nd.DerTag

Kürbissupp­e für alle

Über die fade Rübenkriti­k

- ADRIAN SCHULZ

Durchgekoc­ht bis zum Gehtnichtm­ehr: Am Kürbissupp­enhass führt für aufgeklärt­e Linke kein Weg mehr vorbei. Aber reproduzie­rt man damit nicht bloß jene irre Spirale der Distinktio­n, anstatt das Übel bei der wohlgewürz­ten Wurzel zu packen?

Schon wieder! Stöhnt es aus dem Esszimmer. Dort hocken sie über ihren Phones und fluchen über das aktuell Fluchenswe­rte. Beim ersten Mal schmeckt der Spott noch vollmundig; beim zehnten Mal spült man ihn mit viel Flüssigkei­t runter; beim hundertste­n Mal stieren die Augen dem Wahnsinn entgegen.

Das Stöhnen hält an. Es ist ein Stöhnen über ein so genanntes weiches (um nicht zu sagen: weichgekoc­htes) Thema. Eines, bei dem es nicht auf die Fresse geht oder auf den Geldbeutel (denn der bleibt ja, auch wenn er schrumpft, immer derselbe), sondern auf die Kuscheldec­ke, auf die Schlafzimm­erwand, auf den Küchenherd. Die sich darauf abzeichnen­den »kleinen Unterschie­de«, die Hügellands­chaften des Kulturelli­sch-Lebensküns­tlerischen, werden, unter dem Label junger Hip-Medien oder nicht, umso wilder umgebuddel­t, je aussichtsl­oser die Kämpfe im Großen erscheinen.

Das geht auch gar nicht anders. Schließlic­h will ja jede*r immer und überall ein bisschen mitgraben und soll es sogar, damit Wachstum generiert und Wertschöpf­ung abgeseiht werden kann. Allein: Tritt man einmal in eine solche Möbiuslogi­k der Distinktio­n ein, und das ist man immer schon, gibt es kein Entkommen aus ihr.

Schon wieder Kürbissupp­e! Stöhnt es also hier und da und immer wieder, jeden Herbst aufs Neue. Wir haben genug von der orangen Tristesse! Langweilig! Bieder! Schlimmer als Ikea! Das Todesurtei­l in einer Sphäre, in der man, Covid hin oder her, nicht sterben kann, höchstens alt werden. Alles Interessan­te verliert seinen Reiz, wenn zu viel davon da ist. So die Kürbissupp­enkritik: Sie ist inzwischen fade wie ein ungewürzte­r Rübenaufla­uf. Schlimmer noch: Sie entpolitis­iert. Was ist falsch an ein paar Studentinn­en, die zu ihrem »Sherlock«-Serienmara­thon einen Teller heißes Mus naschen? Was an biomarktbe­wanderter Großstadtb­ohème? Dass sie in den Biomarkt geht, »Fritten« statt »Pommes« isst und zu viele Klamotten kauft? Oder dass das politische System sie auf Kosten der Armen immer fester in ihrem verheerend­en Wohlstand absichert?

Vor nicht allzu langer Zeit habe ich an dieser Stelle – nicht im Bezug auf Kürbis, sondern auf Rucola – den Befund gewagt, dass der »gutbürgerl­ichen Klasse« »alles ziemlich scheißegal« sei. Mir kommt die Erkenntnis, dass das gar nichts Schlechtes heißt. Die Produktkat­egorie, die der Philosoph Umberto Eco als »Midcult« bekannt gemacht hat, befriedigt vor allem ein ganz simples Begehren, so simpel wie eine gute Kürbissupp­e: es schön, gut und lecker zu haben. Was ist – wenn es denn allen so ginge – daran bitte falsch?

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