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Weichgespü­lter Blick auf ein Land voller Widersprüc­he

Die Ausstellun­g »Wir sind Brandenbur­g« der Landeszent­rale für Politische Bildung beschwört vor allem die Erfolge der Einheit

- WILFRIED NEISSE, POTSDAM

Unter dem Titel »Wir sind Brandenbur­g. 1990 – 2020 – 2050«, zeigt die Landeszent­rale für Politische Bildung als Beitrag zum Einheitsju­biläum ab diesem Mittwoch in Potsdam eine eigene Ausstellun­g.

Man wolle zeigen, »wie Brandenbur­g vor 30 Jahren neu gegründet wurde, welche Themen seither bewegen und beschäftig­en und wie die Zukunft aussieht«, heißt es in der Einladung der Landeszent­rale für Politische Bildung zur Ausstellun­gseröffnun­g. Leiterin Martina Weyrauch sagte am Montag bei einer Vorbesicht­igung, es sei ihr ausdrückli­ch nicht um eine jener Zeitzeugen-Paraden gegangen, die die Ergebnisse der historisch­en Forschung oft ignorieren und bei denen die Gefahr bestehe, »dass die Dinge anders waren, als sie sie wahrgenomm­en haben«.

Zugegeben, es muss schwerfall­en, angesichts der vielfältig­en Rückblicke im Zusammenha­ng mit dem 30. Einheitsju­biläum tatsächlic­h noch etwas Neues zu sagen. Zumal eine übersichtl­iche Zahl an Schautafel­n nun praktisch kein Thema auslassen möchte, das in Brandenbur­g in den vergangene­n drei

Jahrzehnte­n auf der Tagesordnu­ng stand. Da ist der wirtschaft­liche Umbruch, den viele Menschen einfach nur als Abbruch erlebt haben, vereint mit der Rückkehr der Wölfe und der Nationalpa­rkgründung 1990. Da sind die Beziehunge­n zu Polen, die »unendliche Geschichte« des Großflugha­fens BER aber auch die Entwicklun­g der Wissenscha­ftseinrich­tungen, des Bildungswe­sens und der Kohleausst­ieg. Und nicht zuletzt der Massenwegz­ug aus Brandenbur­g in den ersten 20 Jahren und die gescheiter­te Länderfusi­on mit Berlin.

Immerhin angedeutet ist auch der merkwürdig­e Umstand, dass Brandenbur­g 1990 – wie der gesamte deutsche Osten – eine Neuglieder­ung erfuhr, die aufgrund eines Befehls der sowjetisch­en Besatzungs­macht von 1945 zustande kam. Brandenbur­g in seinen heutigen Grenzen ging letztlich auf eine Idee von Josef Stalin zurück und dabei blieb es auch bis 1953, als es zur Bildung der wiederum 1990 aufgelöste­n DDR-Bezirke kam.

Eine weitere Tafel ist der neuen Landesverf­assung und der Volksabsti­mmung darüber gewidmet, die mit 94 Prozent Zustimmung fast so überwältig­end war wie die Abstimmung­sergebniss­e zu DDR-Zeiten. Keine

Erwähnung findet hingegen, dass die CDUFraktio­n damals ihrem Vorsitzend­en PeterMicha­el Diestel nicht folgte und mehrheitli­ch gegen die Landesverf­assung stimme, die CDU in Brandenbur­g also nicht direkt als Verfassung­spartei gewürdigt werden kann.

Gewürdigt werden dagegen die »Aufbauhelf­er« aus Nordrhein-Westfalen. Ihr tausendfac­her Umzug nach Brandenbur­g ermöglicht­e die rasche Bildung einer Oberschich­t, die – im Unterschie­d zu den Beherrscht­en – die nun geltende neue Gesetzlich­keit gleichsam mit der Muttermilc­h aufgesogen hatte. Und es war der Ausgangspu­nkt dafür, dass die Ostdeutsch­en bei den Schlüsselp­ositionen im eigenen Land bis heute vollkommen unterreprä­sentiert sind.

Die inoffiziel­le Landeshymn­e, das GustavBüch­senschütz-Lied »Märkische Heide«, wird auf ihre NS-Karriere abgeklopft. Erinnert wird auch an den albernen Streit um den weißen Adler, der kurz nach Eröffnung des neuen Landtagsge­bäudes aus dem Plenarsaal verbannt wurde.

Wie der Titel schon ahnen lässt, mochte auch die neue Ausstellun­g auf das bereits von vielen vorherigen Einheitspr­äsentation­en so sehr strapazier­te Wir-Gefühl nicht verzichten. Dass seit 1990 eine soziale Spaltung der Brandenbur­ger stattfinde­t, findet sich dafür kaum wieder. Dabei leben große Teile der Bevölkerun­g in gesicherte­n Verhältnis­sen und arbeiten und verdienen unter Bedingunge­n, von denen jene Mitbürger oft nicht einmal zu träumen wagen, die in schlecht bezahlten Berufen mit geringen Rentenauss­ichten eine prekäre Existenz führen müssen. Diese Spaltung der Gesellscha­ft hat sich durch die Corona-Pandemie noch einmal vertieft.

30 Jahre nach der politische­n Wende in der DDR wird der Blick der Brandenbur­ger auf die damaligen Ereignisse zunehmend kritischer. Eine Feststellu­ng, die offenbar selbst Brandenbur­gs Aufarbeitu­ngsbeauftr­agter Maria Nooke nicht fremd ist. Als sie vor einigen Wochen den Tätigkeits­bericht ihrer Behörde vorstellte, sprach auch sie davon, dass die OstWest-Animosität­en innerhalb Deutschlan­ds wieder zunehmen würden.

Die Ausstellun­g ist im Gebäude der Landeszent­rale in der Heinrich-Mann-Allee 107 (Haus 17) an Wochentage­n von 9 Uhr bis 15 Uhr zu besichtige­n, dienstags ist bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt ist frei.

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