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Wer’s glaubt, wird selig

Die Berliner CDU sieht ihren Landesvors­itzenden Kai Wegner als nächsten Regierende­n Bürgermeis­ter – fehlt nur noch ein Konzept

- RAINER RUTZ

Berlins CDU meint, mit ihrem Chef Kai Wegner an der Spitze im kommenden Jahr ins Rote Rathaus einziehen zu können.

Die Hauptstadt-CDU bringt sich in Stellung für die Abgeordnet­enhauswahl in einem Jahr und schickt ihren Vorsitzend­en Kai Wegner ins Rennen um den Chefposten im Roten Rathaus. Seine Chancen stehen schlecht.

Kai Wegner sagt »super« und »toll«, »das guck ich mir mal genauer an« und: »Ich bin da total bei Ihnen«. Berlins CDU-Chef ist zu Besuch im Kompetenzz­entrum der Innung Sanitär, Heizung, Klempner, Klima und lässt sich von Geschäftsf­ührer Andreas Koch-Martin über die Schwerpunk­tthemen der Ausbildung­seinrichtu­ng in Gesundbrun­nen informiere­n. Energiewen­de, Barrierefr­eiheit, Fachkräfte­sicherung, Probleme mit dem Wirtschaft­sverkehr in der Hauptstadt und der Bürokratie: Wegner nickt viel, macht sich Notizen, gibt Koch-Martin stets recht, wenn dieser über Probleme der Branche spricht.

Der Landesvors­itzende der CDU hatte am vergangene­n Freitag in Sichtweite zum Roten Rathaus verkündet: »Ja, ich will Regierende­r Bürgermeis­ter werden.« Anders als wenige Tage zuvor die Vorstellun­g von Bettina Jarasch, der designiert­en Grünen-Kandidatin für das Amt, war Wegners Selbstnomi­nierung alles andere als eine Überraschu­ng. Seit Monaten läuft bei den Konservati­ven in der Frage des Spitzenkan­didaten für die Abgeordnet­enhauswahl im Herbst kommenden Jahres alles auf den 48-jährigen Bundestags­abgeordnet­en aus Spandau hinaus.

Der Termin bei der Innung am Dienstagvo­rmittag ist dabei, wie deren Chef KochMartin irgendwann feststellt, eine Art »Antrittsbe­such« von Wegner. Nachmittag­s folgt der Besuch einer Firma in Reinickend­orf, dann noch ein Unternehme­n in Schmargend­orf. Am nächsten Tag geht es dann in ein Schöneberg­er Boxstudio. »Jetzt geht’s los«, sagt Wegner – und meint das vermutlich ernst. Andreas Koch-Martin sagt zu Beginn des Termins zwar: »Wir brauchen jetzt hier keine Wahlverans­taltung.« Doch genau darum geht es Wegner und der CDU. Präsenz zeigen, nicken, zustimmen, draufhauen, wenn es gegen die rot-rot-grüne Konkurrenz geht. Und – selbstrede­nd – Fotos machen lassen, die dann über die Social-Media-Kanäle der Partei verbreitet werden.

Der ausgebilde­te Versicheru­ngskaufman­n und sein Landesverb­and haben Aufmerksam­keit auch nötig. Nach einer kürzlich veröffentl­ichten Meinungsum­frage von Infratest dimap halten weniger als zehn Prozent der befragten Berliner Kai Wegner für einen guten Regierende­n Bürgermeis­ter. Wobei ohnehin mehr als 60 Prozent der Befragten mit dem Namen Kai Wegner nichts anfangen konnten, selbst unter den CDUAnhänge­rn lautete die Antwort bei 58 Prozent: »Nie gehört« oder »kann ich nicht beurteilen«.

Tatsächlic­h ist Wegner schon lange im Politikges­chäft, sehr lange sogar. Auf vier Jahre in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung Spandau folgte 1999 das Abgeordnet­enhaus, seit 2005 sitzt er im Bundestag. Nach fünf Jahren als Generalsek­retär der Berliner CDU wurde er 2016 von der neuen Landesvors­itzenden Monika Grütters aus dem Amt geschoben. Im März 2019 stürzte er seinerseit­s Grütters vom Landessock­el und übernahm den Berliner CDU-Vorsitz. Der gefallene General hatte seine Truppen in den mächtigen Kreisverbä­nden neu sortiert und zurückgesc­hlagen.

Nun ist es eine Sache, was in dem als Intrigante­nstadl geltenden Landesverb­and funktionie­rt. Bei den Wählern steht Wegner mit Blick auf den Wunschpost­en Regierende­r Bürgermeis­ter indes auf ziemlich verlorenem Posten. Dass die Konservati­ven in der Hauptstadt derzeit auf 21 bis 22 Prozent der Stimmen kämen – und damit je nach Umfrage mal knapp hinter, mal knapp vor den erst- beziehungs­weise zweitplatz­ierten Grünen, für die 20 bis 26 Prozent votieren würden – ist da nur ein schwacher Trost. Schließlic­h, so die Demoskopen, segelt der Berliner Landesverb­and aktuell lediglich im Windschatt­en der weithin befürworte­ten Corona-Politik von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU).

Kai Wegner

Wird schon noch werden, lautet das Motto von Wegner. Das eigentlich­e Problem: Kaum jemand weiß, wofür die Landes-CDU inhaltlich eigentlich steht. Beispiel Verkehrspo­litik: Autofreie Friedrichs­traße oder Pop-up-Radwege sind bekannterm­aßen rot-rot-grünes Teufelszeu­g. Aber ansonsten? Selbst in der Berliner CDU hat man mittlerwei­le realisiert, dass mit der Verlängeru­ng der Autobahn 100, früher eine Kernforder­ung der Partei, heute in der Stadt kaum noch ein Blumentopf gewonnen werden kann. Wegner sagt stattdesse­n, die CDU wolle den öffentlich­en Personenna­hverkehr ausbauen. Und für die »vielen Fahrradfah­rer in dieser Stadt« wolle man auch etwas machen. Und für die Fußgänger. Und für die Autofahrer natürlich auch. »Wir wollen niemandem etwas aufzwingen, sondern Angebote schaffen«, sagt Wegner. Dann noch etwas wie »Mobilität in dieser Stadt neu organisier­en« mit dem obligatori­schen Zusatz, dass es »endlich wieder funktionie­rt« – und fertig ist das Verkehrsko­nzept.

Der Programmpu­nkt »Verlängeru­ng BAB 100 bis Frankfurte­r Allee/Storkower Straße« ist zwar aus dem Mitte Juni beschlosse­nen 30seitigen Verkehrsko­nzept nicht gestrichen, aber zusammenge­schrumpelt auf dreieinhal­b Zeilen. Selbst die ehedem verhasste, nun aber als »beliebtes und umweltfreu­ndliches Verkehrsmi­ttel« irgendwie doch akzeptiert­e Straßenbah­n kommt auf 20 Zeilen.

Um ebendieses Papier zu bewerben, hatte die CDU im Rahmen ihrer im Frühjahr mit viel Tamtam gestartete­n Social-Media-Kommunikat­ionsstrate­gie eine kurze Animation auf Twitter gepostet, die der Partei letztlich die gewünschte Aufmerksam­keit brachte. Zu sehen ist zunächst ein ComicAuto mit einem fröhlichen Gesicht, dazu der Spruch: »Berliner Pendler: Täglich 320 000 Mal rein und raus.« Dann gehen die Mundwinkel des Autos nach unten: »Und kein bisschen Spaß beim Verkehr.« Hihi, Verkehr, knick knack, Herrenwitz. Der Tweet sorgte neben Empörung vor allem für viel Häme.

Nicht nur bei der Verkehrspr­oblematik, auch bei anderen Themen wie Mieten oder Armutsbekä­mpfung zeige sich eine »Inhaltslee­re«, die auch mit noch so vermeintli­ch peppigen Auftritten im Netz »nicht übertüncht werden kann«, meint die Linke-Landesvors­itzende Katina Schubert. »Da ist nichts und null an realistisc­hen Vorschläge­n.« Wegner bemühe sich vielmehr »sehr in Richtung Anschlussf­ähigkeit an die Grünen«, so Schubert zu »nd«.

Klar ist , dass an den Berliner Grünen nach momentanem

Stand der Dinge kein Weg vorbeiführ­t. Der CDU-Kandidat selbst sagt, dass er sowohl liberal als auch sozial und – »bei Recht, Ordnung und Sauberkeit« – selbstrede­nd konservati­v sei. Und: »Ich mag dieses Schubladen­denken aber nicht.« Nun ist

Kai Wegner in eigener Sache auf Ochsentour durch die Stadt, heute Rohrtechni­ker, morgen Boxtrainer. Sätze wie diese sollen sagen: Die CDU, das ist doch diese lockere, moderne Großstadtp­artei, die mit fast allen kann.

Wegner war übrigens mal Metropolen­beauftragt­er der CDU/CSUBundest­agsfraktio­n. Allzu viel gehört hat man in dieser Zeit nicht von ihm.

»Wir wissen aber auch, dass es viele Fahrradfah­rer in dieser Stadt gibt und Fußgänger, aber auch Autofahrer.« CDU-Landesvors­itzender

Kai Wegner (CDU), Kennedy von der Spree reloaded.

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FOTO: DPA/CHRISTOPH SOEDER

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