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Eine falsche Fliege

Leander Fischer fischt um des Fischens willen: »Die Forelle«

- MICHAEL WOLF

Es ist eines der ungewöhnli­ches Debüts der Saison. Oftmals hangeln sich Autoren bei ihren ersten Büchern an den Eckpfeiler­n der eigenen Biografie entlang, was den Vorteil hat, dass sie ihr Material kennen und zu kontrollie­ren wissen, allerdings – so ein oft gehörter Vorwurf – auch den Nachteil, dass allzu oft nur das nicht besonders spannende Schicksal von Mittelschi­chtkindern in makellose Sätze gegossen wird.

Ganz anders Leander Fischer. Der 1992 im österreich­ischen Vöcklabruc­k geborene Autor hat im letzten Jahr beim Klagenfurt­er Bewerb den Deutschlan­dfunk-Preis gewonnen, nun reüssiert er mit einem Roman, dessen Umfang von fast 800 Seiten schon darauf hindeutet, dass Bescheiden­heit nicht Fischers Sache ist. Da will es einer wissen, da geht einer aufs Ganze – und dieses Ganze ist, schon das eine wirklich gute Pointe, das ganz Kleine: eine Fliege. Wobei: Nein! Nicht die Fliege, sondern ihr Imitat steht im Zentrum, ist Dreh- und vor allem Angelpunkt dieses Romans, geht es in »Die Forelle« doch ums Fliegenfis­chen.

Der Ich-Erzähler Siegi Heehrmann hat am Mozarteum studiert, es aber trotz bester Aussichten nicht zu einer Karriere als Solist gebracht. Stattdesse­n verschlug es ihn als Musiklehre­r in die oberösterr­eichische Provinz,

wo er sich über die Jahre mehr und mehr von seiner Frau und den zwei Söhnen entfremdet. Seine ganze Leidenscha­ft gilt nun dem Fischen.

Siegi geht bei Ernstl in die Lehre, ein Säufer und Gentleman, vor allem die uneingesch­ränkte Autorität auf dem Gebiet des Fliegenbin­dens. Denn hierin liegt die wahre Kunst dieses Sports: nicht im Fangen von Forellen, sondern in der perfekten Imitation eines Insekts. Fischers Roman ist nicht zuletzt eine Meditation über die Mittel und Ziele von Literatur und Kunst.

Die Mimesis, die Nachahmung der Natur, galt seit der Antike als vornehmste Aufgabe der Kunst. Leander Fischer führt all die Bemühungen zu ihrer Vervollkom­mnung vor. Die künstliche­n Fliegen mit schönen Namen wie Goldkopfny­mphe, Ritz D oder Red Tac bestehen aus Plastiktei­len, echtem Frauenhaar, dem Fell ertränkter Katzen oder den

Leander Fischer:

Drähten einer Stereoanla­ge, gestohlen aus dem Zimmer der Söhne. Es sind monströse Gebilde, zusammenge­sammelt aus einer Welt, auf der zu sein nur Sinn ergibt, wenn das finale Glück erreicht werden kann.

Siegi will der beste Fliegenfis­cher des Salzkammer­guts werden, will Ernstl als »Fliegenbin­depapst« ablösen. Was er als Musiker nicht erreicht hat, soll ihm nun beim Fischen gelingen. Um sich herum schart er eine Boheme aus Außenseite­rn, Althippies, Umweltschü­tzern und in der Provinz gestrandet­en Ästheten. Sie zetteln einen Kleinkrieg mit den alteingese­ssenen Dorfbewohn­ern an, die unsportlic­herweise Zuchtfisch­e in den Fluss setzen, um sich das Fangen zu erleichter­n.

Ernstl und Siegi verfolgen gänzlich andere Ziele, mithin eine Ästhetik des L’art pour l’art, entlassen ihre Fische sogleich wieder ins Wasser, zählt für sie doch das Erlebnis, nicht das Ergebnis.

Dieser Losung folgt auch der Autor. Fischer erzählt nicht stringent an einer Handlung entlang, er springt durch die Zeiten und Stile, variiert Sprachrhyt­hmus und Vokabular, lehnt sich oft an musikalisc­he Motive an. Jeder seiner mitunter halbseitig­en Sätze will eigentlich schon Roman sein: »Im Morgengrau­en fischte Ernstl ein, zwei, manchmal auch drei Stunden, taufrisch und unverwunde­n kämpfte er sich fassadenkl­ettersiche­r die jenseits des Dorfes gelegenen, verforstet­en Böschungen hinab ans Wasser, hie und da an Lianen, Zweige und Büsche fassend, legte er sogleich Finger an seiner Stange Korkgriff und barfüßig Dutzende Meter stromaufwä­rts zurück, durchs grundgesch­otterte Flussbett, mit hochgenade­lten, sicherheit­sgekrempel­ten Hosenbeine­n, ins hodenkrebs­kalte Erregungsg­ewässer hinein ...«

Fischer verfolgt Mimesis als stilistisc­hes Projekt, er sucht – und findet – für jede Szene, jedes Bild den passenden Rhythmus, versucht Siegis Streben nach Virtuositä­t zu beschreibe­n, indem er ganz zweifellos virtuos schreibt.

Diese formale Entscheidu­ng hat aber einen Preis, sie geht zulasten des Erzählflus­ses. Er stockt, während der Text mal tröpfelt, dann wieder tost und peitscht. Wenig gibt es, an dem man sich hier festhalten könnte. Man fragt sich mitunter bang, wohin all das führen soll. In die Literatur, mag die Antwort lauten, nur immer weiter in die Literatur!

Fischer ersetzt die Welt durch ihre kunstvolle Beschreibu­ng. Man mag das Selbstvert­rauen des Debütanten bewundern oder angesichts seiner Hybris den Kopf schütteln. Als sicher gilt, dass von diesem Autor noch viel zu erwarten ist.

Die Forelle. Wallstein, 782 S., geb., 28 €.

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