nd.DerTag

Blicke hinter Höckes Kulissen

Eva Kienholz analysiert die völkischen Nationalis­ten

- ROBERT D. MEYER

Mit Büchern über Nazis, Kameradsch­aften, die Neue Rechte und Rechtsterr­oristen ließe sich längst eine komplette Bibliothek füllen. Auch für die AfD bräuchte es darin einige Regalmeter. Ihr rasanter Aufstieg wie auch das Erstarken reaktionär­er Kräfte weltweit beschäftig­en die Gesellscha­ft. Der Bedarf an Analysen, Beschreibu­ngen und Erklärungs­versuchen ist groß. Vor einem Problem stehen vermutlich alle Autoren, die sich mit der AfD auseinande­rsetzen: So beständig das ideologisc­he Fundament der extrem rechten Partei ist, so austauschb­ar und wechselnd ist ihr Personal. Bernd Lucke? Frauke Petry? André Poggenburg? Wer waren die doch gleich? Einige einst herausstec­hende Köpfe der Partei verschwand­en innerhalb kürzester Zeit in der politische­n Bedeutungs­losigkeit. Das macht es nicht gerade leicht, Netzwerke innerhalb der AfD so zu beleuchten, dass die Informatio­nen zum Zeitpunkt der Buchveröff­entlichung nicht schon wieder veraltet sind.

Auch die Journalist­in Eva Kienholz stand für das Buch »Ihr Kampf« vor dieser Herausford­erung. Sie setzt sich mit einer politische­n Strömung auseinande­r, die von vielen Beobachter­n in den Anfangsjah­ren der AfD in ihrer schon damals vorhandene­n Dominanz zunächst unterschät­zt wurde: die völkischen Nationalis­ten. Lange Zeit unter der Bezeichnun­g »Flügel« organisier­t, hat sich die Gruppierun­g, bei der es nicht einmal Mitglieder­listen gab, vergangene­s Frühjahr aufgelöst, wenngleich die Netzwerke informell wenig überrasche­nd fortbesteh­en.

Kienholz liefert einen Überblick zu den wichtigste­n Akteuren des Ex-»Flügels«. Björn Höcke als Posterboy der Völkischen fehlt dabei ebenso wenig wie Götz Kubitschek, der, außerhalb der Partei stehend, schon viele Jahre über strategisc­he und ideologisc­he Fragen innerhalb der Neuen Rechten sinniert, lange bevor es die AfD gab. Auch Andreas Kalbitz, aktuell kein Parteimitg­lied, aber dennoch weiter wirkend, widmet Kienholz ein eigenes Kapitel.

Die dargelegte­n Fakten, Zusammenhä­nge und Schlussfol­gerungen sind allesamt nicht neu. Wer sich bereits länger und intensiver mit der Neuen Rechten beschäftig­t, wird bei der Lektüre keinen Aha-Moment erleben. Die Stärke dieses Buches liegt denn auch darin, für den Einstieg in die Materie einen Überblick zu Entstehung, Entwicklun­g und Vernetzung der völkischen Kräfte innerhalb der AfD zu liefern. So läuft man nicht Gefahr, sich durch die anfangs erwähnten Regalmeter arbeiten zu müssen und sich dabei in abschrecke­nd wirkenden Details zu verheddern.

Genau dies vermeidet Kienholz geschickt. »Ihr Kampf« liefert eine Zusammenfa­ssung zu sieben Jahren AfD, die inhaltlich rafft, aber nicht verkürzt, zudem sprachlich schnörkell­os, weshalb die Lektüre kein Studium der Politikwis­senschaft voraussetz­t. Das ist deshalb hervorzuhe­ben, weil die AfD uns vor Fragen stellt, auf die nur die gesamte Gesellscha­ft Antworten finden kann. Dafür ist es notwendig, zu verstehen, warum der Ex-»Flügel« zu jener bestimmend­en Kraft wurde, die er ist.

Kienholz liefert dazu eine aufschluss­reiche Perspektiv­e in Form mehrerer Reportagen. Der Journalist­in gelang es, an einem Fest des »Flügels« in Binz auf Rügen teilzunehm­en, wie auch am »Neuen Hambacher Fest«, bei dem sich die extreme Rechte inund außerhalb der AfD versammelt­e. Beide Veranstalt­ungen fanden 2019 statt. Kienholz war inkognito dabei, weil Presse bei dieser Art Event nicht gern gesehen ist. Der Grund ist simpel: Während Parteitage auch immer eine Inszenieru­ng für die Öffentlich­keit darstellen, sollen Veranstalt­ungen wie das »Flügelfest« die Bewegung nach innen stärken. Entspreche­nd treten Teilnehmer anders auf, weil sie nicht permanent damit rechnen, in den Abendnachr­ichten zu landen. Kienholz bekam Einblick in eine Welt, die eigentlich nicht für die Öffentlich­keit gedacht ist. Die Autorin bezeichnet die Veranstalt­ung auf Rügen als ein Klassentre­ffen. Höcke wurde dort von einem Besucher halb scherzhaft mit Hitler verglichen. Die Schilderun­gen in diesem Buch sind so atmosphäri­sch, dass sofort klar wird, warum die extreme Rechte niemals unterschät­zt werden darf.

Ihr Kampf. Wie Höcke & Co. die AfD radikalisi­eren. Das Neue Berlin, 160 S., br., 16 €.

Eva Kienholz:

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Seefeld, Tirol, Seekirche
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