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Unter der Last

Candice Carty-Williams hat mit »Queenie« ein Hoch auf Schwarze Selbstfürs­orge geschriebe­n

- ANNA PANHOFF

In Candice Carty-Williams Debütroman steckt viel mehr, als der ewig gleiche Brei von »Er liebt mich, er liebt mich nicht«, auch wenn die Frage nach Liebe und Anerkennun­g ein zentrales Motiv der Protagonis­tin ist. »Queenie«, eine 25-jährige Schwarze Frau, die in London lebt und bei einer Zeitschrif­t arbeitet, hat eine Beziehung zu dem »white boy« Tom aus gutbürgerl­icher Familie. Die jedoch in die Brüche geht, da er sie als »zu viel« empfindet. Auch Queenie empfindet sich als zu viel; die von Tom vorgeschla­gene Auszeit sieht sie gar als Möglichkei­t, »dass ich mich bessere und daran arbeite, eine nettere Freundin zu sein.«

Ohne ihren Freund gerät ihr Leben zunächst komplett aus den Fugen; vor Liebeskumm­er kann sie sich im Job nicht mehr konzentrie­ren, die WG, in die sie ziehen muss, ist ein verschimme­ltes Loch und zudem beginnt sie, sich auf Männer einzulasse­n, die sie fetischisi­eren. Sex wird zum selbstverl­etzenden Verhalten – das geht sogar so weit, dass sie auch körperlich­e Schäden davonträgt. Halt findet sie in dieser Zeit nicht: die Freundinne­n scheinen ihre Not nicht zu erkennen, mit ihrer Mutter hat sie ein belastetes Verhältnis, und generell ist die Beziehung zu ihrer christlich­en Familie komplizier­t: über Probleme wird nicht geredet, im Zweifel eher gebetet.

Während all das bereits ausreicht, um nicht mehr zurechtzuk­ommen, ist Queenie auch dem ausgesetzt, was ihre alltäglich­es Erleben am Schnittpun­kt verschiede­ner Kreuzungen von Diskrimini­erung mit sich bringt: Rassismus gepaart mit Sexismus gepaart mit Klassismus schlagen ihr nur so entgegen in diesem sich verändernd­en London, in dem ausgerechn­et auch noch die karibische Bäckerei der Gentrifizi­erung zum Opfer gefallen ist, die Queenie für ein paar wohlige Kindheitse­rinnerunge­n aufsuchen wollte.

Bis sie erkennt, dass Stärke auch bedeuten kann, Schwäche zu zeigen und um Hilfe zu fragen, braucht es noch einige Tiefpunkte – Tiefpunkte sind in diesem Fall Männer. Nachdem Queenie jedoch aus den toxischen Beziehunge­n ausbrechen kann, wird das Buch endlich zu einem Hoch auf Freundscha­ft und Selbstfürs­orge. Auch wenn Carty-Williams mit viel Witz und Verve erzählt und in eigentlich erschütter­nden Situatione­n die Stimme der Protagonis­tin nie gänzlich ihren humorvolle­n Unterton verliert, bleibt »Queenie« aber nicht an der Oberfläche. Ihr Charakter ist vielschich­tig, die psychische Erkrankung, die sie belastet, ist multikausa­l begründet; nicht allein die Beziehung zur Mutter oder dem abwesenden Vater, nicht allein erlebte Gewalterfa­hrungen und der Rassismus, dem sie ausgesetzt ist oder der Umgang ihrer Familie mit

Gefühlen generell sind schuld, sondern es ist eben alles zusammen – all die Widersprüc­he und Ungerechti­gkeiten der Gesellscha­ft, die sich in ihrer Person brechen und unter denen sie zusammenbr­icht.

Für weiße Leser*innen, die sich bis zu einem bestimmten Grad mit Queenies Erfahrunge­n als Frau identifizi­eren können, öffnet sich durch den Blick in das Innenleben der Protagonis­tin die Möglichkei­t, den Kampf einer Schwarzen Frau in einer mehrheitli­ch weißen Dominanzge­sellschaft zu verstehen und nachvollzi­ehen zu können. Schwarzen Leser*innen macht »Queenie« Mut, die Stimme zu erheben, Geschichte­n zu erzählen, sich Gehör zu verschaffe­n und nicht aufzugeben – denn es braucht noch mehr Bücher dieser Art.

Candice Carty-Williams: »Queenie«, Aufbau, 544 S., geb. 22€.

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