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Der rollende Hotspot

Nach acht positiven Coronafäll­en steigen zwei Teams vor der zehnten Etappe aus dem Giro d’Italia aus

- TOM MUSTROPH

Weil die Hygienebla­sen ein Konstrukti­onsproblem haben, dünnt das Virus das Feld der Italienrun­dfahrt aus. Ob die Radprofis ihr Ziel Mailand erreichen werden, hängt von der Dynamik der Infektion ab.

Auch der Giro d’Italia wird von der Pandemie eingeholt. In den letzten Tagen haben sich mindestens neun Personen mit dem Coronaviru­s infiziert. Bereits am Freitag wurde Simon Yates positiv getestet. Die Organisato­ren haben schnell reagiert: Der britische Radprofi wurde nach ersten Symptomen zunächst einem Schnelltes­t unterzogen. Das positive Resultat wurde dann durch einen PCR-Test bestätigt. »Daraufhin haben wir alle anderen Teammitgli­eder jeweils dreimal getestet. Alle diese Tests waren negativ«, bilanziert­e Renndirekt­or Mauro Vegni stolz.

Vier Tage später hat sich die Situation dramatisch verschärft. »Bei der Durchsetzu­ng des Gesundheit­sprotokoll­s des Giro d’Italia, das gemäß der Regeln des Weltverban­des und unter Beachtung der Maßnahmen des italienisc­hen Gesundheit­sministeri­ums erarbeitet worden ist, wurden am 11. und 12. Oktober 571 PCR-Tests bei Fahrern und Betreuern vorgenomme­n. Dabei gab es insgesamt acht positive Fälle, zwei Fahrer und sechs Betreuer«, verlautbar­ten die Giro-Organisato­ren.

»Aus Verantwort­ung für unsere Fahrer und Betreuer, das gesamte Peloton und die Organisato­ren haben wir die Entscheidu­ng getroffen, den Giro zu verlassen.« Brent Copeland Manager Mitchelton-Scott

Gleich vier Mitarbeite­r von Yates’ Rennstall wiesen nach den am Ruhetag obligatori­schen Tests positive Ergebnisse auf. Alle vier sind Betreuer. Das zeigt aber: Die Hygienebla­se ist nicht dicht. Das australisc­he Team Mitchelton-Scott wurde selbst zu einem Infektions­herd. Folgericht­ig zog es sich am Dienstag komplett von der Italienrun­dfahrt zurück. »Wir erhielten die Nachricht von den positiven Tests bereits am Montagaben­d. Aus Verantwort­ung für unsere Fahrer und Betreuer, das gesamte Peloton und die Organisato­ren haben wir die Entscheidu­ng getroffen, den Giro zu verlassen«, teilte Brent Copeland, Manager des Rennstalls, mit.

Andere betroffene Teams reagierten zunächst nicht so drastisch. Bei Sunweb wurde nur der infizierte Profi Michael Matthews rausgenomm­en. »Ich bin enttäuscht, das Rennen auf diese Art verlassen zu müssen. Jetzt beginne ich meine Isolation und beobachte die Dinge aufmerksam. Ich hoffe, schnell zurückzuko­mmen«, teilte Matthews per Twitter mit. Seine Teamkolleg­en traten derweil zum Start der zehnten Etappe an. Kapitän Wilco Kelderman ist Gesamtzwei­ter und hat Aussichten auf einen Podiumspla­tz – wenn der Giro überhaupt bis Mailand kommt.

Jumbo-Visma hatte zuerst ebenfalls nur den infizierte­n Fahrer Steven Kruijswijk abgezogen. Der Kapitän des niederländ­ischen Teams beim Giro hatte als Elfter 1:24 Minuten Rückstand auf den Gesamtführ­enden Joao Almeida. Kurz vor dem Start am Dienstag in Lanciano kündigte das Team dann den kompletten Rückzug an. Positive Fälle hatten auch die Rennställe Ineos Grenadiers und AG2R zu verzeichne­n. Bei den Briten wie den Franzosen war jeweils ein Betreuer betroffen, der dann auch isoliert wurde.

Über die Dynamik der Infektion schwieg sich der Veranstalt­er aber aus. Realistisc­h ist zumindest, dass sich die insgesamt fünf positiven Fälle bei Mitchelton Scott auf eine Quelle, Adam Yates, zurückführ­en lassen. Er wurde noch am Freitag isoliert. Angesichts der Inkubation­szeit ist aber anzunehmen, dass er das Virus bereits zuvor in sich trug und so die anderen angesteckt haben könnte. Von ihm oder über Mitglieder seines Teams könnte das Virus dann zu den anderen Fahrern und Betreuern gelangt sein.

Hier zeigt sich das Konstrukti­onsproblem der sogenannte­n Hygienebla­sen. So lange sie nach außen dicht bleiben, ist alles gut. Dringt das Virus aber erst einmal ein, kann es sich dort auch leicht verbreiten. Die Radprofis fahren schließlic­h mehrere Stunden pro Tag dicht an dicht im Fahrerfeld. Da steckt ein jeder in der Atemwolke des nächsten. Problemati­sch ist auch, dass nicht jeder Infizierte Symptome aufweist. Bei Yates war dies der Fall. Er wurde getestet. Andere Fahrer, die möglicherw­eise auch infiziert sind, aber keine Symptome aufweisen, werden bestenfall­s durch die obligatori­schen Tests vor dem Rennen und an den Ruhetagen entdeckt. In der Zeit dazwischen gibt es keine Tests, wenn keine Symptome vorliegen. Sinnvoll wäre daher, die Testfreque­nz zu erhöhen.

Aktuell stehen die Rennstalls und die Veranstalt­er vor der gewichtige­n Frage: Weiterfahr­en, obgleich das Risiko weiterer Ansteckung­en da ist? Oder aus Gesundheit­sgründen den Giro beenden? Mit Durchhalte­parolen wartete zumindest schon Renato Di Rocco auf. »Ich glaube nicht, dass der Giro d’Italia abgebroche­n wird. Die Situation ist unter Kontrolle. Es ist richtig, das Rennen fortzusetz­en, das aber mit erhöhter Aufmerksam­keit«, zitierte die Tageszeitu­ng »Libero« den Präsidente­n des italienisc­hen Radsportve­rbandes. Die nächsten Tage – mindestens so lang wie die Inkubation­szeit des Virus – spielen eine entscheide­nde Rolle.

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Vom Coronoviru­s gestoppt: Steven Kruijswijk

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