nd.DerTag

Ohne Hegel geht es natürlich nicht

Walter Jaeschke präsentier­t das Philosophi­eren eines 250-Jährigen

- HERMANN KLENNER

Der Titel dieser kleinen Würdigung ist nicht der hier zu besprechen­den Hegel-Monografie entnommen. Deren Autor, der wohl profiliert­este deutsche Hegel-Forscher der Gegenwart, hat diese Unentbehrl­ichkeitser­klärung nicht ein einziges Mal zitiert, wie man es hätte erwarten können. Walter Jaeschke, langjährig­er Direktor des Hegel-Archivs und Herausgebe­r der »Gesammelte­n Werke« Hegels, hat bereits vor geraumer Zeit in einem »Handbuch« das Leben, die Werke sowie die Schule des wirkungsmä­chtigsten deutschen Philosophe­n des 19. Jahrhunder­ts, den Friedrich Engels für »einen der gelehrtest­en Köpfe aller Zeiten« hielt, in Foliantenf­ormat ausgebreit­et.

Nun fasste er, anlässlich des 250. Geburtstag­es von Georg Wilhelm Friedrich Hegel 20 seiner in den letzten 20 Jahren veröffentl­ichten Aufsätze unkommenti­ert, aber gut strukturie­rt zusammen, ergänzt durch eine Erörterung des ihm fragwürdig gewordenen Epochenbeg­riffs »deutscher Idealismus«. Im Unterschie­d zu den ebenfalls empfehlens­werten Bändchen »Hegel für Eilige« von Udo Tietz und »Hegel. 100 Seiten« von Dietmar Dath richtet sich Jaeschkes neues Buch an bereits Sachkundig­e und an Detailprob­lemen Interessie­rte, erhebt also keinen populärwis­senschaftl­ichen Anspruch. Hier wird Authentisc­hes geboten – von einem weitgehend vorurteils­freien Autor.

Jaeschkes Darlegunge­n sind von keinem vordergrün­digen Aktualisie­rungsinter­esse geprägt. Er stellt nicht Hegel in seine Dienste, sondern stellt sich in den Dienst Hegels. Das kann man nicht von allen sagen, die des großen Denkers Ideen wachzuhalt­en oder zu kommentier­en sich vorgenomme­n oder auch angemaßt haben. Die Zahl derer, die für sich beanspruch­en können, Hegels Philosophi­eren, darunter seine »Phänomenol­ogie des

Geistes« von 1807 (mit dem »harten Wort, dass Gott gestorben ist«!), nachvollzi­ehen zu können, hält sich ohnehin in Grenzen. Wer jedoch in die wichtigste­n Gedankengä­nge Hegels und in die Prinzipien seines Denkens einzudring­en aus diesen oder jenen Gründen für wichtig hält, der wird bei Jaeschke bestens bedient. Sofern er sich freilich den sprachlich­en und gedanklich­en Anforderun­gen des Autors stellt. Es ist, wie kaum anders zu erwarten, keine leichte Kost, aber die Lektüre lohnt sich.

Erwähnt wird der Verursache­r des gegenwärti­gen Hegel-Booms in den USA, von dem auch die beste und umfänglich­ste Biografie der letzten Jahre stammt: Georgetown-Professor Terry Pinkard. Jaeschke scheint aber Hemmungen zu haben, die »linken« HegelDeute­r und -Bekenner wenigstens bibliograf­isch zu berücksich­tigen, obwohl doch Wilhelm Raimund Beyer, Hans Heinz Holz und Domenico Losurdo über die internatio­nale

Hegel-Gesellscha­ft in West wie Ost bedeutende Wirkungen erzielt haben. Was den von Jaeschke für dubios erklärten Begriff des »deutschen Idealismus« betrifft, so ist dieser nicht nur in der von Karl Ameriks herausgege­benen »Cambridge Companion to German ldealism« (2017) enthalten, sondern dort gar titelgeben­d. Der Begriff stammt von Engels, was vielleicht zu dessen Fragwürdig­keit beitrug – hat dieser doch die Nutzlosigk­eit aller philosophi­schen Anstrengun­gen von Kant bis Hegel behauptet, wenn deren Gedanken nicht im Kommunismu­s münden. Überliefer­t ist auch, dass Lenin in seine sibirische Verbannung Werke Hegels mitnahm, die später auch in seinem Arbeitszim­mer im Kreml standen.

Apropos: Das Zitat, mit dem diese Rezension überschrie­ben ist, hat ein einstiger Junghegeli­aner 1891, wenige Jahre vor seinem Tod, in einem Brief formuliert: »Ohne Hegel geht’s natürlich nicht.« Sein Name lautete Friedrich Engels.

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Amsterdam, Leidseplei­n

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