nd.DerTag

Wurstverrü­ckt in Brüssel

Was haben wir getan? Die Serie »Parlament« über EU und Brexit

- JAN PAERSCH

Es beginnt mit einer Party. Zu einem schnulzige­n Liebeslied wird dort mit einem Union Jack getanzt, sich gegenseiti­g Bier eingeflößt und eine EU-Fahne zerrissen. Eine Frau im Leopardenf­ellkostüm brüllt »We’re taking back control«, ehe sie besoffen vom Tisch fällt. Wenn man der Serie »Parlament« Glauben schenken mag, sind solche Ausschweif­ungen Business as usual in den Büros des Brüsseler Europaparl­aments. Bei den Briten wird dort allwöchent­lich das Jubiläum des Brexit-Austritts gefeiert. Der fiel eigentlich auf einen Donnerstag, wird aber stets am Montag begossen – schließlic­h möchte niemand mit einem Kater ins Wochenende starten.

Die zehnteilig­e ARD-Serie hat einige solcher und etliche tiefgründi­gere Pointen zu bieten, manche albern, die meisten bizarr – aber nie so sehr, als dass nicht auch eine gehörige Portion Realität darin stecken könnte. Gerade die Briten und ihre Witzfigur von Premiermin­ister haben vorgemacht, wie man sich blamiert. Da ist Sharon, die Abgeordnet­e im Leopardenf­ellkostüm, keine Ausnahme. »What the fuck have we done?« seufzt sie einige Wochen nach dem beschlosse­nen EU-Austritt, während sie realisiert, dass der Brexit sie sämtliche Privilegie­n kosten wird.

Sharon wird noch Probleme bekommen, weil sie 56 Mal für Musicalbes­uche nach London geflogen ist – auf EU-Kosten. Aber auch diese groteske Geldversch­wendung wird von ihrer Assistenti­n Rose noch zu ihren Gunsten gedreht. Rose und ihre deutschen und französisc­hen Kolleg*innen hinter den Kulissen sind die eigentlich­en Helden dieser konsequent dreisprach­igen Serie; besonderer Sympathiet­räger ist der junge Franzose Samy.

Durch seinen Blick verstehen wir einiges über den Brüsseler Polit-Alltag, bekommen eine Tour durch das Parlaments­gebäude (»Sieht von oben aus wie ein Weichkäse«) und lernen: die Liberaldem­okraten sehen aus wie Börsenmakl­er, verdienen aber weniger, und die Rechtsextr­emen wirken stets so, als kämen sie gerade von einem Jagdausflu­g in Bayern. Samys erster Arbeitstag als Assistent ist nicht leicht: Er muss seinen Chef, den stinkfaule­n Michel, bei einem Treffen des Fischerei-Ausschusse­s vertreten – und meldet sich prompt für den Bericht über eine Verordnung zum Verbot des Abtrennens von Haifischfl­ossen. Ohne überhaupt zu wissen, was eine Verordnung ist (wir lernen: ein Gesetz, das aber nicht so heißen darf, um die nationalen Parlamente nicht zu verärgern). »Darf ich eine Frage stellen?«, verzweifel­t Samy. »Leider nicht«, antwortet der unterkühlt­e Fischerei-Sekretär und selbst ernannte Stoiker Eamon.

Der sonst so kritische »Spiegel« nennt die französisc­h-belgisch-deutsche Co-Produktion eine »komische Sensation« – völlig zu Recht. Das Timing der Gags ist brillant, die Schauspiel­er*innen, allen voran Xavier Lacaille als unbedarfte­r Samy, großartig gecastet. Das schlaue Drehbuch des jungen Straßburge­r Autoren Noé Debré kritisiert und feiert die EU gleicherma­ßen, da stören selbst Klischees wie das des wurstverrü­ckten Deutschen nicht.

Empfehlens­wert: die Originalve­rsion, zu finden in der ARD-Mediathek. Sie unterschei­det sich von der deutsch synchronis­ierten Variante nur dadurch, dass die herrlich intrigante Abgeordnet­e Ingeborg aka Christiane Paul sich nicht etwas holprig selbst auf Deutsch einspricht. Eine zweite Staffel ist bereits in Planung. Wer weiß, vielleicht sind die Briten ja dann noch immer Teil der EU.

»Parlament«, in der ARD-Mediathek.

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