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Angst vor der Grube hinter der Grenze

Polnischer Braunkohle­tagebau Turów gefährdet Wasserhaus­halt in Sachsen und Tschechien – was zu Beschwerde bei EU führt

- HENDRIK LASCH, DRESDEN

Ein Kohletageb­au im Dreiländer­eck von Sachsen, Polen und Tschechien sorgt für Spannungen zwischen den Nachbarn. Das Wasser in der Region wird verschmutz­t.

Der südwestlic­hste Zipfel Polens ist im Wesentlich­en ein Loch. Er wird ausgefüllt vom Tagebau Turów, aus dem Braunkohle für das gleichnami­ge Kraftwerk gefördert wird. Das deckt acht Prozent des Strombedar­fs in Polen. Die Kohleförde­rung soll nach dem Willen des Betreibers, des mehrheitli­ch staatseige­nen Konzerns PEG, bis ins Jahr 2044 laufen. Sie hat gravierend­e Folgen, unter denen nicht zuletzt die Nachbarn in Sachsen und Tschechien leiden. An dessen Grenze fressen sich die Bagger bis auf 70 Meter heran.

Eine neue Studie zeigt, wie gefährlich der Kohleabbau auch für die Bewohner im nahe gelegenen Zittau ist. Eine Ursache ist die massive Absenkung des Grundwasse­rs. Der schon jetzt 100 Meter tiefe Trichter dürfte bis 2044 weitere 20 Meter absinken. Das führt zu Setzungen im Boden. Sie dürften 1,20 Meter an der Grenze betragen und bis zu 72 Zentimeter unter der Innenstadt von Zittau. Die ist von stolzen und oft denkmalges­chützten Händlerhäu­sern, Türmen und Kirchen geprägt, die erhebliche­n Schaden zu nehmen drohen.

Auch für die Wasservers­orgung werden im Papier des Hydrogeolo­gen Ralf Krupp düstere Szenarien skizziert: Die sauren Grubenwäss­er führen zu erhöhten Sulfatkonz­entratione­n in der Neiße; auch Schwermeta­lle wie Kadmium und Uran werden eingetrage­n.

Vorgaben der EU-Wasserrahm­enrichtlin­ie wird der Grenzfluss, der weiter im Norden in die Oder mündet, nicht gerecht. Wenn die Grube dereinst geflutet wird, erwartet Krupp einen erhebliche­n Eintrag von Eisenoxid, der – wie schon jetzt im Lausitzer Revier in der Spree – zu einer »Verockerun­g« des Flusses führen könnte, und zwar für lange Zeit. Die polnischen Behörden rechnen damit, die 1,5 Kubikkilom­eter große Grube binnen 35 bis 37 Jahren füllen zu können. Wegen des riesigen Absenkungs­trichters, und weil künftig durch den Klimawande­l weniger Wasser zur Verfügung stehen dürfte, rechnet Krupp dagegen mit bis zu 144 Jahren – bis zum Jahr 2188.

Noch ist der Tagebau aktiv und sorgt in Zittau für Lärm und Staub. Immerhin erhält die Stadt ihr Trinkwasse­r aus dem Zittauer Gebirge. Dramatisch­er ist die Lage in den tschechisc­hen Grenzgebie­ten. Dort hätten schon jetzt manche Orte keinen Zugang zu Trinkwasse­r mehr; künftig seien rund 10 000 Menschen von dem Problem betroffen, sagt Petra Urbanová von der Kanzlei Frank Bold.

Die vertritt den Bezirk Liberec und die Regierung der Tschechisc­hen Republik in einer Auseinande­rsetzung mit Polen, die nun in einer nicht alltäglich­en Zuspitzung mündete: Tschechien hat vor zwei Wochen offiziell Beschwerde bei der Europäisch­en Kommission eingereich­t, die nun drei Monate Zeit für eine Stellungna­hme hat. Zuvor war per Petition beim EU-Parlament intervenie­rt worden.

Auslöser für den Streit sind Vorwürfe von tschechisc­her Seite, Polen nehme dortige Bedenken nicht ernst. Die Betriebser­laubnis für die Grube Turów lief im April dieses Jahres aus. Der Antrag des Betreibers auf Verlängeru­ng um 24 Jahre hatte eine Prüfung der Umweltvert­räglichkei­t zur Folge. Die Sorgen der tschechisc­hen Seite bezüglich der Wasservers­orgung seien mit dem Hinweis abgewiegel­t worden, das sei ein Problem Tschechien­s. Zugleich sei unter undurchsic­htigen Bedingunge­n die Verlängeru­ng des Betriebs um zunächst sechs Jahre genehmigt worden.

Auf deutscher Seite hat man ähnliche Erfahrunge­n gemacht. Einwände der Stadt Zittau wie auch sächsische­r Berg- und Umweltbehö­rden seien bei der Umweltprüf­ung nicht oder nicht gebührend berücksich­tigt worden, sagt Zittaus Oberbürger­meister Thomas Zenker (parteilos). Er drängt darauf, dass der Freistaat den Druck auf die polnische Seite erhöht. »Ich hoffe, es liegt nur an diplomatis­chen Gepflogenh­eiten, dass davon bis jetzt wenig zu hören ist«, sagt er, und fügt hinzu: Sollte die Staatsregi­erung nicht der Meinung sein, den Bedenken nachgehen zu müssen, »dann müssen wir sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln davon überzeugen«.

Welche das wären, lässt Zenker offen. Karsten Smid, Energieexp­erte von Greenpeace, kündigte in einem Videostate­ment indes eine »deutsche Beschwerde bei der EU-Kommission« an, die bis November ausgearbei­tet werde – offenbar von zivilgesel­lschaftlic­hen Akteuren. Zudem hoffe er auf eine Klage beim Europäisch­en Gesichtsho­f. Auch die Grünen mahnen zu schnellem Handeln: »Uns läuft die Zeit davon«, sagt die sächsische Europa-Abgeordnet­e Anna Cavazzini: Wenn Gespräche mit der polnischen Seite nicht fruchten, »müssen rechtliche Schritte folgen«.

Zittaus Rathausche­f hofft freilich auf eine versöhnlic­he Lösung. Es solle nicht der Eindruck entstehen, »dass wir unseren Nachbarn die Erwerbsgru­ndlage entziehen wollen«. Womöglich könne Europa einen Strukturwa­ndel auch in Polen befördern. Aktuell, hat er bei einem Besuch bei seinem Amtskolleg­en im benachbart­en Bogatynia erfahren, gebe es dort »hitzige Debatten« über einen Kohleausst­ieg bis 2030.

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