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Wenn man Macht hat

Der Hamburger G20-Gipfel als Antifamili­enroman: »Sicherheit­szone« von Katrin Seddig

- MARIT HOFMANN

Das Feuer, die Wut, die verzerrten Gesichter und ihre Posen, wie sie die Fäuste recken, wie sie sich inszeniere­n, als würden sie in einen Kampf ziehen. Und auf der anderen Seite die Rumstehend­en, die Äugenden. Wenn du es dir genau ansiehst, dann hat jede Figur auf diesem Spielfeld eine andere Position, eine eigene Meinung dazu … Wie sollte man das jemandem erzählen, was hier passiert? Man müsste jede einzelne Geschichte jedes einzelnen Menschen erzählen.«

Zum Beispiel die Geschichte der Schriftste­llerin Katrin, die nicht nur als Anwohnerin 2017 auf den Demonstrat­ionen gegen den G20-Gipfel in Hamburg war: »Ich habe mich als Beobachter­in gefühlt, die zwar inhaltlich hinter den Demos steht, aber nicht richtig beteiligt ist«, erzählte die »Taz Nord«-Kolumnisti­n ihrem Hausblatt. Sie spüre allerdings drei Jahre danach immer noch Wut in sich.

Nicht zuletzt, um Abstand von der Wucht der Ereignisse zu gewinnen, hat Katrin Seddig einen Roman vor dem Hintergrun­d der »Hamburger Chaostage« (diverse Krawallmed­ien) geschriebe­n, in dem sie wiederum die einzelnen Geschichte­n einer fünfköpfig­en Familie erzählt. »Sicherheit­szone« wirkt zunächst wie auf dem Reißbrett entworfen, die kleinste Zelle der Gesellscha­ft soll einander entgegenge­setzte Positionen bereithalt­en: Der Adoptivsoh­n versucht mit »Das geht dich nichts an«-Haltung seine Pflicht als Polizist zu tun, unterdrück­t seine wahren Gefühle und entwickelt immer mehr Hass auf »Zecken« wie seine an vorderster Front demonstrie­rende Schwester; den zunächst unpolitisc­hen Vater reißt eine Ladung Pfefferspr­ay, die er als Besitzer eines Ladens an der Sperrzone abbekommt, aus dem bürgerlich­en Schlummer; der Mutter, die sich an einer kreativen Protestakt­ion beteiligt, verhilft das Erlebnis zu einem Neustart; die Großmutter schließlic­h lässt sich auf dem heimischen Sofa von Fernsehen und Springer-Presse in ihren Ressentime­nts gegen die linken »Chaoten« befeuern.

Die Autorin findet sich »nicht in einer einzelnen meiner Romanfigur­en« wieder und kritisiert zu Recht, dass sich Interviews zu »Sicherheit­szone« hauptsächl­ich um ihre eigene Meinung zu G20 drehen. Dennoch: »Vieles, was in dem Roman passiert, sind Erfahrunge­n, die ich persönlich gemacht oder mitbekomme­n habe.«

Die späte Einsicht, dass »man systematis­ch Gesetze brechen kann und dafür nicht belangt wird, wenn man Macht hat«, hat sie mit dem Vater im Roman gemein, den die Polizeigew­alterfahru­ng aus der Beobachter­position herauskata­pultiert: »Er hatte die ganze Zeit gedacht, er könne außen vor bleiben, alles als Beobachter sehen, und sein eigener Irrtum wird ihm so kalt und klar, so höhnisch bewusst, als wäre er ein Irrtum nicht nur in diesem Moment, sondern seines ganzen Lebens.« Er gibt auf Seddigs Bühne die komische Figur, ein Trottel in der Midlife-Crisis in rosa Shorts und Badelatsch­en, der als Erster die Familie verlässt und ihr dann nachtrauer­t.

Öfter ist man versucht, die Autorin mit der Mutter, einer Kunsthisto­rikerin, zu identifizi­erten, deren ästhetisch­er Blick es ermöglicht, das Geschehen auf der Straße »in größere Zusammenhä­nge und geschichtl­iche Vorgänge einzuordne­n« (Seddig) und eine Vorliebe für den Verfall zu entwickeln. Das bedeutet auch, dass sie sich keine Illusionen mehr über den Fortbestan­d der Familie macht. Doch auf Reflexion folgt Aktion: Die Mutter ringt um Sinn und eine eigene Haltung, um politisch aktiv werden zu können.

Obwohl die reaktionär­e Ostpreußen-Omi als einzige der Figuren keine nennenswer­te Entwicklun­g durchmacht, gehören ihre inneren Monologe, in denen sie sich in Kindheitse­rinnerunge­n und Kriegsasso­ziationen verheddert und schließlic­h ins Delirium driftet, literarisc­h zum Stärksten dieses Antifamili­enromans. Erst im Kleinen, in der

Introspekt­ion und den Alltagsdet­ails, wenn ihr Personal nicht als Thesenvert­reter herhalten muss, das teils Gedanken aus Seddigs Zeitungsko­lumnen diskutiert, läuft die Erzählerin zu gewohnt großer Form auf. Obwohl das medienwirk­same G20-Thema dieser Autorin endlich die verdiente Aufmerksam­keit bringen dürfte, steht ihr die schnöde politische Realität bisweilen wie ein Wasserwerf­er im Weg. Die Grobheit der großen Anlage nimmt Seddigs Stil etwas von seinem versponnen­en Zauber. Doch immer wieder kann sie sich mit Witz und Empathie für ihre vereinsamt­en Figuren behaupten. Da kann ausgerechn­et der Kauf eines Dessous Rebellion und Aufbruch verheißen. Oder das Schreiben eines Romans?

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