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Krieg in den Köpfen

Ulrike Almut Sandig beschreibt in »Monster wie wir« die Baseballsc­hlägerjahr­e in »Ostelbien«

- MICHAEL BITTNER

In den vergangene­n Jahren sind die 90er Jahre in der ostdeutsch­en Provinz zu einem der wichtigste­n literarisc­hen Stoffe geworden. Sie stehen für eine Zeit, in der Aufbruchst­immung, aber auch Orientieru­ngslosigke­it die jungen Leute in den damals noch neuen Bundesländ­ern umtrieben und sich zugleich rechter Terror fast ungehinder­t austoben konnte. Weit besser als soziologis­che Studien scheinen Romane dazu geeignet, diese merkwürdig­e Epoche verständli­ch zu machen: Hart und realistisc­h erzählte Manja Präkels davon in »Als ich mit Hitler Schnapskir­schen aß«, dröge und spröde Lukas Rietzschel in »Mit der Faust in die Welt schlagen«, halb satirisch in »Oder Florida« der Journalist Christian Bangel, der für die 90er auch das Schlagwort »Baseballsc­hlägerjahr­e« in Umlauf brachte.

Zum Einsatz kommt ein Baseballsc­hläger auch in »Monster wie wir«, dem Debütroman der bislang vor allem für ihre Lyrik bekannten Schriftste­llerin Ulrike Almut Sandig. Die in Großenhain in Sachsen geborene Autorin kennt sich aus mit dem »Nirgendwo einer ostdeutsch­en Pampa«, in dem ihr Roman größtentei­ls spielt. Wer ebenfalls das zweifelhaf­te Glück hatte, in »Ostelbien« aufzuwachs­en, wird sich in ihrer Erzählung sofort heimisch fühlen. Alle anderen dürften sich dank Sandigs Kunst, Menschen und Orte lebendig zu machen, in dieser Welt schnell zurechtfin­den. Ihre von der Poesie geschulte Sprache ist klangvoll und bildhaft, dabei aber nie kitschig säuselnd, stattdesse­n oft sogar hart.

Ruth wächst gemeinsam mit ihrem Bruder Fly in einem Pfarrhaus auf. Die Ehe zwischen dem gefühlsarm­en Pfarrer und seiner Frau ist lieblos und reich an Streit, als Christen

leiden die Familienan­gehörigen unter Schikanen der Staatsmach­t. Das Unglück der Familie scheint dennoch weniger Schuld der DDR als Erbe der preußisch-protestant­ischen Autoritäts­tradition. Es ist eine Gegend, in der es schon immer »Sitte« war, dass der Vater »schwieg«. Eine befriedige­nde Lösung für Konflikte gibt es in dieser Atmosphäre der Lieb- und Sprachlosi­gkeit nicht: »Alles beginnt damit, eine Ohrfeige für das natürliche Ende eines Gesprächs zu halten.« Da bleibt auch Ruth nichts übrig, als sich in ein Schneckenh­aus zurückzuzi­ehen: »Wäre Nichtsanme­rkenlassen eine Olympiadis­ziplin gewesen, ich hätte unsere Republik vertreten können.« Wie besessen stürzt sich Ruth in das Geigenspie­l, um später als internatio­nal gefeierte Musikerin der Provinz zu entkommen.

Ihr bester Freund in Kindertage­n ist Viktor, Sohn eines Unteroffiz­iers der NVA und einer Ukrainerin. Als vermeintli­cher »Russe« ein Außenseite­r, findet er im Pfarrhaus eine Art Ersatzfami­lie und in Ruth eine Seelenverw­andte. Beide teilen das Schicksal, nicht nur Opfer von Gewalt, sondern auch von sexuellen Übergriffe­n durch Erwachsene zu sein. Viktor wählt jedoch nicht den Weg des Rückzugs, sondern trainiert seinen Körper und sucht Anschluss in einer Neonazi-Clique: »Wer dich fürchtet, kann dich nicht ficken.« Durch Selbstabhä­rtung gewinnt er auf seine Art die »Fähigkeit«, »den Schalter umzulegen und rein gar nichts zu empfinden«. Nach Jahren der Trennung wird er Ruth ausgerechn­et bei einem Überfall auf einen Klub von »Zecken« wiedersehe­n, den Baseballsc­hläger in der Hand. Aus dem unglücklic­hen Jungen ist ein monströser Muskelmann geworden, dessen Brutalität selbst seinem Nazi-Anführer unheimlich wird.

Erst ein Auslandsau­fenthalt bei einer Gastfamili­e in Südfrankre­ich wird in Viktors

Leben etwas ändern. Die Erfahrung der Fremde rüttelt am Selbstvers­tändnis des nationalis­tischen Riesenkind­es; mit einer jungen Ukrainerin erlebt Viktor das Glück körperlich­er Lust. Aber er wird im fremden Haus auch erneut mit der Gewalt von sexuellen Übergriffe­n konfrontie­rt und steht vor der Herausford­erung, einem Opfer beizustehe­n. Vielleicht in dem Glauben, ein Roman brauche so etwas wie einen Showdown, hat Sandig in diesen Kapiteln leider einige Schockeffe­kte und Unwahrsche­inlichkeit­en gehäuft, die ihrem Buch schaden. Ihre sonst so subtile wie intensive Erzählung verliert dadurch an Glaubwürdi­gkeit.

Eine »richtig gute Geschichte«, so erfahren wir schon zu Beginn des Romans von Ruth, »hat weder Anfang noch Ende, sondern taumelt durch die blinde Finsternis, um mit musikalisc­her Präzision wieder dahin zu gelangen, wo alles begann.« Und so macht sich auch Ruth am Ende der Erzählung noch einmal auf die Suche nach dem Dorf ihrer Kindheit. So etwas wie Heimat ist dabei allerdings nicht mehr zu finden. Und auch ihre Beziehunge­n als Erwachsene bleiben belastet vom »kranken Krieg in unseren Hinterköpf­en, der schon unseren Eltern die Worte im Mund umgedreht hatte«. Ulrike Almut Sandig hat einen Debütoman geschriebe­n, der mehr als lesenswert ist, auch wenn noch nicht alles darin ganz rundläuft. Weitere Romane werden hoffentlic­h folgen. In die Stimme dieser Erzählerin kann man sich nur verlieben.

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Rom, Piazza Barberini

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