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Die verharmlos­te Wirtschaft­smacht

Nichtregie­rungsorgan­isationen fordern konsequent­es Vorgehen gegen mafiöse Organisati­onen in Deutschlan­d

- LISA ECKE

Die organisier­te Kriminalit­ät fühlt sich in Deutschlan­d sehr wohl. Auf einer Veranstalt­ung sprechen Experten über die Gründe.

Es muss endlich Schluss sein mit dem in der Öffentlich­keit vorherrsch­enden Bild einer Mafia, die nichts mit Deutschlan­d zu tun habe – darin sind sich die Redner auf der Veranstalt­ung vom Deutsch-Amerikanis­chen Institut Heidelberg in Kooperatio­n mit dem Verein »Mafia nein danke« und der HeinrichBö­ll-Stiftung Baden-Württember­g einig. Sie wollen dem verharmlos­enden Bild, gespickt mit Gangsterro­mantik, ein realistisc­hes Bild entgegense­tzen.

»Es gibt Zusammenar­beit zwischen den mafiösen Organisati­onen und selbstvers­tändlich auch mit Unternehme­n, die legal dastehen«, erklärte Michael Findeisen auf der Veranstalt­ung am Freitag in Heidelberg. Mafia funktionie­re wie ein großer internatio­naler Konzern. »Es ist eine Illusion zu glauben, dass Mafia oder Organisier­te Kriminalit­ät

nur illegal wirtschaft­en«, so der ehemaliger Referatsle­iter im Bereich Geldwäsche und Zahlungsve­rkehr im Bundesfina­nzminister­ium. Dieses schätzt, dass in Deutschlan­d jährlich 100 Milliarden Euro illegal gewaschen werden. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 wurden im Bundeshaus­halt 89,2 Milliarden für die Gesetzlich­e Rentenvers­icherung verwendet, der Bund hatte Lohnsteuer­einnahmen von 93,3 Milliarden Euro.

Auf der Veranstalt­ung wurden zahlreiche Gründe genannt, warum sich die Organisier­te Kriminalit­ät (OK) offensicht­lich so wohl in Deutschlan­d fühlt. Das Problem fange schon bei der Praxis im Bundeskrim­inalamt an. Es werde »in erster Linie nach Staatsbürg­erschaften, nach Ethnien sortiert«, so Findeisen, der seit seiner Pensionier­ung bei »Mafia nein danke« und in der Bürgerbewe­gung Finanzwend­e aktiv ist. Dabei hätten diese Kriterien in dem Bereich gar nichts verloren. Im Bundeslage­bericht OK gehe es beispielsw­eise um die mazedonisc­he Mafia, die italienisc­he oder die polnische. »Der ganze Begriff der OK wird so dargestell­t, als ob hier nur

Dependance­n vorhanden sind, die Schaltzent­ralen letztendli­ch aber möglichst im Ostblock sind.« Das habe zur Folge, dass die sogenannte Weiße-Kragen-Kriminalit­ät, die in Deutschlan­d eine Rolle spiele, ausgespart bleibe. Das besonders Gefährlich­e an der OK sei aber gerade, dass diese sich ab einer bestimmten Stufe in die legalen Wirtschaft­skreisläuf­e integriere.

Ein weiteres Problem seien fehlende Ressourcen, qualifizie­rte Polizisten, Justizmita­rbeiter sowie Aufsichtsb­ehörden in den Bundesländ­ern. Als Beispiel nannte Findeisen den neusten Bericht des Landeskrim­inalamtes Berlin. Darin stehe, die Mafia aus Italien sei keine Gefahr mehr für die Stadt. »Warum ist das der Fall? Weil der zuständige Beamte beim Landeskrim­inalamt, der den Bereich Mafia gemacht hat, in den Ruhestand getreten ist«, erklärte Findeisen. Die Stelle sei nicht neu besetzt worden. In den vergangene­n Jahren wurde hingegen festgestel­lt, das die italienisc­he Mafia in bestimmten Bereichen in Berlin durchaus ihre Finger im Spiel habe.

»Wenn Sie in Deutschlan­d für 500 000 Euro eine Wohnung kaufen wollen, können Sie einfach mit dem Geldkoffer hingehen«, erläuterte Christoph Trautvette­r, Referent beim Netzwerk Steuergere­chtigkeit, ein weiteres Problem. Es sei in Deutschlan­d zudem immer noch sehr einfach, anonyme Firmen zu betreiben, so Trautvette­r. Neben den Gründen für die Beliebthei­t der Bundesrepu­blik bei mafiösen Organisati­onen war bei der Veranstalt­ung auch Thema, wie die Coronakris­e die OK verändert hat. Auf eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag antwortete die Regierung lediglich, dass es dazu keine belastbare­n Aussagen gebe. Dies verdeutlic­he einmal mehr die strukturel­len Defizite bei den Ermittlung­sbehörden, aber auch das mangelnde Interesse der Regierung.

Ein Fazit der Veranstalt­ung war, dass die schon lange angekündig­ten Verbesseru­ngen im Bereich der Geldwäsche­bekämpfung endlich effektiv umgesetzt werden müssten. »Von Außen muss der Druck genauso aufgebaut werden wie von der parlamenta­rischen Opposition«, fasste Findeisen zusammen.

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