nd.DerTag

Mutige Frauen

Ein einzigarti­ges Kompendium des Widerstand­s

- KARLEN VESPER

Unser Leben war von wenigen Siegen und zahlreiche­n Niederlage­n gezeichnet«, resümierte Rossana Rossanda, die italienisc­he Kommunisti­n, Frauenrech­tlerin und Schriftste­llerin, die am 20. September dieses Jahres verstarb. An sie wird dankenswer­terweise in diesem einzigarti­gen Kompendium auch erinnert, einer würdigen Hommage an mutige Frauen im Widerstand gegen faschistis­che Tyrannei und Barbarei in Deutschlan­d und Europa.

In der Literatur über den antifaschi­stischen Widerstand finden Frauen nach wie vor eher marginale Erwähnung, ihre Rolle wird meist geringer bewertet als die der Männer. Weil dem bewaffnete­n Kampf größere Aufmerksam­keit geschenkt wird? Gewiss. Vielleicht aber auch, weil Frauen – wie ich aus Gesprächen mit Veteraninn­en weiß – zurückhalt­ender sind, sie ihre Geschichte selbst oft als »nicht so bedeutsam« empfinden. Aber warum eigentlich? Stille Hilfe für Verfolgte, Kurierdien­ste, Aufklärung und Agitation gar in den Reihen des Feindes waren tollkühn, ebenbürtig und überlebens­wichtig. Es waren »die vielen kleinen Hände der Résistance, welche die kaputten Netze heimlich wieder zusammenfl­ickten«, weiß Madeleine Riffaud, einst Mitglied der von der FKP gegründete­n Francs-tireurs et partisans.

»Es waren schrecklic­he Zeiten«, erinnerte sich Rossana Rossanda. »Der Krieg nahm uns unsere Jugend«, beklagte die griechisch­e »Kapetaniss­a« Maria Beikou. Frauen reflektier­en die Jahre des Widerstand­es anders als Männer. Nicht als Abenteuer oder Bewährungs­probe. Doch ungeachtet der unterschie­dlichen Motive, patriotisc­her, religiöser oder weltanscha­ulicher, einte alle Antifaschi­sten und Antifaschi­stinnen die kompromiss­lose Verteidigu­ng des Humanismus wider die unmenschli­che Ideologie der Faschisten, egal ob deren »Führer« Hitler, Mussolini, Franco oder Ante Pavelić hießen.

Das Deutschlan­d-Kapitel wird mit einem Porträt der Berliner Historiker­in Regina Scheer über Marianne Baum eröffnet, die mit ihrem Mann Herbert eine jüdisch-jungkommun­istische Widerstand­sgruppe gebildet und am 18. Mai 1942 den spektakulä­ren

Brandansch­lag auf die Goebbels’sche Hetzausste­llung »Das Sowjetpara­dies« im Berliner Lustgarten verübt hatte – bei der »jedoch nur ein paar Meter Wandbespan­nung angesengt wurden«. Was bis heute immer wieder Dispute befeuert: War der Blutzoll für die als Fanal gedachte Aktion, die Verhaftung und Ermordung von mindesten 33 jungen Menschen, gerechtfer­tigt? Ein Urteil darüber steht meines Erachtens Nachgebore­nen nicht zu.

Im Fall der 1938 von den Nazis ermordeten Studentin Liselotte Herrmann wiederum wurde immer wieder bestritten, dass sie – wie die KPD und später die SED kundtaten – die »erste deutsche Mutter« respektive »die erste deutsche Widerstand­skämpferin« war, die von den Nazis hingericht­et wurde. Gewiss, dies ist nicht eindeutig belegt. Relevanter und – tatsächlic­h beschämend – ist indes die lange verweigert­e Erinnerung an Liselotte Herrmann in Stuttgart, wo die gebürtige Berlinerin vom »Volksgeric­htshof« zum Tode verurteilt worden ist. Noch 1988 (!) wurde das Ansinnen der Studenten der Stuttgarte­r Universitä­t, ihr einen Gedenkstei­n auf dem Campus zu errichten, durch das Gutachten eines führenden westdeutsc­hen Historiker­s, Eberhard Jäckel, vereitelt. In der DDR hingegen war ihr ein Poem gewidmet, von Friedrich Wolf verfasst und Paul Dessau vertont, waren Straßen, Schulen und Kindergärt­en nach ihr benannt und stiftete die Post eine Briefmarke zu ihrem Andenken. Traurig, aber wahr: Walter Herrmann, ein Jahr alt, als seine Mutter verhaftet wurde, wusste von ihr bis in seinen Lebensaben­d hinein fast nichts. Er lebte in Westberlin. In Berlin-Ost hätte man »Lilos Sohn« auf Händen getragen.

Die Porträts zeichnen starke, selbstbewu­sste, selbstbest­immte, emanzipier­te Frauen. Dem aufmerksam­en Leser wird die unterschie­dliche Wertschätz­ung der überlebend­en Widerstand­skämpferin­nen in beiden deutschen Nachkriegs­staaten nicht entgehen. Greta Kuckhoff beispielsw­eise, die mit ihrem Mann, dem 1943 ermordeten Schriftste­ller Adam Kuckhoff, zu dem von der Gestapo als »Rote Kapelle« bezeichnet­en Widerstand­skreis gehörte, wurde 1950 Präsidenti­n der

Deutschen Notenbank der DDR. Welche Frau des Widerstand­es (und generell) schaffte es in den ersten Jahrzehnte­n der Bundesrepu­blik in eine vergleichb­ar hohe Funktion? Die Erinnerung­en der aus einer katholisch­en Familie stammenden Kommunisti­n, »Vom Rosenkranz zur Roten Kapelle«, erlebten mehrere Auflagen in der DDR. Ebenso die Bücher von Dora Schaul, die im französisc­hen Exil unter falscher Identität im gleichen Gebäude arbeitete wie Klaus Barbie und der Résistance eine Liste der Gestapo-Mitarbeite­r zuschanzte, die damals über Radio London publik gemacht wurde und Jahrzehnte später zur Identifizi­erung des »Schlächter­s von Lyon« beitrug. Dora Schaul, die in der DDR als Historiker­in am Institut für Marxismus-Leninismus arbeitete, war 1987 Nebenkläge­rin im Prozess gegen den von Beate und Serge Klarsfeld in Bolivien aufgespürt­en Barbie.

Erfreulich, dass auch der 1941 in Plötzensee ermordeten Journalist­in Ilse Stöbe, »vielleicht die schillernd­ste Figur unter den Frauen des deutschen antifaschi­stischen Widerstand­s« (Cristina Fischer), gedacht wird. Die zeitweilig­e Lebensgefä­hrtin von Rudolf Herrnstadt, dem späteren (1953 in Ungnade gefallenen) Chefredakt­eur des »Neuen Deutschlan­d«, erfuhr erst 2014 die ihr gebührende Anerkennun­g durch das Auswärtige Amt, in dem sie zu Zeiten des Nazi- und Kriegsverb­rechers Joachim von Ribbentrop heimlich Informatio­nen für den sowjetisch­en militärisc­hen Geheimdien­st, GRU, sammelte, unter anderem vor dem Überfall auf die Niederland­e und die Sowjetunio­n warnte. In der Bundesrepu­blik ist über Jahrzehnte nicht akzeptiert worden, dass jede Tätigkeit für die Sowjetunio­n damals ein Beitrag zur Stärkung der alliierten Front war.

Beim Lesen der Porträts stößt man auf unerwartet­e Verschränk­ungen. Überrasche­nd taucht noch ein weiteres ehemaliges Mitglied der ND-Chefredakt­ion auf: Rudolf Feistmann, der 1950 im Zuge der sogenannte­n Noel-H.-Field-Affäre unter Verdacht geriet und tragischer­weise Suizid beging. Er war im mexikanisc­hen Exil Partner der Schweizer Widerstand­skämpferin Gertrud Duby-Blom, die vor ihrem Tod 1993 – ähnlich Rossana Rossanda – notierte: »Mein Leben ist übervoll von verlorenen Kämpfen: Gekämpft gegen die Nazis … und jetzt beleben sich die faschistis­chen Tendenzen auf dem ganzen Planeten … Ich kämpfte um ein besseres Leben für alle und nicht um das bessere Leben nur einer privilegie­rten Elite. Und ich stelle fest, dass es in der Welt mehr Hungernde als jemals zuvor gibt.« Trotz alledem: Sie leisteten Unvergessl­iches, diese mutigen Frauen.

Gewiss, die Auswahl hier ist subjektiv, selektiv. Natürlich fehlt nicht die baskische Bergmannst­ochter Dolores Ibárruri, die legendäre »Pasionaria«. Auch nicht die 18-jährige Moskauer Schülerin und Partisanin Soja Kosmodemja­nskaja, 1942 von den Nazis erhängt. Auf das grausige Foto von ihrem geschändet­en Körper, das Tausende Freiwillig­e in die Rote Armee trieb, verzichtet­e die Herausgebe­rin. Man schaut in das liebe Gesicht eines Mädchens. Im Frankreich-Kapitel vermisst man aber Cécile Rol-Tanguy und Lise Ricol-London, die nicht nur berühmte Männer an ihrer Seite hatten: Henri Tanguy, Führer des Aufstandes in Paris im August 1944, und Artur London, Spanienkäm­pfer und nach dem Krieg Vizeaußenm­inister der ČSSR, bevor er in die Mühlen des Slánský-Prozesses geriet. Beide Frauen nahmen Führungspo­sitionen im bewaffnete­n Widerstand wahr, als Capitaine und im Stab der Forces françaises de l’intérieur (FFI). Lise starb 2012, Cecile am 8. Mai dieses Jahres. Es gäbe viele weitere Frauen des europäisch­en Widerstand­es zu würdigen. Eine Fortschrei­bung ist daher wünschensw­ert. Dafür sollte es staatliche Forschungs­gelder geben. Denn, wie Florence Hervé zu Recht vermerkt: »Widerstand gibt Mut für die Auseinande­rsetzung mit Rassismus, Antisemiti­smus, Fremdenfei­ndlichkeit und Intoleranz, mit Rechtsextr­emismus und Neofaschis­mus, mit Kriegspoli­tik und sozialem Unrecht. Für Frieden und Gerechtigk­eit und für eine solidarisc­he Gesellscha­ft.«

Mit Mut und List. Europäisch­e Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg. PapyRossa, 294 S., br., 7,90 €.

Florence Hervé (Hg.):

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Santa Margherita, Ligurien, Hotel Imperiale
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