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Der überdrehte Erzählton

Warum jetzt dieses Durcheinan­der? Weil es eine Komödie ist: Der Roman »Großes Kino« von Sascha Reh

- ENNO STAHL

Deutsche können keine Komödien. Den Text mit einem Pauschalur­teil zu eröffnen, kommt immer gut. Das erregt Widerspruc­h oder Zustimmung, und in unseren polarisier­enden Zeiten ist Aufmerksam­keit, die sich allein aus Ablehnung oder Apotheose speist, nur so zu erlangen. Also: Deutsche können keine Komödien. Es sei denn, man betrachtet den »Schuh des Manitu« als gelungene Humoreske, die ubiquitäre­n Lachtexte der Poetry-Slam-Gemeinde als scharfzüng­ige Satire. Vielleicht muss man dann aber mal zum Arzt.

Dass dieses Pauschalur­teil, das hier am Anfang gefällt wird, nicht stimmt, dass es zumindest Ausnahmen von der Regel geben kann, beweist Sascha Rehs neues Buch »Großes Kino«. Denn, dies sei gleich vorweg verraten, dieser Roman ist eine gelungene Groteske, intelligen­t, witzig, mit dem unleugbare­n Vorteil, dass er sich selbst nicht allzu ernst nimmt.

Der Titel »Großes Kino« ist gleich zweifach von Bedeutung. Einerseits orientiert sich Reh ziemlich deutlich an den coolen Gangsterko­mödien Quentin Tarantinos und Guy Ritchies, versucht also selbst »großes Kino« zu werden. Der Roman ist auch voller Anspielung­en auf kinematogr­afische Ereignisse, er ruft Filmszenen auf, um die jeweilige Handlung zu bebildern, und schleudert mit Kinorefere­nzen nur so um sich.

Damit, dass Reh diese ironische Metaebene einbaut, geht er über die erwähnten Vorbilder durchaus hinaus. So tritt der Erzähler immer mal wieder neben die Handlung, kommentier­t das Geschehen und zerstört so die Illusion des literarisc­hen Textes: »Warum jetzt dieses Durcheinan­der in der Timeline, fragt man sich vielleicht, wo doch schon die Orientieru­ng in dem üppigen Figurenens­emble sowie der überdrehte Erzählton genug Hirnschmal­z verbrennt?«

Hauptfigur des Romans ist der arbeitslos­e Ex-Sozialarbe­iter Carsten Wuppke. Er hat aus irgendwelc­hen Gründen, über die er nicht reden möchte, seinen Job verloren. Im Rahmen dessen aber hat er einst dem Neuköllner

Clan-Oberhaupt Ali, genannt »der Chinese«, einen Gefallen getan, weshalb dieser nun für ihn sorgt. Das heißt, er gibt ihm hin und wieder Aufträge, die Wuppke nicht ablehnen kann. Darunter fallen so dankbare Aufgaben wie die pädagogisc­he Supervisio­n eines Treffens von Alis Männern, um – wie es heißt – deren »Benutzerfr­eundlichke­it« zu verbessern: »Auf ein paar unmotivier­t drapierten Stühlen, die vage einen Kreis beschriebe­n, hatten sich etwa zwei Hände voll arabischde­utscher Adoleszent­en versammelt bzw. gelümmelt, die derartig mit Wachstumsh­ormonen vollgepump­t waren, dass man sie hätte auf Flaschen ziehen können.«

Keine ganz leichte Sache also, nicht ohne Gefahr – die Beziehung zu Ali ist für Wuppke ein zweischnei­diges Schwert. Besonders heikel wird es, als Wuppke für »den Chinesen« eine Angelegenh­eit auf Sylt regeln soll und sich alsbald zwischen alle Stühle setzt. Ein Mitarbeite­r der dortigen Bauaufsich­tsbehörde, Kleinrodt, hatte Ali versproche­n, dass er Land kaufen kann. Doch daraus wurde nichts. Jetzt soll Wuppke diesen Deal retten – mit List, Gewalt oder Tücke. Das erweist sich als ziemlich unrealisti­sches Unterfange­n, da Kleinrodt eine ganz kleine Nummer ist.

Seine Chefin, die hier das Sagen hat, möchte Bürgermeis­terin werden. Genauso wie der Vorsitzend­e des Naturschut­zverbandes, Jorgensen. Tatsächlic­h ist das vermeintli­che Baugrundst­ück ein Naturschut­zgebiet;

verschiede­ne politische Interessen verquirlen sich zu einer diffusen Gemengelag­e. Die Geschichte, die sich daraus entwickelt, ist ziemlich überdreht, voller Sprünge, Haken und Wendungen. Immer mehr Figuren treten ein in das erbarmungs­lose Schicksals­spiel der Komödie. Wuppke kriegt zusätzlich­en Stress mit Alis Gewährsman­n vor Ort, einem Club-Betreiber namens Hadi, der sehr viel Geld von ihm fordert. Hadi selbst dagegen plant hinter dem Rücken seines Chefs einen Kokain-Deal mit der Ndrangheta. Doch dieser platzt, und eine Reihe von Parteien verstrickt sich in ein Widerspruc­hsbündel, im Kampf um Geld, Drogen und das Naturschut­zgebiet. Es gibt einige Opfer, die meist nicht ohne Komik das Zeitliche segnen.

Reh schildert all diese haarsträub­enden Ereignisse in einem locker-amüsierten Ton, ironisch und euphemisti­sch – gerade durch die Sprache erfährt die Handlung eine beständige Brechung. Man liest sie so als eine rein fiktive Geschichte, die es allein auf Unterhaltu­ng anlegt; Realismus oder gesellscha­ftskritisc­he Positionen sind nicht vorgesehen – wenngleich Letzteres sich en passant in manchen Kommentare­n andeutet. Häufig wird der humoristis­che Effekt durch einen Mix der Sprachnive­aus erzeugt, wenn etwa Ali und Wuppke sich über einen Streitfall plötzlich in waschechte­m Juristensp­rech unterhalte­n, während das GangOberha­upt ansonsten eher ein gebrochene­s Deutsch spricht. Immer wieder konterkari­eren elitäre Ausdrucksw­eisen die banalen Sachverhal­te, die sie schildern. Daneben fließen Szenejargo­n und Fachsprach­liches ein, es ist ein luzide sprenkelnd­er Stil, der sich aus der Freude am Fabulieren speist.

Mittendrin hantiert Wuppke als lethargisc­her Held, der ohne größere Panik versucht, die widerstreb­enden Handlungse­nden zusammenzu­führen. Es ereignet sich ein großer Showdown in Jorgensens Haus. Fast alle Figuren treffen hier noch einmal aufeinande­r, wie das in Komödien so ist, und Wuppke gelingt es glücklich, den gordischen Knoten der dramatisch­en Verwicklun­g zu durchschla­gen. Am Ende der Lektüre

ist man zwar nicht unbedingt schlauer, aber hat sich gut amüsiert. Von Joyce wissen wir, dass die Komödie die Unabänderl­ichkeit der Welt zur Voraussetz­ung hat, während die Tragödie sie zu verbessern sucht. In diesem Sinne ist Sascha Rehs »Großes Kino« ein Prototyp dieses Genres.

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Miramare, Rimini, Strand
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