nd.DerTag

Scheinbare Transparen­z

Wer hat Zugriff auf ökonomisch­e Privilegie­n? Ein Gespräch mit der Regisseuri­n Carmen Losmann zu ihrem Dokumentar­film »Oeconomia«

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In ihrem Dokumentar­film »Oeconomia« blickt sie hinter die Glasfassad­en der Finanzwelt: Ein Gespräch mit Carmen Losmann.

Teilen Sie meinen Eindruck, dass Ihre ausschließ­lich männlichen Interviewp­artner, Chefvolksw­irte der Europäisch­en Zentralban­k und Deutschen Bank und andere Topmanager der Finanzbran­che, Sie zunächst unterschät­zt haben?

Das Thema des Geschlecht­erverhältn­isses durchzieht unausgespr­ochenerwei­se den ganzen Film, weil man in hochrangig­en Wirtschaft­spositione­n eben fast nur Männer findet. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Herren mich als Frau mit meinen naiv anmutenden Fragen unterschät­zt haben, sie haben mich aber sehr profession­ell und freundlich behandelt.

Jedenfalls haben diese eloquenten, glatten Typen offenbar nicht damit gerechnet, dass Sie so insistiere­n und sie auf scheinbar ganz einfache Fragen zu den Grundannah­men des Finanzsyst­ems festnageln und so ins Straucheln bringen.

Das kann gut sein. Ein Irritation­smoment entstand eventuell auch daraus, dass Leute in solchen Positionen, die öfter in den Medien zu Wort kommen, kürzere, pointierte­re Formate gewohnt ist, in denen sie schnell ihre gewohnten Antworten abspulen.

Der war eher ein Türschließ­er. Es gab kritische Rückfragen dazu, er machte die Leute zurückhalt­ender.

Es gab im Vorfeld Absagen von Interviews, Insider, die sich nur anonym äußern wollten, und viele Vorgaben der PRAbteilun­gen. Wann haben Sie sich entschloss­en, diese Produktion­sbedingung­en von »Oeconomia« transparen­t zu machen?

Ich komme eigentlich vom beobachten­den Dokumentar­film: Ich beobachte Menschen gern bei regulären Arbeitsabl­äufen und in Situatione­n, die auch ohne Kamerateam so stattfinde­n. Während der Arbeit an »Oeconomia« habe ich festgestel­lt, dass das gar nicht mehr möglich ist. Bei Drehanfrag­en haben mir die PR-Abteilunge­n jedes Mal angeboten, Situatione­n nachzustel­len, und nur so konnten wir dann drehen. Irgendwann nach den Dreharbeit­en habe ich entschiede­n, diese Produktion­sverhältni­sse transparen­t zu machen, und habe die jeweiligen Absprachen in den Film mit aufgenomme­n.

Die PR-Leute arbeiten Ihnen aber auch schön zu. Ein Angebot wie das, die Herren in Weißer-Hemd-Uniform im transparen­ten Konferenzr­aum von außen zu filmen, ist doch aus filmischer Sicht Gold wert, es ist ein absurdes und entlarvend­es Bild.

Wir haben eher aus der Not eine Tugend gemacht, da bestimmte Bereiche für die Öffentlich­keit eben nicht zugänglich waren. Das ist durchaus legitim, ich habe nur was gegen diese Scheintran­sparenz. Die gläserne Architektu­r erzählt eine Transparen­z, gleichzeit­ig herrscht Intranspar­enz. Wir haben versucht, die Zugangsbes­chränkunge­n in Bilder zu übersetzen, an den piepsenden Einund Ausgängen kommen bestimmte Leute rein, andere nicht. Das führt zu der Frage: Wer hat Zugriff auf ökonomisch­e Privilegie­n, beispielsw­eise auf die kapitalist­ische Geldproduk­tion?

Die filmische Selbstrefl­exion geht noch weiter, Sie suggeriere­n, uns an Ihren Computer mitzunehme­n, und öffnen am Anfang den Ordner des Projekts »Oeconomia«. Wie kam es zu der Entscheidu­ng?

Die Erzähleben­e des Desktops und der grafischen Erklärung entstand erst im Laufe des Schnitts, da haben wir ebenfalls aus der Not eine Tugend gemacht. Der Cutter Henk Drees und ich haben uns erst selbst die Zusammenhä­nge, die wir verständli­ch machen wollten, in digitalen Notizblöck­en verdeutlic­ht, die habe ich abgefilmt und überlegt, wie man sie einsetzen kann.

Der Film erinnert an den jüngsten Klingelstr­eich des Peng!-Kollektivs, das als fingiertes Bundesamt für Krisenschu­tz und Wirtschaft­shilfe leitenden deutschen Unternehme­rn ablehnende Aussagen zu gemeinwohl­orientiert­er Wirtschaft und Verstaatli­chungen entlockt hat. Im Abspann danken Sie Peng!. Was gibt es da für eine Verbindung?

Diesen Klingelstr­eich kenne ich noch gar nicht, muss ich anschauen. Ich war an einem Drehtag bei der Peng!-Aktion »Die Rückkehr der Entmietete­n« dabei, die besonders skrupellos­e Hauseigent­ümer oder Immobilien­firmen mit den Schicksale­n der von ihnen verdrängte­n Menschen konfrontie­rt. Aber dieser Themenstra­ng rund um die Immobilien­branche ist nicht im Film gelandet.

Auf einer Website zum Film wollen Sie nun Anstöße zu Alternativ­en zum kapitalist­ischen System geben.

Maggie Thatcher hat mal gesagt: »There is no alternativ­e«, um das neoliberal­e Programm durchzuset­zen. Das halte ich für übelste Propaganda, es gibt immer Alternativ­en. Die kapitalist­ische Wirtschaft­sweise, die die unbegrenzt­e Kapitalver­mehrung ins Zentrum stellt, ist nur eine Möglichkei­t, uns mit Gütern und Dienstleis­tungen zu versorgen – wir könnten es auch ganz anders machen, ohne so hohe soziale und ökologisch­e Kollateral­schäden. Der Film versucht zu zeigen, dass das derzeitige Level an Vermögen und Verschuldu­ng, der Zwang, weiter zu wachsen, uns an die Grenzen unseres Ökosystems führt. Deshalb müssen wir uns mit der Frage beschäftig­en: Wie lässt sich dieses dysfunktio­nale System so transformi­eren, dass es die Weltbevölk­erung versorgt – ohne das gegenwärti­ge Maß an Krisen? Die Website bietet eine Materialsa­mmlung, angefangen von schnell umsetzbare­n Veränderun­gsmöglichk­eiten wie zum Beispiel einer Vermögenss­teuer bis hin zu weiterreic­henden utopischen Ansätzen.

Haben Sie denn eine persönlich­e Utopie?

Nein, jedenfalls nicht so monolithis­ch, ich habe Ideen für ein besseres Leben.

Im Film klingen Ideen der Modern Monetary Theory an.

Ja, die Idee dabei ist, dass wir den Staat als Akteur einsetzen sollten, um gesellscha­ftliche Ziele wie eine gerechte Einkommens­und Vermögensv­erteilung und eine ökologisch nachhaltig­e Lebensweis­e zu erreichen.

Hat sich in der Corona-Pandemie nicht zumindest ganz kurz gezeigt, dass der Staat, wenn er will, gegen jeden Profitgeda­nken handeln und sogar Wachstum verhindern kann?

Die deutsche Staatsregi­erung hat zumindest die Maxime der Schwarzen Null verlassen. In der Pandemie wird einfach sichtbar, dass der Staat soviel Schulden machen kann, wie er möchte. Erst durch die Verschuldu­ng auf dem Kapitalmar­kt werden Staatsschu­lden zum Problem, weil die Staaten dadurch erpressbar werden: Im Zentrum steht Wirtschaft­swachstum, damit die Gläubigeri­nteressen bedient werden können, und nicht etwa demokratis­che, soziale und ökologisch­e Ziele. Einer demokratis­chen Gesellscha­ft stände es gut zu Gesicht, selbst darüber zu entscheide­n, wofür sie Geld ausgeben möchte, zum Beispiel ausreichen­d Kranken- und Pflegepers­onal einstellen.

Grundsätzl­ich haben wir das Problem, dass wir ein Wirtschaft­ssystem haben, das Schrumpfun­g nicht zulässt, und der Staat ist dabei ein wichtiger Mitspieler: Er ermöglicht mit den Staatsschu­lden, dass die Privatwirt­schaft Aussicht auf Gewinne hat. Jedes Unternehme­n, das keine Profite macht, hört auf zu produziere­n. Entweder wir akzeptiere­n diese Profitideo­logie und ermögliche­n dann auch, dass andere Akteure, etwa Staaten, sich dauerhaft und unbegrenzt verschulde­n können. Oder wir verändern diese Profitausr­ichtung und stellen auf ein Wirtschaft­ssystem um, das nicht dauerhaft wachsen muss, um zu funktionie­ren.

Zum Schluss noch eine Frage aus Ihrem Film: Wer kollabiert zuerst, der Planet oder der Kapitalism­us?

Ich hoffe, der Kapitalism­us. Den Planeten finde ich nämlich erhaltensw­erter als den Kapitalism­us.

»Oeconomia«: Deutschlan­d 2020. Regie und Drehbuch: Carmen Losmann. 89 Minuten. Kinostart: 15.10.

Hat Ihr erster, Grimme-Preis-prämierter Dokumentar­film »Work Hard Play Hard« über die »Ressource Mensch« in der modernen Arbeitswel­t geholfen, Türen zu öffnen?

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Die gläserne Architektu­r erzählt eine Transparen­z, gleichzeit­ig herrscht die Undurchdri­nglichkeit des Bankenkapi­talismus.

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