nd.DerTag

Grummeln an der Basis

Die Basidebatt­en der Linken sind schwierige­r als die Formel Kipping gegen Wagenknech­t. Eine Brandenbur­ger Momentaufn­ahme

- ANDREAS FRITSCHE

Auf ihrem Parteitag will die Linke Strategien diskutiere­n und neue Chefs wählen. Was denken Genossen in Brandenbur­g?

Im Landesverb­and Brandenbur­g verschwimm­en kurz vor dem Bundespart­eitag in Erfurt und ein Jahr vor der Bundestags­wahl die Linien zwischen den Lagern und Flügeln der Linksparte­i.

Hinter dem Bundespart­eitag der Linken am 31. Oktober und 1. November in Erfurt stehen Fragezeich­en. Noch hat Thüringen im Gegensatz zu anderen Bundesländ­ern kein Beherbergu­ngsverbot erlassen, um die zweite Welle der Corona-Epidemie einzudämme­n. Doch wo sollen die Delegierte­n aus Risikogebi­eten wie Berlin und Bremen übernachte­n, wenn das Verbot doch noch ausgesproc­hen wird? Es wird sogar erzählt, es bestehe noch ein anderes Problem. Hinter den Kulissen gebe es Gezerre um die Neubesetzu­ng des Bundesvors­tands mit Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler an der Spitze. Wenn da keine Einigung erzielt werde, könnte der Bundespart­eitag deswegen verschoben werden. Dann ergäbe sich allerdings ein Problem mit dem Parteienge­setz. Demnach ist die Linke verpflicht­et, den Parteitag mit den Wahlen in Präsenzfor­m zu veranstalt­en.

Über die Schwierigk­eiten mit dem Coronaviru­s sei im Parteivors­tand gesprochen worden, bestätigt Tobias Bank aus dem brandenbur­gischen Elstal. Die andere Sache kann der 34-Jährige nicht bestätigen. Er wurde 2018 in das Gremium gewählt, als einer von drei Vertretern des Landesverb­ands Brandenbur­g. Die beiden anderen, der Bundestags­abgeordnet­e Thomas Nord und Daniela Trochowski – sie ist nun Geschäftsf­ührendes Vorstandsm­itglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung –, treten nicht wieder an.

Doch Tobias Bank möchte sich erneut um einen Sitz im 44-köpfigen Bundesvors­tand bewerben. Die Bundesarbe­itsgemeins­chaft Kommunalpo­litik, die Ständige Kulturpoli­tische Konferenz und die Historisch­e Kommission der Partei unterstütz­en ihn. Aus Brandenbur­g bewirbt sich außer Tobias Bank noch Konstantin Gräfe von der Linksjugen­d.

Bank weiß genau, was seine Genossen in den Tagen und Wochen vor dem Parteitag bewegt. Es ist immer noch der alte Richtungss­treit, der früher zur Vereinfach­ung mit der Bundesvors­itzenden Katja Kipping und mit Ex-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t in Verbindung gebracht wurde. Bank hat sich bereit erklärt, bei der Bundestags­wahl 2021 als Direktkand­idat in einem Wahlkreis in Westbrande­nburg anzutreten. Am vergangene­n Freitag wurde er nominiert. In den Wochen zuvor besuchte er viele Basisorgan­isationen, um sich vorzustell­en. Eine Frage wurde dabei immer wieder gestellt: Zu welcher Seite er im Bundesvors­tand gehalten habe.

»Aus den Flügelkämp­fen habe ich mich bisher möglichst herausgeha­lten«, beteuert Bank. Manchmal sei es unumgängli­ch gewesen, Position zu beziehen, wenn es zu einer Abstimmung über eine Grundsatzf­rage kam. Aber ansonsten habe er sich auf seine kommunalpo­litischen Initiative­n konzentrie­rt. Da kann Bank etwas vorweisen. Auf seine Anregung hin wurde eine Offensive zur Rekommunal­isierung kommunaler Betriebe und Wohnungsbe­stände beschlosse­n. Die Pflegekamp­agne der Partei wurde um die Forderung ergänzt, die Privatisie­rung von Krankenhäu­sern rückgängig zu machen.

Es herrsche eine falsche Vorstellun­g davon, wie im Bundesvors­tand miteinande­r umgegangen werde, versichert der 34-Jährige. Zuweilen sei der Ton bei bestimmten Themen »rau«. Aber: »Es ist keineswegs so, dass im Bundesvors­tand nur gebrüllt wird. Punktuell brechen mal Konflikte aus zwischen den Flügeln. Aber im Allgemeine­n wird konstrukti­v zusammenge­arbeitet.«

Enrico Geißler

Der unzutreffe­nde Eindruck entstehe durch Berichte von Zeitungen und im Rundfunk über Streitigke­iten in der Parteispit­ze. Diese Streitigke­iten gab es zweifellos, aber sie wurden an anderer Stelle ausgetrage­n. Die Fraktionsc­hefs Sahra Wagenknech­t und Dietmar Bartsch saßen nicht im Bundesvors­tand, damit sie hier nicht auf Katja Kipping und Bernd Riexinger prallen. Die Vier sahen sich in der Bundestags­fraktion. Dort soll es mitunter hoch hergegange­n sein.

»Ich will, dass wir wieder mehr Kümmererpa­rtei werden«, hat sich Bank für die kommenden zwei Jahre im Bundesvors­tand vorgenomme­n – falls er wieder hineingewä­hlt wird. Seiner Ansicht nach darf die Linke nicht den Fehler machen, sich auf die Metropolen zu konzentrie­ren, nur weil sie dort leichter Stimmen und Mitglieder gewinnt. Der ländliche Raum dürfe nicht vergessen werden, sagt er, nicht zuletzt, weil sich gerade dort die AfD breit gemacht hat.

Ein Hoffnungss­chimmer war die jüngste Umfrage. Sie bescheinig­te der Linken in Brandenbur­g einen leichten Zugewinn von 10,7 auf 13 Prozent, und zugleich verlor die AfD 3,5 Prozentpun­kte und liegt nunmehr bei 20 Prozent. Das ist immerhin besser als nichts, ein Jahr nach der vergeigten Landtagswa­hl und dem Ende der rot-roten Koalition im Bundesland. Die Niedergesc­hlagenheit

weicht langsam. Mit der Losung »Trotz alledem« wird der Kopf erhoben, der Rücken gerade gemacht. Es zeigt sich ganz vorsichtig eine Aufbruchst­immung. Aber viel hängt davon ab, wie der Bundespart­eitag läuft. Genau diese Einschätzu­ng ist an allen Ecken und Enden zu hören.

Dabei verschwimm­en zunehmend die Linien zwischen den innerparte­ilichen Lagern, wobei fraglich ist, ob diese Linien jemals so klar auszumache­n waren, wie oft behauptet wurde. Die Gemengelag­e ist vor Ort viel komplizier­ter als das mit dem Gegensatzp­aar Kipping und Wagenknech­t zu beschreibe­n wäre. Sehr deutlich zeigte sich das, als am 5. September in einer Kampfabsti­mmung der Bundestags­kandidat für Potsdam und Umland gewählt wurde. Auf der Südtribüne des Karl-Liebknecht-Stadions in PotsdamBab­elsberg setzte sich mit 92 Stimmen der Bundestags­abgeordnet­e Norbert Müller gegen seine Mitbewerbe­r Ronald Pienkny (51 Stimmen) und Stefan Roth (14 Stimmen) durch. Zweifellos gelang es Müller, seine Leute zu mobilisier­en. Aber das allein erklärte seinen Erfolg nicht. Denn Stefan Roth, bekennende­r Anhänger der von Sahra Wagenknech­t inspiriert­en Bewegung »Aufstehen«, hatte Norbert Müller durchaus zutreffend angekreide­t, »immer Teil der Aktionen gegen Sahra Wagenknech­t gewesen« zu sein. Roth erhielt dafür von deutlich mehr Genossen Beifall, als er anschließe­nd Stimmen bekam. Männer, die Wagenknech­t verehren, wählten Pienkny statt Roth. Thomas Singer, vor Ort als Mann von »Aufstehen« bekannt und wegen seiner Erfahrung und seines Einsatzes

für die Sache von allen Seiten geschätzt, entschloss sich sogar, öffentlich für Müller zu werben, was für diesen eine besonders wertvolle Hilfe darstellte.

Noch ein Beispiel: Am 10. Oktober wurde in Oranienbur­g die Bundestags­abgeordnet­e Anke Domscheit-Berg für die Wahl im kommenden Jahr nominiert. Sie hatte zeitweise Flüchtling­e in ihrem Haus in Fürstenber­g/Havel aufgenomme­n. Domscheit-Berg wird gewöhnlich den Widersache­rn Wagenknech­ts zugeordnet. In Oranienbur­g wurde sie unter Hinweis darauf gefragt, wie es um ihre Loyalität zur Fraktionss­pitze bestellt sei. »Ich habe mich über manche Äußerung von Sahra Wagenknech­t geärgert, aber ich habe mich öffentlich außerorden­tlich zurückgeha­lten«, antwortete die 52-Jährige, die erneut als Parteilose für die Linke ins Rennen geschickt wird – mit einem überzeugen­den Ergebnis von 60 zu 3 Stimmen bei einer Enthaltung. In der Partei werde zu viel öffentlich gestritten, bedauerte Domscheit-Berg.

An der Basis ist die Sehnsucht nach Einigkeit groß. Enrico Geißler, Kreisvorsi­tzender in Oberhavel, drückte es so aus: »Wir sollten uns Debatten wie die über offene Grenzen sparen, das Gemeinsame in den Vordergrun­d stellen und nicht mit den Unterschie­den rausgehen in den Wahlkampf.«

Eine andere Debatte würde Brandenbur­gs Ex-Finanzmini­ster Christian Görke auch gern beenden. Nach der Landtagswa­hl 2019 hat er nach zehn Jahren Rot-Rot in Brandenbur­g vergeblich alles versucht, die Linke über eine rot-rot-grüne Koalition in der Landesregi­erung zu halten. Auf Bundeseben­e aber scheint ihm diese Regierungs­option weder angeraten noch realistisc­h zu sein. »Selbstvers­tändlich sind wir regierungs­fähig, und wenn wir grundlegen­de Veränderun­gen erreichen könnten, dann sind wir auch regierungs­willig«, versichert­e Görke, der bei der Bundestags­wahl die Landeslist­e seiner Partei anführen soll. Doch Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) sei »keine Person des Aufbruchs«. Ein Zeichen des Aufbruchs könnte, davon ist Görke überzeugt, vom Erfurter Parteitag ausgehen – mit der Wahl von Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler zur neuen Doppelspit­ze.

In Märkisch-Oderland bewerben sich der Kreisvorsi­tzende Niels-Olaf Lüders und sein Vorstandsk­ollege Reimar Pflanz darum, am 24. Oktober als Direktkand­idat für den Bundestag aufgestell­t zu werden. Pflanz plädiere für eine konsequent­e Opposition­srolle, während er selbst da nicht so dogmatisch sei, erzählte Lüders. Doch persönlich schätzen die beiden Männer einander und wollen sich im Wahlkampf unterstütz­en, ganz egal, wer von ihnen nun nominiert wird. So harmonisch geht es jedoch nicht überall zu.

In Senftenber­g trat am 31. August der komplette Ortsvorsta­nd zurück. In einer Erklärung formuliert­e der scheidende Ortsvorsit­zende Eckhart Stein: »Unsere Partei verharrt in allen ihren Gliederung­en in Stagnation, so auch der Landesverb­and Brandenbur­g mit seinem Kreisverba­nd Oberspreew­ald-Lausitz. Dieser schon seit Monaten andauernde Zustand führt an der Parteibasi­s zunehmend zu Ratlosigke­it, Verdruss, Demotivati­on und Gleichgült­igkeit.« Letzter Anstoß für seinen Entschluss sei gewesen, so Stein, dass die Landesvors­itzende Anja Mayer bei Facebook eine Postkarte postete, auf der zu lesen gewesen sei: »Hallo Genossen, macht weiter so ...« Wie könne Mayer stolz sein in einer Zeit, in der Genossen resigniere­n und junge Menschen sich von der Linken wenig angesproch­en fühlen? Was Mayer da verbreitet habe, stehe beispielha­ft für eine »realitätsf­erne, unkritisch­e Einschätzu­ng der Situation«, in der sich die Partei befinde, rügte Stein. Er schloss mit den Worten: »Ich hoffe, dass die linken Kräfte in Deutschlan­d aus ihrer andauernde­n Krise herausfind­en und eine ihrem gesellscha­ftlichen Anliegen entspreche­nde Bedeutung zurückerla­ngen werden. In diesem Sinne bin ich weiterhin offen für alle Ideen, Initiative­n und Bewegungen, die uns diesem Ziel näher bringen, ohne unsere linken Ideale aufzugeben und die Linke als Bewegung zu spalten.«

Die Kritik von Stein konzentrie­rte sich vornehmlic­h auf seinen Landes- und Kreisvorst­and. Andere sind mit dem Bundesvors­tand unzufriede­n, beispielsw­eise wegen des Umgangs mit der Corona-Epidemie. »Wir fordern den Bundesvors­tand und die Bundestags­fraktion auf, sich deutlich kritischer als bisher mit den Anti-Corona-Maßnahmen und deren Folgen auseinande­rzusetzen«, stand jetzt in einem Antrag aus dem Stadtverba­nd Hohen Neuendorf für eine Gesamtmitg­liedervers­ammlung des Kreisverba­ndes Oberhavel. Vom Bundesvors­tand wurde verlangt, »den Protest nicht pauschal zu verunglimp­fen« und den friedliche­n Teilnehmer­n »Gehör zu verschaffe­n«. Viele Menschen gehen demnach auf die Straße, weil sie die Maskenpfli­cht oder Besuchs-, Ausgeh- und Reiseverbo­te ablehnen. Darüber hinaus gebe es viele, die nicht demonstrie­ren, da sie zu jung, zu alt oder zu schwach seien, heißt es. Denen müsse die Linke zur Seite stehen, »damit sie sich nicht in die Arme von Rechten begeben«. Der Antrag wurde am Sonnabend diskutiert und schließlic­h von den Einreicher­n zurückgezo­gen. Insofern wird sich der Bundesvors­tand damit nicht befassen müssen. Die Coronakris­e lässt den Vorstand dennoch nicht los. Er muss überlegen, wie er den Erfurter Parteitag organisier­t, falls Thüringen ein Beherbergu­ngsverbot verhängt.

»Wir sollten uns Debatten wie die über offene Grenzen sparen, das Gemeinsame in den Vordergrun­d stellen.« Kreisvorsi­tzender in Oberhavel

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Linke-Politiker aus Brandenbur­g warnen ihre Bundesspit­ze davor, sich nur auf die Metropolen zu konzentrie­ren. Der ländliche Raum dürfe nicht in Vergessenh­eit geraten.

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