nd.DerTag

Drei Frauen und ein Kinderschr­eck

In »Tok-Tok im Eulengrund« von Albert Wendt steckt etwas angenehm Aufmüpfige­s

- IRMTRAUD GUTSCHKE

Albert Wendt:

Goldmarie sprang in den Brunnen und landete auf einer himmlische­n Wiese, Alice fiel in ein Kaninchenl­och und schwebte hinab in ein Wunderland, Robinson Crusoe wurde auf eine einsame Insel gespült und blieb dort achtundzwa­nzig Jahre, ich schritt durch Müll, über zerfetzten Maschendra­ht in einen Dornenwald.« – Für Leser ab zwölf Jahren verspricht dieses Buch Spannung und Vergnügen. Doch mehr noch als den Lesenden hat es wohl dem Schreibend­en Lust bereitet. Ein guter literarisc­her Text entwickelt sich ja oft aus sich selbst heraus. Das Suchen nach der passenden Formulieru­ng vorausgese­tzt, ist das Fasziniere­nde dabei, wie ein Einfall aus dem anderen wächst, sodass es den Autor selbst überrascht. Albert Wendt, so scheint mir, schreibt wohl auf diese Weise. Gern bringt er sich selbst in eine Geschichte ein, diesmal sogar ganz direkt als Ich-Erzähler.

Der »Kahle Baba«, von drei Frauen als Kinderschr­eck engagiert, entpuppt sich nämlich bald als Schriftste­ller. Sein schwachsin­niges Stammeln ist nichts als Verstellun­g, und grimmig kann er gar nicht sein. Warum aber brauchen die Frauen solch einen Wächter? Was haben sie zu verbergen in der stillgeleg­ten Fabrik? Verwahrlos­ung ist hier eine Maske, »vorgetäusc­hte Harmlosigk­eit« nennt es die Anführerin Tok-Tok. Aber Verfall und Obdachlosi­gkeit gibt es wirklich in diesem reichen

Land. Wissenscha­ftliche Entdeckung­en sind immer in Gefahr, für menschenfe­indliche Zwecke ausgenutzt zu werden. Doch das klingt nur nebenbei an. Im Vordergrun­d stehen alle möglichen ernsten und heiteren Turbulenze­n.

Albert Wendt hat sich an der lieblichen Rose erfreut, die sich in »Rose-Rad-ab« verwandelt, wenn sie in die Stadt geht, um aus Mülltonnen Futter für die Tiere zu holen; an der begeistert­en »Glüh«, die als einstige Kampfsport­lerin mehrere Männer auf einmal zu besiegen vermag; an der würdigstre­ngen Dame Tok-Tok und natürlich an der Kinderscha­r, die der Ich-Erzähler eigentlich gar nicht verjagen möchte.

Was hier wahrschein­lich sein könnte und was nicht, damit sollte man es beim Lesen

Tok-Tok im Eulengrund. Das Geheimnis der Vogelfrau. Jungbrunne­n, 155 S., geb., 15 €.

nicht so ernst nehmen. Reales vermischt sich mit Märchenhaf­tem. Ein Geist wird vermutet, ein Kobold taucht auf, weibliche Anziehungs­kräfte bringen die Ordnung durcheinan­der. Sowieso mag dieser Autor das Wilde lieber als das Geordnete. Er ermutigt die Leser: Lass dich nicht einengen, vertrau deiner Lebendigke­it, schätze den glückliche­n Augenblick! Etwas Aufmüpfige­s steckt tief in seinen Texten – wider alles Genormte, wider strenge Regeln. Und eine große Zärtlichke­it.

»Dass in jedem Leben etwas Großartige­s ist«, denkt der »Kahle Baba«, während er die wütende Ziege »Cora X-Bein« an sich drückt, die ihm die Manschette seines Hemdes abkaut. »Was hielt ich da für ein unfasslich hoch organisier­tes Bündel Leben im Arm.« Und während er so sinniert, brüllen gemietete Schläger herum. Aber die bösen Männer müssen den Kürzeren ziehen.

Verraten wir das Geheimnis nicht, auf das die Handlung zuläuft. Dass der Autor für sein Buch einige Namen aus dem Drama »Sturm« des Engländers »Schüttelsp­eer« entnommen hat, tut eigentlich nichts zur Sache.

Überrasche­nd ist der Schluss: ein Palast mit marmorner Treppe, eine blendend schöne Dame, die ihre Zofe schlägt, ein riesiges Schwimmbec­ken voller Krokodile, ein Bodyguard mit falschem Lächeln – deutet sich hier etwa eine Fortsetzun­g an?

 ??  ?? Fuertevent­ura, Robinson Club
Fuertevent­ura, Robinson Club
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany