arbeit, die unsere Hände verrichten«, sagt Anna. Sie ist Sprecherin einer Gruppe von Frauen aus Afrika, dem Iran und Lateinamer­ika, die hinter Berliner Gardinen Wohnungen putzen, Teller waschen und Kinder großziehen – ohne Dokumente, ohne Krankenver­sicherung oder rechtliche­n Schutz. Schätzungs­weise 60 000 bis 100 000 migrantisc­he Personen ohne Aufenthalt­sgenehmigu­ng leben in in der Hauptstadt. Ihre Kinder gehen nicht in die Schule, sie besuchen nie den Arzt und meiden Orte, an denen jemand nach dem Ausweis fragen könnte.

Für die illegalisi­erten Frauen rund um Anna bedeutet das auch: Keine Beschwerde­n, wenn ihr Lohn auf fünf Euro die Stunde sinkt, keine Anzeige gegen die Männer, die ihnen Wohnraum nur gegen sexuelle Leistungen vermieten. Und vor allem: Keine Demonstrat­ionen, keine Kampagnen und keine politische­n Forderunge­n gegen ihre würdelose Situation. Denn wer aus der Unsichtbar­keit auftaucht, wird abgeschobe­n.

Damit soll nun Schluss sein. Gemeinsam mit etlichen weiteren migrantisc­hen Selbstorga­nisationen hat Anna das Netzwerk »Legalisier­ung Jetzt!« gegründet, das mit einem Offenen Brief und einer Kampagne auf die Situation undokument­ierter Personen aufmerksam machen will. Endlich sollen politische und rechtliche Lösungen für eine dauerhafte Legalisier­ung öffentlich diskutiert werden. »Wir planen in den nächsten Wochen viele kreative Formen des Protests und Widerstand­s«, sagt Llanquiray, die neben Anna sitzt. Unter dem Motto »Close the Gap« wollen sie auch die deutsche Zivilgesel­lschaft auf ihre prekäre Lage aufmerksam machen – und die Lücke zu den Kämpfen anderer Organisati­onen schließen.

»Es geht nur gemeinsam. Auch die Leute, die bereits in der dritten oder vierten Generation in Deutschlan­d leben und längst einen Pass haben, erleben Diskrimini­erung und protestier­en dagegen – mit denen müssen wir uns zusammensc­hließen«, sagt David, der mit seiner Organisati­on »Culture of Deportatio­n« auf die historisch­en Kontinuitä­ten der Illegalisi­erung und des Abschiebes­ystems in Deutschlan­d aufmerksam macht. Schon 1919 forderten 18 Afrikaner in einer Berliner Petition die Selbststän­digkeit und Gleichbere­chtigung der Menschen aus den deutschen Kolonien, erzählt er.

Diese Forderung nach der Legalisier­ung von Migranten sei bis heute nicht erfüllt. Im Gegenteil herrschten in den, so David, »deutschen Flüchtling­slagern« Bedingunge­n, die an Kolonialze­iten erinnern. »Im Lager sind wir acht Männer in acht Betten, und jedes Bett hat eine Nummer.« Wenn die Polizisten für die Abschiebun­gen kämen, sei es bloß diese Nummer, die entscheide. »Schon der in Deutschlan­d so berühmte Robert Koch hat in seinen Forschungs­stätten in Ostafrika die Kolonisier­ten mit Nummern versehen, weil sie für ihn alle gleich aussahen«, sagt David. Es sei eben dieser Rassismus, der den Umgang mit Migranten aus dem globalen Süden in Deutschlan­d seit Generation­en präge.

Llanquiray

Zu der Strategie des neuen Netzwerks gehöre auch, sich aus dieser gesellscha­ftlichen Position herauszukä­mpfen. »Es geht uns nicht um irgendeine Caritas oder finanziell­e Unterstütz­ung«, sagt Llanquiray. »Wir wollen einfach Rechte haben.« Die Unterschei­dungen zwischen guten und schlechten, qualifizie­rten und unqualifiz­ierten, legalen und illegalen Migranten wollen sie nicht mehr mitmachen. Schließlic­h gelte die Würde und Freiheit des Menschen nach dem

Grundgeset­z nicht nur für jene mit Papieren. Das sage sie auch klar und deutlich den Berliner Politikern, deren Aufgabe es sei, für alle Menschen zu sorgen, die in dieser Stadt leben – auch für die Zehntausen­den, die für sie höchstens eine Nummer sind.

Eine der Forderunge­n des Netzwerkes ist daher auch, dass in einem angestrebt­en Legalisier­ungsverfah­ren die migrantisc­hen Personen als Subjekte mit Rechten eine zentrale Rolle spielen und der Zugang zu diesen Rechten garantiert wird. In einem solchen Legalisier­ungsverfah­ren müsse der Paragraf 87 des Aufenthalt­sgesetzes, der besagt, dass Angestellt­e im öffentlich­en Dienst die Informatio­n über einen illegalisi­erten Status weiterleit­en müssen, abgeschaff­t werden.

Auch wenn sich das Netzwerk in Berlin zusammenfi­ndet, ist es internatio­nal vernetzt. Mit Organisati­onen in Barcelona und Madrid stehe man in engem Austausch, erzählt Llanquiray. Auch dort haben sich illegalisi­erte Migranten vereint – und in Spanien eine riesige Kampagne losgetrete­n. »Das war sehr inspiriere­nd«, sagt Llanquiray. »Aber auch von uns werden die Leute bald hören.«

»Es geht uns nicht um irgendeine Caritas oder finanziell­e Unterstütz­ung. Wir wollen einfach Rechte haben.« Kampagne »Legalisier­ung jetzt«

»KOORDINATE­N«

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Menschen sind keine Nummern, sagt David von »Culture of Deportatio­n«

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