Wolle mer se reinlasse?
In der Corona-Debatte wächst der Widerstand gegen das Beherbergungsverbot
Berlin. Wer darf wo wie rein und raus, muss draußen bleiben, in Quarantäne ausharren oder auch nicht – und warum das alles? Das Wirrwarr um die Beherbergungsverbote und die Proteste dagegen muten slapstickhaft an und verleiten dazu, den Mainzer Karnevalsklassiker »Wolle mer se reinlasse?« zu zitieren.
Die Sache ist allerdings ernst, die Diskussionen um die Beschränkungen und die Kritik daran reißen nicht ab und drohen im schlimmsten Fall die Anti-Corona-Maßnahmen insgesamt zu delegitimieren. Offenbar sieht das die Kanzlerin ähnlich. Wenn sie an diesem Mittwoch mit den Ministerpräsidenten über das weitere Vorgehen in der Coronakrise
berät, gibt sie sich nicht mit einer Videokonferenz zufrieden, sondern lädt erstmals seit vier Monaten wieder nach Berlin zur direkten Begegnung ein. Kanzleramtschef Helge Braun habe in einer Schalte mit den Staatskanzleichefs der Bundesländer die Notwendigkeit physischer Anwesenheit mit der dramatischen Infektionslage hierzulande begründet, heißt es. In der »Bild«-Zeitung wird bedeutungsschwer sogar eine offene Debatte mit möglicherweise »historischen Dimensionen« angekündigt.
Ob es der Kanzlerin tatsächlich gelingen wird, Bund und Länder auf eine Linie zu bringen, hängt zum größten Teil vom Entgegenkommen
der Ministerpräsidenten ab. Hauptsächlich in deren Kompetenz und nicht bei der Bundesregierung liegt schließlich die konkrete Ausgestaltung von Einschränkungen und Schutzmaßnahmen. Und da lagen die Vorstellungen am Dienstag noch kilometerweit auseinander. Während etwa Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig das Beherbergungsverbot verteidigte, bekräftigte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) seine Kritik daran. Neben Thüringen wollen nun auch Nordrhein-Westfalen und RheinlandPfalz die Frage »Wolle mer se reinlasse?« mit Ja beantworten.
Die Beherbergungsverbote in vielen Bundesländern sorgen für reichlich Zwist. Einen Ausweg aus der ziemlich verfahrenen Situation sollen Bund-Länder-Beratungen aufzeigen. Doch das wird wohl nicht ganz einfach.
Wenn sich am Mittwoch Angela Merkel (CDU) – wie es heißt, auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin – wieder einmal von Angesicht zu Angesicht mit den Ministerpräsidenten trifft, um über das Vorgehen gegen die Covid-19-Pandemie zu beraten, stehen der Kanzlerin alles andere als einfache Gespräche bevor. Nach den heftigen Diskussionen der letzten Tage um die von vielen Bundesländern erlassenen Beherbergungsverbote dürfte dieses Thema auch bei den Bund-Länder-Beratungen bestimmend sein – und bei den bisher zum Vorschein getretenen divergierenden Interessen eine einheitliche Linie zu finden, wohl nicht einfach werden.
Auch wenn diese im Vorfeld durchaus vehement gefordert wurde. So verlangte etwa der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Ralph Brinkhaus (CDU), am Dienstag ein »klares Signal gegen die Kleinstaaterei«. CSU-Chef und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder erwartet gar einen »großen Wurf«. Am Dienstag betonte er, Bund und Länder müssten einen gemeinsamen Regelungskanon beschließen, um auch die Bevölkerung für die kommenden Wochen zu motivieren. »Wir müssen der Wahrheit ins Auge schauen, wir sind in einer sehr ernsten Lage. Wir sind kurz davor, die Kontrolle zu verlieren«, so Söder. Um diese Entwicklung zu stoppen, brauche es Einheitlichkeit auch in den Regionen, in denen die Fallzahlen derzeit noch niedrig seien.
In der Frage des Beherbergungsverbots signalisierte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) am Dienstag kein Entgegenkommen und lehnte eine Lockerung der strengen Einschränkungen für das Gastgewerbe in ihrem Bundesland ab.
Eine dieser Regionen ist zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern. In der Frage des Beherbergungsverbots signalisierte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) am Dienstag allerdings kein Entgegenkommen und lehnte eine Lockerung der strengen Einschränkungen für das Gastgewerbe in ihrem Bundesland ab: »Wir sind mit unseren strengen Regeln von Anfang an gut gefahren«, erklärte sie in der ARD. Ebenso will auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Beherbergungsverbot festhalten, befürwortet aber durchaus möglichst einheitliche Reiseregelungen in den 16 Ländern. Aber auch er sagte: »Das wird eine schwierige Kiste morgen.«
Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums wiederum steht zum Beispiel Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD): »Das Beherbergungsverbot macht keinen Sinn und schafft nur Verwirrung und Unverständnis«, erklärte der Politiker gegenüber dem Portal »ThePioneer«. Ebenso ablehnend steht die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen dem Beherbergungsverbot gegenüber, das man auch weiterhin nicht umsetzen werde, wie NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Dienstag in Düsseldorf ankündigte. Solche Verbote machten nach seinem Wissen »keinen Sinn, weil sie nicht dazu beitragen, die Ansteckungsketten zu verlangsamen«.
Druck, die Beherbergungsverbote zu kippen, bauen auch vor allem Interessensvertreter der Tourismusbranche und Wirtschaftspolitiker auf. Der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß (CDU), etwa forderte, dass das Beherbergungsverbot noch einmal auf den Prüfstand müsse. Gerade Hotels hätten in einem großen Kraftakt die Hygienemaßnahmen umgesetzt und für Sicherheit gesorgt, erklärte Bareiß über den Kurznachrichtendienst Twitter. CDU-Mittelstandpolitiker Carsten Linnemann bezeichnete die Beherbergungsverbote als »Fehler«. »Diese Maßnahme muss weg. Sie ist alles andere als zielgerichtet, sie dürfte kaum Wirksamkeit entfalten«, sagte er der »Passauer Neuen Presse«.
Auch die Linke im Bundestag wandte sich am Dienstag gegen die Beherbergungsverbote – und das Gebaren der politisch Verantwortlichen. Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, erklärte, Debatten und Profilierungsversuche im Vorfeld der Bund-Länder-Konferenz würden »leider immer schriller und nicht gerade zielführender«. Oberstes Gebot sei der Schutz der Menschen aus Risikogruppen und die Solidarität aller. »Um dies zu erreichen, müssen die Regeln und Maßnahmen, die nachweislich etwas gegen die Ausbreitung der Pandemie bringen, angewendet und konsequent durchgesetzt werden«, fordert Korte. Dafür brauche es Transparenz und Klarheit. »Unsinnige Beherbergungsverbote, die mehr als Bestrafung, anstatt als sinnvolle Maßnahme wahrgenommen werden, gehören nicht dazu und haben ein Chaos angerichtet, das rasch beendet werden muss«, so Korte.