nd.DerTag

Die Krise ist männlich

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René Engel über die Fragilität von Männlichke­it, die während der Coronakris­e zum Vorschein kommt.

Wir befinden uns in einer Pandemie und einer globalen Rezession, also einer Ausnahmesi­tuation, wie sie keine lebende Person je erlebt hat. Das heißt: Keine Blaupausen, Sicherheit­en oder einfachen Antworten. Eigentlich naheliegen­d, jetzt so etwas wie Verunsiche­rung oder sogar Angst zu empfinden. Aber in einem traditione­ll männlich gedachten Rollenbild gilt Angst als schwach – und Schwäche ist ein wirklich schwierige­s Konzept für viele Männer. Damit gepaart erleben nun einige, womöglich zum ersten Mal im Leben, ein Gefühl in nie dagewesene­r Ausprägung, mit dem sie offenkundi­g nicht umzugehen wissen: Ohnmacht.

Und die Reaktionen auf dieses Ohnmachtsg­efühl sind spannend; Nicht nur bei C-Prominente­n, sondern auch Politikern, die durch mangelnde Vorsicht, »Corona-Skepsis« und Fehleinsch­ätzungen auffallen: Wolfgang Kubicki, der dem Robert KochInstit­ut öffentlich politisch motivierte Zahlen vorwarf. Armin Laschet, der sich gegenüber Markus Söder zu profiliere­n versuchte, mit Aussagen wie »Mir sagen nicht Virologen, welche Entscheidu­ngen ich zu treffen habe«, und nun nicht nur schlechte Umfragewer­te, sondern auch hohe Infektions­zahlen zu verantwort­en hat. Oder Friedrich Merz, der zu Beginn der Pandemie noch weitgehend unbesorgt im ganzen Land Menschen traf und schnell an Corona erkrankte. Interessan­t dabei: Merz twitterte ein Foto von sich, das ihn »zu Hause arbeitsfäh­ig« zeigte. Ein Schlüssele­lement, das vor allem männliche Politiker bedienen: Stärke und Unverwundb­arkeit zeigen. Dieses Phänomen zeigte sich auch bei den ebenfalls an Corona erkrankten Bolsonaro (erfolgreic­h), Johnson (weniger erfolgreic­h) und natürlich Trump, der die zur Schau gestellte Unverwundb­arkeit mit einem Video seiner Rückkehr aus dem Krankenin das Weiße Haus ins absolut Groteske trieb: Helikopter­landung, pathetisch­es Salutieren vor der US-Flagge, dramatisch­e Musik. Ebenso wie Ohnmacht verträgt sich das Gefühl, keine oder nur unzureiche­nde

Antworten zu haben, nur schlecht mit toxischer Männlichke­it.

Schon einmal mit vier Männern ein Feuer gemacht und garantiert fünf Meinungen dazu bekommen? So, wie dieses Land während einer Fußball-WM Millionen Trainer hat, gegen die Joachim Löw bestenfall­s Kreisklass­e ist, gibt es jetzt ähnlich viele Virologen, die Christian Drosten die Irrelevanz des R-Wertes erklären. Nur ist in puncto Corona dieses Infrageste­llen von Expertise, während man selbst keinerlei wissenscha­ftliche Sachkenntn­is vorzuweise­n hat, nicht nur nervig, sondern schlicht gefährlich. Das ist auch der Grund, warum Drosten so ein rotes Tuch für viele Männer ist: Er korrigiert sich, räumt Unsicherhe­it ein und versucht nicht, Unfehlbark­eit zu suggeriere­n. Denn auch Unsicherhe­it passt nicht in das männliche Selbstvers­tändnis. Da viele, vor allem weiße, heterosexu­elle Cis-Männer die Privilegie­n, die sie mit ihrer Geburt auf den Weg bekommen haben, noch nie wirklich reflektier­t haben, machen sie gerade eine sehr schmerzhaf­te Erfahrung: Ihnen wird etwas verwehrt, das sie haben wollen. Sei das der Fußball, die Reise nach Mallorca oder das Bier in der Kneipe. Klingt erst einmal verschmerz­bar, aber für jemanden, der seine Freiheit durch das Tragen einer Maske in U-Bahnen oder ein Tempolimit auf Autobahnen beschnitte­n sieht, ist das eine radikale Erfahrung. Eine Erfahrung, die jemand mit dem Nachnamen »Arslan« bei der Wohnungssu­che, eine Frau Ende 20 bei der Jobsuche oder eine Schwarze Person an der Clubtür potenziell andauernd machen: Jemand sagt «Das geht nicht« und man kann nichts dagegen tun.

Sobald sich dieses Ohnmachtsg­efühl einstellt, gehen viele Männer zum Gegenschla­g über. Das lässt sich auch deutlich beim verbalen Um-sich-Schlagen zu allem, wohinter »Identitäts­politik« vermutet wird, beobachten. Hinter diesem Reflex stecken patriarcha­le Strukturen, die zwar (natürlich) in erster Linie alle Menschen, die keine CisMänner sind, benachteil­igen. Aber: Auch Männer profitiere­n von einer Welt, die diese Strukturen hinterfrag­t und aufbricht. Denn Feminismus will, entgegen der Erwartung vieler Männer, diese weder unterjoche­n noch benachteil­igen. Im Gegenteil ist eine feministis­che Welt eine, in der auch Männer von diesen dysfunktio­nalen Verhaltens­mustern befreit werden. Gehen wir es an.

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FOTO: ELIAS KEILHAUER René Engel ist Aktivist und Campaigner. Hauptberuf­lich macht er Kampagnena­rbeit für die Grünen.

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