nd.DerTag

Von Cola di Rienzo bis Gauland & Co

Kolja Möller hat eine erhellende Geschichte des Populismus verfasst

- JOHANNA BUSSEMER

Populismus ist die politische Kommunikat­ion des kleinen Aufstands, Appell des Volkes gegen die Eliten. Kein neues Phänomen, sondern immerwähre­nder Bestandtei­l politische­r Prozesse. Das sind die Kernthesen von Kolja Möllers »Geschichte des Populismus«. Den im Titel des Buches verwendete­n Begriff »Katzenjamm­er« hat er sich bei Karl Marx ausgeliehe­n, der nach dem gescheiter­ten Volksaufst­and in Frankreich 1848 davon gesprochen hatte. Der Autor folgt Marx und Friedrich Engels auch in deren Fehleranal­yse hinsichtli­ch der Bedingunge­n für erfolgreic­he Aufstände. Es gebe den voluntaris­tischen Fehler, der die politische Veränderun­g vor allem auf den Volkswille­n zurückführ­e, den identitäre­n Fehler, der sich täusche, was die historisch­e Veränderba­rkeit von Gesellscha­ften betrifft, und den autoritäre­n Fehler, bei dem das Volk nur noch zur Unterstütz­ung von Führungsfi­guren herbeigeru­fen werde.

Anhand dieser Annahmen zeichnet Möller eine Linie vom späten Mittelalte­r bis in die Gegenwart. Er berichtet von einem zunächst erfolgreic­hen Volksaufst­and 1347 gegen die herrschend­en Adelsfamil­ien in Rom, in dessen Folge sich Cola di Rienzo zum Volkstribu­n stilisiert habe und schließlic­h nach nur einem guten halben Jahr Herrschaft das Capitol weinend wieder verließ; er hatte nicht vermocht, die Ziele des Aufstandes umzusetzen. Möller verweist auf Napoleon Bonaparte, der zunächst erfolgreic­h eine Querfront aus Soldaten, Bauern sowie Vertretern anderer Stände und Berufe geschmiede­t hatte, die ihren Platz in der modernen Gesellscha­ft nicht fanden – nur um sich an die Macht zu bringen und ein autoritäre­s Regime zu installier­en. Beleuchtet werden populistis­che Bewegungen in den USA im ausklingen­den 19. Jahrhunder­t, so unter der ländlichen Bevölkerun­g gegen das Establishm­ent und die städtische­n Eliten, die auf Kosten der Produzente­nmoral der Bauern lebten. Hier trafen, so Möller, religiöse, konservati­ve, liberale und sozialisti­sche Impulse aufeinande­r.

Mit einem Hechtsprun­g geht es dann in die jüngste Vergangenh­eit, nach Lateinamer­ika, wo einerseits die argentinis­chen Peronisten Volkes Wille innerhalb des neoliberal­en Projektes umzusetzen versuchten, anderersei­ts unter Hugo Chávez in Venezuela, Evo Morales in Bolivien und Rafael Correa in Ecuador linkspopul­istisches Regieren ausprobier­t wurde. Im Folgenden wird es besonders spannend: Nach einer erhellende­n Analyse aktueller populistis­cher Parteien und Bewegungen – die AfD unter Alexander Gauland & Co., der Front National unter Marine Le Pen, die Anhängersc­haft des US-Präsidente­n Donald Trump – diskutiert Möller, ob jenen ein linker Populismus entgegenge­setzt werden kann. Um dem Vorwurf einer Gleichsetz­ung zu entgehen, grenzt der Autor zunächst den gegenwärti­gen Rechtspopu­lismus vom historisch­en Faschismus ab. Rechter Populismus verschiebe Politik wieder stärker in Richtung Identität, Kollektiv oder Tradition, beziehe sich aber auf die Volkssouve­ränität und die Verfassung. Im Gegensatz zum Faschismus werde von Rechtspopu­listen heute der Gewalt keine schöpferis­che Kraft zugeschrie­ben. Damit sei der sogenannte kleine Aufstand bis ins linke und liberale Milieu anschlussf­ähig und erfolgreic­h. Trotzdem berge auch der aktuelle Rechtspopu­lismus Gefahren, beispielsw­eise wenn in den VisegradSt­aaten Verfassung­sänderunge­n initiiert werden sollen, womit die Möglichkei­t zur autoritäre­n Transforma­tion gegeben sei.

Am Beispiel der Proteste der französisc­hen Gelbwesten argumentie­rt Möller, dass der »kleine Aufstand«, das populistis­che Moment, weder zu verdrängen noch aus machtpolit­ischen Auseinande­rsetzungen wegzudenke­n sei. In Anlehnung an Chantal Mouffe und Ernesto Laclau könne dieser sogar als Lebenselix­ier der Demokratie angesehen werden – allerdings nur, wenn an die Stelle des vermeintli­ch homogenen Volkes ein heterogene­r, reflektier­ender Souverän trete. Ein »Volk der Leute«, das in der Unübersich­tlichkeit der Repräsenta­tionskrise der Demokratie ein neues Recht einfordert, das der neoliberal­en Globalisie­rung gegenübers­teht. Europäisch­e Parteien wie die spanische Sammlungsb­ewegung Podemos, die griechisch­e Syriza unter Alexis Tsipras oder die Labour-Partei unter Jeremy Corbyn hätten diesen Ansatz teilweise erfolgreic­h genutzt. Dem britischen Journalist­en Paul Mason folgend, schlägt Möller einen vernetzten Aktivismus vor, der sich pragmatisc­h entlang von Parteien organisier­t.

Dieses Buch bietet eine spannende, erkenntnis­reiche Lektüre. Historisch­e und aktuelle Entwicklun­gen sind gut und nachvollzi­ehbar beschriebe­n. Dass allerdings der »Nationalso­zialismus« hier keine Beachtung findet, lässt den Leser etwas ratlos zurück.

Volksaufst­and und Katzenjamm­er. Zur Geschichte des Populismus. Wagenbach, 160 S., br., 18 €.

Kolja Möller:

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