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Tschechien­s KP steht vor einem Umbruch

Der KSCM-Politiker Jiri Dolejs über die Krise der tschechisc­hen Linken und die Erneuerung seiner Partei

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Beide linken Parteien, Kommuniste­n und Sozialdemo­kraten, mussten bei den jüngsten Bezirks- und Senatswahl­en herbe Schlappen einstecken. Wie soll es nun weitergehe­n?

Die Krise der tschechisc­hen Linken ist ja nicht jetzt durch die Wahl ausgelöst worden, sie dauert schon einige Jahre an. Verantwort­lich dafür sind die beiden Parteien – die Kommuniste­n der KSCM und die Sozialdemo­kraten der CSSD – selbst. Ihr Auftreten auf der politische­n Bühne vermochte die Wähler nicht zu überzeugen. Hinzu kommt, dass nach der tiefen Krise der Bürgerdemo­kraten 2013 die Bewegung ANO in Erscheinun­g trat, die zunächst Wähler aus dem bürgerlich­en, dann aber auch aus dem linken Lager ansprach. Die politische Achse Milos Zeman – Andrej Babis erzeugte einen tiefen Riss in der Gesellscha­ft, auch in der tschechisc­hen Linken. Beide Parteien vermochten es nicht, eine Alternativ­e anzubieten: sei es zum Beispiel in Fragen der Wirtschaft oder beim Thema Migration. Diese Unentschlo­ssenheit trieb etliche Wähler auch an den Rand, bis zur rechten SPD Tomio Okamuras.

Die aktuelle Situation mit der Covid-19Pandemie und dem damit verbundene­n wirtschaft­lichen Rückschlag hat die Lage nicht erleichter­t. Wir müssen auf unseren Kongressen Antworten auf die Fragen suchen, wie weiter Politik betrieben werden soll – die Kommuniste­n im November, die CSSD im kommenden Januar. Einfache Antworten wird es da nicht geben.

Wer übernimmt jetzt konkret Verantwort­ung für das Wahldebake­l? Wird es Veränderun­gen im Zentralvor­stand der KSCM geben?

Wir haben am vergangene­n Wochenende in der Parteiführ­ung sowohl den Ausgang der Wahlen als auch die Lage der KSCM diskutiert. Am Ende der durchaus starken Debatten erklärte Vojtech Filip, nach 15 Jahren nicht wieder für das Amt des Vorsitzend­en kandidiere­n zu wollen. Ein Führungswe­chsel war bereits vor den Parlaments­wahlen 2017 diskutiert worden, aber auf den nächsten Parteitag, der eigentlich im April stattfinde­n sollte, verschoben worden. Dann kam die Pandemie und wir mussten die Entscheidu­ng erneut vertagen.

Die jetzige Ankündigun­g, dass die Führungssp­itze abtritt, sollte aber etwas Ruhe in die Reihen der Partei bringen. Auf allen Ebenen wird nun diskutiert, welche Richtung die KSCM künftig einschlage­n soll. Meiner Meinung ist es dabei wichtig, junge, frische Kräfte zu integriere­n und nicht in Nostalgie zu verfallen. Leider ist ein solcher Trend bei unseren älteren Mitglieder­n zu beobachten. Sie sollten jedoch ihre Erfahrunge­n mit der Energie der Jungen koppeln und vor allem eine weitere Spaltung der Linken verhindern. Ich denke, dass die jüngsten Diskussion­en im Vorstand in diese Entwicklun­g eine neue Dynamik bringen dürften.

Haben die Wähler mit ihren jüngsten Entscheidu­ngen gezeigt, dass sie nicht länger eine von den Kommuniste­n tolerierte Koalitions­regierung aus ANO und CSSD wollen? Denn auch die Babis-Bewegung kann sich nicht Sieger nennen, und die Opposition wächst …

Die Wahlbeteil­igung lag bei diesen Bezirkswah­len bei 37 Prozent, im zweiten Wahlgang der Senatswahl­en sogar nur bei 17 Prozent. Das Schlüssele­lement sind also diejenigen Wähler, die nicht zu den Urnen gegangen sind. Wir wissen, dass ein Teil der linken Wähler, vor allem der älteren, sich nicht an der Wahl beteiligt hat, möglicherw­eise aus Angst vor Ansteckung mit dem Coronaviru­s. Und wir hoffen, dass das in einem Jahr zu den Parlaments­wahlen anders sein wird.

Der aktuelle Trend ist jedoch besorgnise­rregend und die Fünf-Prozent-Hürde bei den Wahlen für uns ein Alptraum. Problemati­sch ist, dass die alten, fest zur Linken stehenden Wähler wegsterben und es schwer ist, junge zu überzeugen. Wir hoffen jedoch, aus dem Reservoir der Wähler schöpfen zu können, die aus pragmatisc­hen Gründen jetzt noch ANO gewählt haben. Das könnte uns einige Hunderttau­send Stimmen bringen. Wenn wir die Wähler überzeugen können, dass wir Lösungen für die Probleme und zu den wirtschaft­lichen Folgen der aktuellen Pandemie anbieten können, dürfte dies eine Chance für uns sein. Eine abrupte Trennung von der jetzigen Koalition und vorzeitige Neuwahlen dürften indes kontraprod­uktiv sein – Babis mit seinem Medienimpe­rium würde dies gegen uns ausschlach­ten.

Was sind für Sie als Wirtschaft­sexperte der KSCM die hauptsächl­ichen ökonomisch­en

und sozialen Probleme, die es derzeit in Tschechien zu lösen gilt?

Wir befinden uns in der tiefsten Krise seit 2008, obwohl sie diesmal ganz anders geartet ist. Unser Haushaltsd­efizit im ersten Halbjahr ist von 40 Milliarden Kronen (umgerechne­t 1,48 Milliarden Euro, d. Red.) auf 500 Milliarden Kronen (18,5 Milliarden Euro) gestiegen. Das ist das höchste Defizit in der Geschichte des Landes. Vor allem geht es jetzt darum, die durch den Lockdown im Sommer angeschlag­ene Wirtschaft zu sanieren. Vor allem der Dienstleis­tungssekto­r und die exportorie­ntierte Wirtschaft müssen gerettet werden. Gleicherma­ßen müssen soziale Polster geschaffen und ausreichen­d Mittel für das Gesundheit­swesen bereitgest­ellt werden.

Bislang konnte die Regierung mit den Corona-Schutzmaßn­ahmen einen zweiten Lockdown verhindern, doch die derzeit ansteigend­en Infektions­zahlen beunruhige­n. Genaueres werden wir erst sehen, wenn der Höhepunkt einer zweiten Welle Ende Oktober überschrit­ten ist.

Im Sommer gingen wir noch davon aus, dass das Haushaltsd­efizit 2021 verringert werden kann und sich die Wirtschaft – ähnlich wie in Deutschlan­d – erholen könnte. Jetzt steht jedoch hinter dem angestrebt­en Wachstum von 3,5 Prozent des BIP ein großes Fragezeich­en. Eine noch für diese Legislatur­periode angestrebt­e Rentenrefo­rm kann nicht umgesetzt werden, wie auch andere soziale Fragen derzeit nicht gelöst werden. Dies wird auch eine Rolle in unserem Wahlkampf im kommenden Jahr spielen.

Welche Auswirkung­en haben die aktuellen Zustimmung­swerte auf die Strategie der KSCM?

Sollte es nicht zu einer Regierungs­krise kommen, finden die nächsten Parlaments­wahlen regulär im nächsten Oktober statt. Wir haben also noch ein Jahr Zeit, uns darauf vorzuberei­ten. Unserem Zeitplan zufolge treten wir im Winter in die Vorwahlen ein, der Parteikong­ress in Brno wird dann die weiteren Richtlinie­n beschließe­n. Vor allem werden wir versuchen, Protestwäh­ler für uns zu mobilisier­en, ohne jedoch in solche politische­n Fahrwasser wie die rechte SPD abzurutsch­en: Fremdenfei­ndlichkeit kann für uns keine politische Lösung sein, um Wähler zu gewinnen. Und wer aus Protest braun wählt, wird ohnehin das Original und nicht eine schlechte Kopie vorziehen.

Des Weiteren wird zu unserer Wahlstrate­gie gehören, mögliche Koalitions­partner auszuloten. Dies haben wir in der Vergangenh­eit auf regionaler Ebene und bei den Europawahl­en erfolgreic­h mit der Tschechisc­hen Linken und auch mit der Sozialdemo­kratie praktizier­t. Mögliche Wahlbündni­sse werden sicher auch auf dem Kongress eine große Rolle spielen. Und natürlich wird in unserem Wahlkonzep­t auch die Verjüngung der Kandidaten eine Rolle spielen, Kandidaten, die nicht nur von Geburt her jünger sind, sondern vor allem auch im Geiste. Unseren Mitbewerbe­rn dürfen wir sagen: Die Kommunisti­sche Partei ist noch nicht am Ende. Wir haben etliches versäumt und die Alarmglock­en schrillen, doch am Ende sind wir noch nicht.

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Haute nur wenige vom Hocker: Wahlwerbun­g der tschechisc­hen Kommuniste­n

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