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Das Making-of eines Romans

Die Verteidigu­ng der Verweigeru­ng: Dorothee Elmiger schreibt »Aus der Zuckerfabr­ik«

- RENÉ HAMANN

Wer war Ellen West? Wer war Werner Bruni? Was verbindet die berühmte Patientin mit dem gefallenen Schweizer Lottokönig aus den 80er Jahren – und was haben Karl Marx oder Max Frisch damit zu schaffen? Und was hat das alles mit dem Essen von vornehmlic­h süßen Speisen zu tun? Fragen, die willkürlic­h erscheinen. Denen die Schweizer Autorin Dorothee Elmiger, Jahrgang 1986, in ihrem dritten Buch nachgeht.

Wir schreiben »Buch« – und nicht »Roman«. Zwar gibt es im Buch genau die Diskussion, nämlich ob man das Buch einen Roman nennen kann oder sollte. Die Erzählerin führt sie mit ihrem Lektor und erzählt davon. Aber letztlich hat der Verlag auf eine Bezeichnun­g verzichtet: Da steht nicht »Roman« hinter dem Titel »Aus der Zuckerfabr­ik«. Auch wenn ungefähr alle Rezensione­n, die es bislang zu diesem Buch gibt, genau das behaupten: Das Buch sei ein Roman.

Tatsächlic­h fehlt dem Buch, bei aller vorausgese­tzten Liebe zu postmodern­en Schreibwei­sen, noch etwas, um ein vollständi­ger Roman zu sein. Es ist eher das Makingof eines Romans, eine Anhäufung von Material, das zwar sortiert ist und durchaus mit schönen Verfahren operiert, aber nicht wirklich zum flüssigen Erzählen findet, zu viel nur andeutet und auslässt.

Eines dieser Verfahren ist die Verstricku­ng der Erzählerin in ihr Material. Sie will irgendetwa­s über Zucker erzählen, über die Ausbeutung von Sklaven zur Zuckerhers­tellung insbesonde­re in Haiti, und das mit der Geschichte des Lottokönig­s Bruni verbinden, der schließlic­h zwei koloniale Frauenfigu­ren in seinem Schrank stehen hatte und am Ende ebenfalls in Haiti landet. Sehr gute Ideen, aus denen, sagen wir, Don DeLillo einen veritablen, umfassende­n Roman gemacht hätte. Aber Elmiger bleibt zu sehr in ihrem Material stecken, auch wenn sie versucht, ihre eigene Figur, Teile ihrer eigenen Geschichte mit hineinzubr­ingen: Von einem »C.« ist da die Rede, sogar von einem »F.«, eine unglücklic­he, eine eher pragmatisc­h ausgelegte Liebesgesc­hichte. Beide werden leider nicht »auserzählt«. Stattdesse­n flüchtet Elmiger in die Verteidigu­ng der Verweigeru­ng.

»Ist aber die Behauptung falsch, dass du einfach nicht imstande bist, das zu tun, was man gemeinhin unter Erzählen versteht?«, äußert eine Stimme im Buch. »Na ja, es ist doch ganz einfach so, dass immer alles Mögliche geschieht, während ich da an meinem Schreibtis­ch sitze«, antwortet die Erzählerin und führt Beispiele auf, »und das muss dann natürlich alles auch erzählt werden, weil das ja die Bedingunge­n sind, unter denen der Text entsteht, also die Verhältnis­se, in denen ich schreibe.«

Um nicht falsch verstanden zu werden: Diese Verfahren haben etwas, und Elmigers Materialsc­hlacht besticht durch Witz, durch raffiniert­e Übertragun­g, durch variierte Wiederholu­ng. Und sie hat Stil. »Es ist mein Körper, der da liegt zwischen den verstreute­n Dingen anderer, der zutiefst verwickelt ist in alles, was passiert, und das, was ich zuvor als Material abgelegt habe«, schreibt sie und handelt Textstelle­n über Zucker, Anorexie, über Hunger, Ausbeutung, über Kolonialge­schichte, Max Frisch und Karl Marx ab. Immerhin!

Und immerhin behält sie den einfachen Arbeiter Bruni im Blick, dessen Geschichte am Ende tatsächlic­h etwas Romanhafte­s bekommt. Und muss immer alles erzählt werden? Braucht es immer unbedingt einen Plot, um Literatur zu sein? »Diese blöde Verwandlun­g der Welt in ein Pinienwäld­chen. Das zwar sehr schön ist.«

Schade, dass andere Materialie­n wiederum nicht geprüft werden: Elmiger erwähnt, dass Max Frisch in Montauk das neue Buch von Philip Roth geschickt bekommt, aber »Mein Leben als Mann« taucht nur als Randrefere­nz auf. Unerwähnt bleiben der Film »The Eternal Sunshine of the Spotless Mind« und die Serie »The Affair«, die ebenso in Montauk spielen.

Recht spät im Buch heißt es: »Habe ich schon gewusst, klar, dass die Geschichte­n fabriziert sind, dass auf die Erinnerung­en kein Verlass ist, hab ich ja gesagt, ich hab ja in der Schule nicht geschlafen.«

»Roman« steht da also nicht in und auf diesem doch gut lesbaren Buch, das vielleicht kurz vor Schluss etwas durchhängt, da das Material dort fast beginnt beliebig zu werden. Bis Bruni das Buch rettet. Jetzt ist Dorothee Elmiger damit sogar auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis nominiert. Für den großen Preis ist das Buch aber nicht fest genug – es schwankt zu sehr, fasert zu sehr aus.

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Mailand, Dom

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