nd.DerTag

Sie wollten nicht nur Opfer sein

Henning Fischer erinnert an die Frauen von Ravensbrüc­k

- PETER NOWAK

Ich habe daher eine Bitte. Gedenkt der Frauen nicht nur als Opfer. Gedenkt und würdigt auch ihren Mut, ihre Solidaritä­t und ihren Lebenswill­en.« Diesen Appell richtete Lisl Jäger während der Gedenkfeie­r zur Befreiung des Frauenkonz­entrations­lagers Ravensbrüc­k vor zehn Jahren an ihr Publikum. Die gebürtige Wienerin, die als Jungkommun­istin nach dem »Anschluss« Österreich­s an Nazideutsc­hland im antifaschi­stischen Widerstand tätig war, hat selbst die Hölle des Frauenkonz­entrations­lagers durchlitte­n und war nach der Befreiung Mitglied der Leitung der Lagerarbei­tsgemeinsc­haft in der DDR. Sie starb im vergangene­n Jahr in Berlin.

In einer Zeit, in der es immer weniger Überlebend­e faschistis­chen Terrors gibt, haben Historiker*innen eine noch größere Verantwort­ung, deren Geschichte zu bewahren und zu vermitteln. Sich dessen bewusst, hat Henning Fischer mit besonderer Akribie und Sorgfalt die neue Ausstellun­g in der Gedenkstät­te Ravensbrüc­k kuratiert. Erfüllt ist hier wie im gleichnami­gen Begleitban­d die zitierte Bitte von Lisl Jäger. Fischer würdigt die Ravensbrüc­kerinnen in all ihrer bewunderns­werten Aufrichtig­keit und Stärke, aber auch in ihrer Widersprüc­hlichkeit. Er spart Konflikte nicht aus, zeigt die Frauen als Kämpferinn­en für eine gerechte Gesellscha­ft, die sich nicht nur gegen den politische­n Gegner, sondern auch gegen männerdomi­nierte Strukturen in eigenen politische­n Zusammenhä­ngen durchsetze­n mussten. Fischer anerkennt, dass in der DDR die Geschichte des Widerstand­es größere Aufmerksam­keit erfuhr als in der Bundesrepu­blik. Er verweist aber auf die Verengung des Gedenkens in der offizielle­n Erinnerung­spolitik der SED und kritisiert, dass einige Opfergrupp­en, so die im NSJargon »asozial« genannten Verfolgten, fast völlig ausgeblend­et wurden.

Interessan­t sind die von Fischer skizzierte­n Dispute, die es nach der Befreiung vom

Henning Fischer (Hg.):

Faschismus in der an sich einigen Gemeinscha­ft der Ravensbrüc­kerinnen gab, etwa ob man vor Gericht einen KZ-Arzt entlasten dürfe, wenn man persönlich diesen eher als milde in Erinnerung habe. Zu Zerwürfnis­sen kam es beispielsw­eise auch im Zusammenha­ng mit dem Prager Frühling 1968. Die deutsche Ravensbrüc­kerin Rita Sprengel, die übrigens ihre KZ-Erlebnisse bereits 1949 mit »Im Schatten der eisernen Ferse« veröffentl­icht hatte, begrüßte in einem Brief an eine Freundin die sozialisti­sche Erneuerung­sbewegung im Nachbarlan­d, während bei anderen Befürchtun­gen überwogen. Rita Sprengel kritisiert­e auch frühzeitig autoritäre Entwicklun­gen in der DDR, weshalb sie einige Jahre aus der SED ausgeschlo­ssen war. Nach 1989 bedauerte sie, nicht radikalere Kritik geübt zu haben.

Als ein Beispiel für den beschämend­en Umgang mit den Ravensbrüc­kerinnen in der Bundesrepu­blik wird hier die Düsseldorf­er Ärztin Doris Maase vorgestell­t, die in den 50er Jahren als Kommunisti­n erneut kriminalis­iert wurde. Nach dem Verbot der KPD stellte sie sich als unabhängig­e Kandidatin zur Wahl für das Oberbürger­meisteramt, woraufhin man ihr willkürlic­h die Opferrente strich.

Frauen im Widerstand. Deutsche politische Häftlinge im Frauen-KZ Ravensbrüc­k. Metropol, 212 S., br., 22 €.

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