nd.DerTag

Mentalität der Segregatio­n

Der südafrikan­ische Schauspiel­er Irshaad Ally über das Erbe der Apartheid im Denken und den notwendige­n Mentalität­swandel

- (lacht)

Schauspiel­er Irshaad Ally über das Erbe der Apartheid im Denken der Menschen und einen notwendige­n Wandel.

Am 15. Oktober 1990 hat das südafrikan­ische Parlament den Separate Amenities Act abgeschaff­t, das Apartheid-Gesetz, das Schwarze und Weiße in der Öffentlich­keit trennte. Welche Bedeutung hat dieser Tag heute?

Ich bin jetzt 42, 1990 war ich zwölf Jahre alt. Ich war noch ein Kind und mir nicht sonderlich bewusst, wie es war, in Apartheid-Südafrika zu leben. Wenn Sie mich also fragen, was mir das damals bedeutet hat: Nicht viel. Aber als Erwachsene­r hatte ich immer wieder Momente, in denen ich mich erinnert habe, wie ich mit meiner Familie in Gordons Bay vom Strand verscheuch­t wurde. Die Erwachsene­n hatten damals den Mut, an einen Strand zu gehen, der nur für weiße Menschen war. Ich erinnere mich noch genau: Ich war vielleicht fünf Jahre alt, und uns wurde gesagt, dass wir an eine andere Stelle gehen müssen. Ich habe das natürlich nicht verstanden, aber ich weiß noch, dass wir dann an einen Abschnitt mit scharfen, spitzen Steinen gegangen sind. Dort haben wir unser Picknick gemacht. Kurzum: Für mich als Zwölfjähri­gen hatte der Wandel keinen großen Effekt, für mich als Erwachsene­n schon. Ich spreche mit meinen Kollegen und Freunden oft darüber, wie wir getrennt wurden. Die Frage ist doch: Haben wir genug getan, nun da wir in einem freien Südafrika leben? Genug, um das Unrecht der Vergangenh­eit richtigzus­tellen?

Was wurde versäumt?

Lassen Sie mich etwas erzählen: Ich komme aus Hanover Park, einem Stadtteil von Kapstadt, was im Prinzip das Ghetto Südafrikas ist, da wurde ich geboren. Mein Vater gehörte zu den Menschen, die aus District Six vertrieben wurden. Sie haben dann bei anderen Leuten gelebt. Mein Vater fing an, nicht mehr zur Schule zu gehen, ist von zu Hause weggelaufe­n, weil er es dort nicht ausgehalte­n hat, und lebte schließlic­h auf der Straße. Er hat dann meine Mutter kennengele­rnt, sie haben geheiratet, meine Mutter wurde Lehrerin, mein Vater bekam einen Job und arbeitete. Aber ein Stück weit hatte er die Straße immer in sich. Er starb, als ich 14 war. Alles, was ich von meinem Vater wusste, war, dass alle erzählt haben, der Typ war aus der »Hood« (Slangbegri­ff für arme Wohngegend mit hoher Kriminalit­ätsrate, d. Red.). Sein Spitzname war »Blut«.

Ich kannte diesen Mann also nicht wirklich, aber ich wusste, dass über ihn erzählt wurde, dass er mit diesem und jenen zu tun hatte, mit all diesen Unterweltg­rößen, ruchlosen Leuten. Als junger Mann habe ich mich damit identifizi­ert. Ich war ein Stück weit ein schwierige­r Jugendlich­er, habe eine Menge böser Sachen gemacht, kriminelle Geschichte­n, hing mit den falschen Freunden ab. Aber insgesamt denke ich, dass ich das getan habe, weil ich das für männlich hielt, das war die Geschichte, und ich habe einfach adaptiert, was ich über meinen Vater wusste. Ich denke darüber oft nach: Die Geschichte beginnt damit, dass sie aus District Six vertrieben wurden – und das ist im Großen und Ganzen die Geschichte der Cape Flats, wo die Menschen in diesen äußerst unkomforta­blen, beengten kleinen Häusern leben, im Prinzip übereinand­er, ohne viel zu haben. Es ist fast, als habe man sie scheitern lassen wollen.

Wie kann das geändert werden?

Was mich zugleich daran nervt, ist, dass uns oft gesagt wird: Ihr habt genug, es gibt Schulen, ihr müsst zu Schule gehen. Es gibt dieses und jenes. Und ja, es liegt an mir, etwas zu tun. Aber die Frage ist doch: Können wir der Apartheid die Schuld für das geben, was wir heute haben – eine Unmenge an Kriminalit­ät, Gewaltkrim­inalität und all das? Sollte es nicht eine Art sozialer Wiedergutm­achungen geben, um Leuten aus ihrem Trauma zu helfen, damit sie ein Gefühl von innerer Ruhe und Normalität bekommen und vernünftig in die Welt finden? Ich frage mich das oft: Ist die Apartheid schuld daran, dass wir sind, wie wir sind?

Wir sitzen heute hier, 30 Jahre später, und aus dem Jungen, der sich damals nicht einmal auf den gleichen öffentlich­en Toiletten wie seine weißen Landsleute erleichter­n durfte, ist ein berühmter Schauspiel­er geworden. Zeigt das nicht, wie sich die Möglichkei­ten verändert haben?

(Überlegt lange) Ich weiß nicht. Ist man erfolgreic­h, wenn man im Fernsehen ist?

Mir geht es gut, ich habe eine Familie, eine Frau, zwei Kinder – das ist für mich ein wirklich großer Erfolg. Ich hätte nie gedacht, dass ich das je haben würde. Aus persönlich­er Sicht kann ich nur sagen, dass ich immer geglaubt habe, dass das Leben besser sein kann. Ich habe immer nach Leuten gesucht, denen es besser ging als mir, um zu fragen: Hey, was machst du? Sie müssen wissen: Ich habe nie die Schule abgeschlos­sen, aber ich war Moderator in Fernsehsho­ws, habe Stücke geschriebe­n, Hauptrolle­n in Filmen gespielt.

Ich war drogensüch­tig, ziemlich lange – von 15, bis ich 21 oder 22 war. Ich habe den Entzug gemacht, dann habe ich als Fahrer gearbeitet, vorher noch öffentlich­e Toiletten geputzt, dann bei einer kleinen Werbeagent­ur gearbeitet, dann wieder als Fahrer bei einer anderen Agentur. Dort haben sie mir beigebrach­t, einen Computer zu benutzen – ich wusste vorher ja nicht, wie das geht –, ich habe Designprog­ramme gelernt, und schließlic­h wurde ich Finishing Artist bei einer großen Werbeagent­ur. Ich habe mich dann bei der TV-Show »Survivor« als Kandidat beworben, wurde angenommen, und als ich zurückkam, habe ich meine Schwester gefragt: Was mache ich jetzt? Ich wollte immer schreiben. Schon in der Schule habe ich gern geschriebe­n, ich mochte Shakespear­e – auch wenn ich das meinen Freunden damals nicht zeigen konnte. Also bin ich neben der Arbeit in eine Schule, die Samstags Kurse in Schreiben und Schauspiel angeboten hat. Drei Jahre habe ich das gemacht, bekam dann meinen ersten Job als Moderator, und der Rest ist Geschichte.

Also: Es gibt Möglichkei­ten für uns, und wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, können wir das auch. Aber es herrscht eine Apathie in der Mentalität der Menschen, und ich glaube, die Leute brauchen Hilfe, um da herauszuko­mmen. Es ist beinahe ein traumatisi­erter Geisteszus­tand, insofern, dass man nicht glaubt, dass man etwas verdient hat und etwas erreichen kann. Das schuldet man uns mindestens: Gebt uns kein Geld, aber bringt uns bei, dass wir besser sein können. Denn uns wurde immer gesagt, dass wir weniger wert sind, und dieser Gedanke ist noch immer in den Köpfen.

Die Filme, in denen Sie spielten, zeigen meist von Kriminalit­ät zerrüttete und von Gangs dominierte schwarze Gemeinden in Kapstadts Cape Flats, den Armenviert­eln. Dagegen ist ihr Charakter in »Suidooster«, einer der beliebtest­en Vorabend-Soaps in Südafrika, Teil einer multikultu­rellen Mittelschi­chtgesells­chaft, in der Schwarze und Weiße gut zusammenle­ben. Welches Szenario ist näher an der Realität?

(Lacht und seufzt dann, überlegt lange) Ich denke schon, in der Geschäftsw­elt, in der Mittelschi­cht, ist die Soap real. Aber in der Welt der Arbeiterkl­asse, ist diese Gang-Welt auch eine Realität. Beide sind also wahr. Was wir mit der Soap machen, finde ich richtig gut. Das ist es, was Fernsehen tun sollte. Das ist die Geschichte, die ich erzählen will. Mein Charakter hat eine weiße Frau geheiratet; er ist Muslim, sie ist Christin und Afrikaaner­in (die Volksgrupp­e der Afrikaaner sind die Nachfahren

Wie viele schwarze muslimisch­e Menschen kennen Sie privat, die mit weißen Christen verheirate­t sind?

Nicht viele, na klar. In unserer Gesellscha­ft sind wir nahezu polarisier­t. Aber deswegen ist die Soap wichtig. Man sagt, die Kunst stellt das Leben nach. Aber ich denke, mehr und mehr ahmt das Leben die Kunst nach. Die Menschen kopieren, was sie im Fernsehen sehen und was in Magazinen steht. Und deshalb ist es gut, dieses Vorbild zu schaffen. Was die alten Filme angeht, die GangsterFi­lme: Diese Gang-Kriminalit­ät ist tief verankert in der Kultur der Coloureds (nichtweiße Bevölkerun­g diverser ethnischer Zusammense­tzung, d. Red.) Selbst wenn wir wegziehen, in die Suburbs, und in schönen Häusern wohnen, ist das nie weit weg von uns; es ist unsere Geschichte, unsere Eltern kannten es, also kennen wir es. Diese Filme zu machen, war, als ob wir das aus unserem System bekommen mussten. Würde ich die Rollen wieder spielen? Nicht für Geld und Ruhm, aber um eine gute Geschichte zu erzählen. Aber ich würde nicht einfach jeden Gangster spielen.

Glauben Sie, dass die Südafrikan­er noch stark in Stereotype­n verhaftet sind?

Ja, definitiv. Wir alle denken in Klischees, wir haben alle vorgeferti­gte Bilder. Ich glaube aber, das ist weltweit so.

Aber hier finden sich verschiede­ne Nationen in einem Land.

Ja, ich möchte gerne mal Mäuschen spielen in den Häusern mancher Leute, um ihre Gespräche zu hören. Gerade eben, ich war mit meiner Familie am Strand, und wir kommen zurück zum Auto, da steht eine andere Familie, eine Coloured-Familie, und der Junge sagt zu seiner kleinen Schwester: »Warum bist du so wie ein ...« Und er benutzt das K-Wort, Kaffir! Meine Frau und ich dachten: Hey, das solltest du nicht sagen. Aber es war nicht unser Kind, und es waren Erwachsene da, aber keiner hat was gesagt. Also gibt es noch Vorurteile? Ich würde sagen: Ja!

Aber wenn das Apartheid-Regime zu 100 Prozent versucht hat, uns zu segregiere­n, uns voneinande­r zu trennen, ein Gefühl von Anderssein zu schaffen – dann frage ich mich heute: Warum hat man danach nicht versucht, zu 250 Prozent das Gegenteil zu schaffen, die Negativitä­t aufzulösen, all die Trennung, alles, was uns teilt, was uns atomisiert? Warum stellt man sich nicht permanent und mit aller Macht dagegen, erzählt andere Geschichte­n, arbeitet daran? Warum nehmen wir nicht Schüler aus den großen teuren Privatschu­len, vornehmlic­h weiße Schüler, und bringen sie mit den Schülern aus Hanover Park zusammen, aus dem Ghetto, wo ich herkomme? Warum ist das nicht passiert? Das ist es, was mich ärgert, wenn ich frage, ob wir genug getan haben. Es ist, als ob wir einfach gesagt haben: Okay, alles gut, Apartheid ist vorbei, ihr könnt jetzt überall hingehen, überall rumlaufen und essen, wo ihr wollt. Kann ich nicht! Meine Mentalität erlaubt mir das nicht! Und eure Mentalität erlaubt mir das auch nicht. Das ist es, was wir angehen müssen.

 ??  ?? Die Apartheid am Strand in den 80er Jahren hat Interviewp­artner Irshaad Ally in Kapstadt selbst zu spüren bekommen.
Die Apartheid am Strand in den 80er Jahren hat Interviewp­artner Irshaad Ally in Kapstadt selbst zu spüren bekommen.

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