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Stahlknech­ts Selbstvert­eidigung

Immer wieder werden rechte Vorfälle bei der Polizei bekannt. Einige Innenminis­ter sehen sich inzwischen zum Handeln gezwungen. Innenminis­ter von Sachsen-Anhalt will nach Antisemiti­smus-Vorfall nun doch eine Polizei-Studie

- MAX ZEISING

Der sachsen-anhaltisch­e Innenminis­ter Holger Stahlknech­t kündigt umfassende Aufklärung über rechte Umtriebe in der Polizei an. Die opposition­elle Linksparte­i traut dem CDU-Politiker jedoch schon lange nicht mehr über den Weg.

Holger Stahlknech­t wirkte angespannt, als er am Montagnach­mittag vor die Presse trat. Der Innenminis­ter von Sachsen-Anhalt nahm noch einen Schluck Wasser, wohl wissend, dass er sogleich Unangenehm­es zu verkünden hatte. Vor ihm auf dem Tisch lag der Ausdruck einer E-Mail, die Stahlknech­t nach eigener Aussage am vergangene­n Freitag gegen 9.30 Uhr empfangen hatte. Am 9. Oktober also, dem Jahrestag des Halle-Anschlags. Ausgerechn­et. In der Mail ging es um einen abermalige­n Antisemiti­smus-Vorwurf gegenüber der Polizei. Diesmal, und das machte die Sache besonders, wurde der offenbar aus den eigenen Reihen, also von einem Polizisten selbst erhoben.

Der Minister legte sich das Papier akkurat zurecht, verschränk­te die Arme und las vor: »Da momentan über Herrn Innenminis­ter debattiert wird, möchte ich zusätzlich noch etwas loswerden«, zitierte er den anonymen Verfasser. Demnach sei in der Bereitscha­ftspolizei Magdeburg der dortige Imbiss »stets« als »Jude« bezeichnet worden. Die komplette Dienstelle habe diesen Umstand gekannt und nichts zur Unterbindu­ng unternomme­n oder Strafverfa­hren eingeleite­t. »Dieser institutio­nelle Antisemiti­smus muss aufhören«, heiße es in der Mail.

Nach ersten Ermittlung­en hätten sich die Vorwürfe bestätigt, erklärte Stahlknech­t. Der Inhalt der E-Mail erschütter­t allein schon deshalb, weil der Verfasser offenbar auf einen seit Jahrzehnte­n anhaltende­n Skandal aufmerksam macht. Das antisemiti­sche Stereotyp gegenüber dem Imbiss bestehe schon seit den 90er Jahren, sagte Christiane Bergmann, die Abteilungs­leiterin für Öffentlich­e Sicherheit und Ordnung im Innenminis­terium.

Stahlknech­t sah sich genötigt, Antisemiti­smus in der Polizei nun doch umfassende­r als ursprüngli­ch gewollt zu bekämpfen.

Demnach habe das Land Sachsen-Anhalt nicht nur eine Sonderkomm­ission eingericht­et, sondern werde sich auch an der niedersäch­sischen Studie zu extremisti­schen Einstellun­gen in der Polizei beteiligen. Eine bemerkensw­erte Kehrtwende, hatte der Minister zuvor eine solche Studie doch stets abgelehnt mit der Begründung, in der Bevölkerun­g dürfe nicht der Eindruck entstehen, die Polizei sei rechtsextr­em.

Ob nun diese Rolle rückwärts gelingt, wird sich jedoch erst zeigen. Denn Stahlknech­t steht nach einigen Fehltritte­n auch selbst in der Kritik. Der Präsident des Zentralrat­s der Juden, Josef Schuster, forderte jüngst seinen Rücktritt, nachdem Stahlknech­t erklärt hatte, die zusätzlich geleistete­n Arbeitsstu­nden zum Schutz jüdischer Einrichtun­gen könnten dazu führen, dass die Polizei anderswo nicht rechtzeiti­g zur Stelle sei. Stahlknech­t hatte sich daraufhin entschuldi­gt und betont, er sei missversta­nden worden.

Stahlknech­t war auch bereits Ende vergangene­n Jahres wegen einer umstritten­en Personalie unter Druck geraten. Der Polizeigew­erkschafte­r Rainer Wendt hatte ein Angebot aus der Landesregi­erung in SachsenAnh­alt erhalten, Staatssekr­etär im Innenminis­terium zu werden. Nach Protesten, unter anderem von Politikern der SPD und der Grünen, wurde daraus jedoch nichts. Sie wiesen darauf hin, dass Wendt in den vergangene­n Jahren unter anderem durch Ressentime­nts und Vorverurte­ilungen aufgefalle­n sei. Wendt ist ebenso wie Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) zudem ein vehementer Gegner von kritischen Studien zur Polizei.

Nun wirkte Stahlknech­t am Montag auf der Pressekonf­erenz sichtlich angezählt. Man merkte: Da saß ein Minister im Selbstvert­eidigungsm­odus, der sich offenbar genötigt fühlte, nicht nur über den Vorfall, sondern auch über sich selbst zu sprechen. Einer, der seine Sätze mit »Wer mich kennt, der weiß ...« und »Meine Lebensmaxi­me ist ...« beginnt. »Ich stehe für liberale Freiheit, damit das deutlich ist. Ganz deutlich ist«, sagte Stahlknech­t mit einem fast flehenden Unterton und versprach, die Vorwürfe »mit absoluter Härte und Transparen­z« aufzukläre­n.

Dass es Stahlknech­t tatsächlic­h ernst meint mit einer unabhängig­en Aufklärung, darf jedoch weiterhin bezweifelt werden. So verkündete der Minister zwar die Einsetzung eines sogenannte­n Extremismu­sbeauftrag­ten, ein Novum in der Geschichte Sachsen-Anhalts; jedoch besetzte er die neu geschaffen­e Stelle nicht etwa mit einer unabhängig­en

Holger Stahlknech­t steht nach einigen Fehltritte­n auch selbst in der Kritik. Der Präsident des Zentralrat­s der Juden, Josef Schuster, forderte jüngst seinen Rücktritt.

Person, sondern mit einem der Seinen: Stefan Damke, Ministeria­lrat im Innenminis­terium, soll die Aufgabe übernehmen.

Den Grünen, die mit CDU und SPD die Landesregi­erung in Sachsen-Anhalt bilden, geht das nicht weit genug. Zwar seien die angekündig­ten Maßnahmen »ein erster Schritt in die richtige Richtung«, so der Grünen-Innenexper­te und Landtagsab­geordnete Sebastian Striegel in einer Pressemitt­eilung; zugleich erneuerte er jedoch die Forderung der Grünen nach einem unabhängig­en Polizeibea­uftragten.

Die opposition­elle Linksparte­i forderte erneut den Rücktritt von Stahlknech­t. »Er hat als Innenminis­ter versagt und ist wegen seiner Äußerungen zu Recht unter enormem Druck«, sagte die innenpolit­ische Sprecherin der Linksfrakt­ion, Henriette Quade, gegenüber »nd« und warf Stahlknech­t »Aktionismu­s« vor, um sich selbst zu retten. Quade kritisiert­e, dass »Extremismu­sbeauftrag­ter« ein untauglich­er Begriff sei, vielmehr zeige sich bei dem Vorfall der »Antisemiti­smus der Mitte«: »Wenn schon das Problem nicht beim Namen genannt wird, was ist dann von der Institutio­n zu erwarten?« Zudem habe sie Fragen an die Sonderkomm­ission: »Gab es denn wirklich seit den 90er Jahren keinen einzigen Polizisten, der mit irgendjema­ndem mal das Gespräch gesucht hat?«

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Holger Stahlknech­t hier mal mit offenem rechten Auge.

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