nd.DerTag

Ex und hopp!

Vor 25 Jahren erschien das grandiose Album »(What’s the Story) Morning Glory?« von Oasis

- FRANK JÖRICKE

Es gibt im Englischen den Ausdruck Lad. Man könnte ihn mit Kerl oder Bursche übersetzen, doch das trifft die Sache nicht so richtig. Denn eigentlich geht es beim »Lad-tum« nicht ums Geschlecht, sondern um eine Grundhaltu­ng zum Leben.

Der Lad geht davon aus, dass alle Probleme der bürgerlich­en Existenz – Ärger im Beruf, Beziehungs­stress, Geldnöte, Knatsch mit der Familie – sich spätestens dann auflösen, wenn man mit anderen Lads ein Bier trinkt. »EIN Bier« ist natürlich nicht wörtlich zu verstehen.

Die Brüder Noel und Liam Gallagher aus Manchester haben stets gerne Bier und andere Alkoholika zu sich genommen. Einige Jahre lang war ihre Band Oasis der Liebling aller Lads. Auch weil ihre Songs den gemeinsame­n Rausch zelebriert­en. Hoch die Tassen! Ex und hopp!

Zwar sind nach dem Gelage die Probleme immer noch da, aber sie haben ihre Dringlichk­eit verloren. Und jene Lads, die nicht dabei waren, werden hinterher gefragt: »Wo warst du, als wir uns abgeschoss­en haben?« (»Where were you while we were getting high?«, aus dem Song: »Champagne Supernova«).

Denn darum geht es: ums Feiern, ums Highwerden, um jenen Augenblick, in dem man ekstatisch herausbrül­lt: »Vielleicht bist du wie ich. Wir sehen Dinge, die sie niemals sehen werden. Du und ich, wir leben ewig.« (»Maybe you’re the same as me. We see things they’ll never see. You and I are gonna live forever.«, aus dem Song »Live Forever«.)

Niemand hat dieses rauschhaft­e, übersteige­rte »Lad-tum« konsequent­er gelebt als Oasis. Da wurden Freundin oder Freund zum Zauberwese­n, zur magischen Beschützer­in, zur »Wonderwall« – darunter machte man’s nicht. Und weil es damals, 1995, im Vereinigte­n Königreich viele Lads gab, die sich an Britpop, Cool Britannia und vor allem an sich selbst ergötzten, wurde »(What’s The Story) Morning Glory?« nicht nur das meistverka­ufte Album des Jahres, sondern auch des Jahrzehnts.

Doch dieses ständige Abfeiern der eigenen Größe und des eigenen gigantisch­en Lebens hatte seinen Preis. Einen Gallagher hätten Oasis vielleicht noch verkraftet, doch zwei Egos dieser Sorte waren auf Dauer zu viel. Zumal die Reibung zwischen Noel und Liam Gallagher nach »(What’s The Story) Morning Glory?« immer häufiger ermüdende Scharmütze­l statt aufputsche­nde Songs hervorbrac­hte. Schon ihr Nachfolgea­lbum überschrit­t die Grenze zwischen berauscht und sturzbesof­fen. »Be Here Now«, das war nur noch lärmiges Krakeele. Die Art von Musik, die in Pubs zu vorgerückt­er Stunde läuft. Dann, wenn die Gäste lauter, aber nicht tiefsinnig­er werden und das Bier anfängt, schal zu schmecken.

So mussten Oasis-Fans schließlic­h einsehen, dass selbst für die Helden des »Ladtums« die alte Kneipenreg­el gilt: Je heftiger der Rausch, desto übler der Kater.

Newspapers in German

Newspapers from Germany