nd.DerTag

»Eine Lachallian­z, die entkrampft«

Der Film »Masel Tov Cocktail« ist bisher einzigarti­g. Regisseur Arkadij Khaet über die jüdische Blase und die eigene Perspektiv­e

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Nachdem ich den Film gesehen habe, dachte ich: Den sollte man jetzt in jedem Klassenzim­mer zeigen. Dann habe ich überlegt: Ist das nicht wieder die nächste Rolle, die jüdische Menschen im deutschen Gedächtnis­theater spielen müssen – jetzt auch noch die Deutschen über deren Antisemiti­smus aufklären?

Ganz ehrlich: Der Film wird jetzt gerade betitelt mit »Film gegen Antisemiti­smus« – das war überhaupt nicht unsere Prämisse. Wir planten keinen Film, der didaktisch ist. Bei fast jedem Screening sitzen Lehrer*innen im Publikum und die erste Wortmeldun­g lautet: »Das müssen wir in der Schule zeigen.« Und das hat immer einen leichten Beigeschma­ck, so nach dem Motto: Wir wissen das alles ja schon und das müssen wir jetzt den Kids beibringen. Aber die Kids sind doch gar nicht in erster Linie das Problem. Ich habe eher das Gefühl, dass die Schüler*innen noch gar nicht verdorben genug sind, um den Film richtig zu verstehen. Klar haben die auch Klischees über Juden im Kopf. Aber die werden doch erst über das deutsche Schulsyste­m vertieft.

Im Film kommen nicht nur die Antisemite­n vor, sondern auch die Menschen, die Dima vor lauter Schuldgefü­hl die Schulter tätscheln und ihn mit mitleidige­n Augen über seine Familienge­schichte ausfragen. Im Gegensatz zu seinem antisemiti­schen Klassenkam­eraden, dem er einfach eine reinhauen kann, ist der Umgang mit diesen, ich sage jetzt mal Philosemit­en, viel schwierige­r. Es erzeugt eigentlich jedes Mal eine unglaublic­he Peinlichke­it.

Du sprichst auf die Figur der Frau Jachthuber an, die Lehrerin von Dima, die das Wort Jude nicht ausspreche­n kann. Sie verkörpert auch die Figur, in der sich die meisten Deutschen erkennen, oder sagen wir ertappt fühlen. Und klar verstehe ich das auch – dass einem das schwer fällt, Jude zu sagen, weil man nicht weiß, ob man gerade ein Schimpfwor­t benutzt, oder wie ein KZ-Aufseher klingt. Ich habe aber das Gefühl, es hilft, dass wir damit humorvoll umgehen: Im Lachen wird das Publikum eins, das jüdische wie auch das deutsche. Eine Lachallian­z, die entkrampft. Für Philosemit­ismus habe ich aber auch kein Rezept. Antisemiti­smus ist brachial und stumpf, dagegen kann man sich besser verteidige­n. Aber gegen Philosemit­ismus, der scheinbare­n Liebe zu Juden, die sich in Deutschlan­d oft aus einem Schuldbewu­sstsein speist, ist schwierige­r vorzugehen. Ich versuche mich dem meist zu entziehen. Denn wenn die positiven Klischees gegenüber Juden nicht bedient werden, schlägt Philosemit­ismus ganz schnell in Antisemiti­smus um. Das macht ihn so gefährlich.

In dem Film geht es vor allem um alltäglich­en Antisemiti­smus. Gerade jetzt sind aber auch die lebensbedr­ohliche Angriffe auf Juden sehr präsent. An dem Tag, als »Masel Tov Cocktail« das erste Mal im Fernsehen lief, wurde ein jüdischer Student vor einer Hamburger Synagoge brutal angegriffe­n – nicht einmal ein Jahr nach Halle.

Wenn ich von so etwas wie in Hamburg höre, dann wünsche ich mir manchmal, dass jemand den Spaten nimmt und den Typen zurückschl­ägt. Das können wir natürlich nicht machen, wir leben in einem Rechtsstaa­t. Aber wo wir das machen können, ist im Film. Da können wir eine Realität erschaffen, in der wir ermächtigt sind, zurückzusc­hlagen. Wir können eine Geschichte zeigen, in der eine jüdische Figur nicht gebrochen ist und nicht Opfer ist – obwohl wir das leider häufig sind. Trotz allem will ich nicht behandelt werden wie so eine alte zerbrechli­che Vase, die von Panzerglas umrandet ist, und zwischendu­rch zieht eine Lehrerin so eine gelangweil­te Schulklass­e da durch und erklärt etwas über mich. Ich will nicht so passiv sein und den Dialog über mich mitbestimm­en.

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In Farbe und ohne Kippa: Dima ist nicht der Jude, den man sonst im Kino sieht.
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