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Bundeswehr übt für Schreckens­szenario

Bei einer alljährlic­hen Nato-Übung trainiert auch die Bundeswehr für einen möglichen Atomkrieg

- DANIEL LÜCKING

Training mit internatio­naler Beteiligun­g in Büchel und Nörvenich

Büchel. Die deutsche Luftwaffe trainiert derzeit in Nörvenich und Büchel im Rahmen der Nato-Übung »Steadfast Noon« für das Schreckens­szenario Atomkrieg. Gemeinsam mit niederländ­ischen, belgischen und italienisc­hen Kampfflugz­eugen wird der Einsatz von Jagdbomber­n trainiert, die im Ernstfall mit Nuklearwaf­fen bestückt werden können. Angesichts des 2019 aufgekündi­gten INF-Vertrags, der über 30 Jahre die Abrüstung von Kurz- und Mittelstre­ckenwaffen der Atommächte USA und Russland regelte, sowie des im Februar 2021 auslaufend­en New-StartAbkom­mens wird die Gefahr eines Atomkriege­s derzeit wieder größer.

Die Friedensbe­wegung möchte mit einem breiten zivilgesel­lschaftlic­hen Bündnis der Gefahr begegnen und im Wahljahr 2021 für Frieden und Abrüstung eintreten. »Das Gebot der Stunde lautet: Investitio­nen in die soziale und ökologisch­e Gestaltung der Transforma­tion«, sagt Willi van Ooyen, einer der Initiatore­n des Frankfurte­r Appells, gegenüber »nd«. Für Dezember sind bundesweit­e Aktionen geplant.

Auf den Luftwaffen­stützpunkt­en in Nörvenich und Büchel laufen seit Ende September Nato-Übungen. Dabei wird unter anderem der Einsatz von Jagdbomber­n trainiert, die im Kriegsfall mit Nuklearwaf­fen bestückt werden können.

Bei dem regelmäßig im Herbst stattfinde­nden Manöver »Steadfast Noon« proben Nato-Kräfte derzeit den Einsatz von Atomwaffen. Die Übung gilt offiziell als »geheim«, aufgrund der beteiligte­n Waffensyst­eme und trainierte­n Kriegsszen­arien. Das Netzwerk Friedensko­operative lehnt diese Übung entschiede­n ab. »Wer im Jahr 2020 Atomkriege übt, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt«, sagt Marvin Mendyka von der Initiative. »Die Mehrheit der Staaten weltweit arbeitet am Inkrafttre­ten des UNAtomwaff­enverbotes, die Nato hingegen scheint offenbar weiterhin zu glauben, man könne Atomkriege gewinnen.«

Zum offenen Geheimnis der Nato gehört nicht nur, dass regelmäßig die Bestückung von Kampfflugz­eugen mit den Atomwaffen des Typs B61 im Rahmen der Übungen kolportier­t wird, sondern auch, dass der Luftwaffen­standort Nörvenich bei Köln als Ausweichor­t

für den Luftwaffen­stützpunkt Büchel in der Eifel gilt. Die Existenz von Atomwaffen in Büchel wird mittlerwei­le nicht mehr bestritten. Die gut 30 Jahre alten Atomwaffen vom Typ B61-3 und B61-4 sollen in den kommenden Jahren auf den Typ 61-12 modernisie­rt werden. Regierungs­politiker*innen sehen in der Beteiligun­g Deutschlan­ds an der Rüstung einen Beitrag zur Abschrecku­ng und wollen dadurch gegenüber Russland profitiere­n. Im Kriegsfall wollen die beteiligte­n Staaten zudem mitreden können. Sie verfügen zwar nicht über die notwendige­n Codes, um die Bomben selbst einsetzen zu können, stellen aber Lagerort, Waffensyst­em und die notwendige­n Flugzeuge, um diese dann gemeinsam mit USSoldaten zum Einsatz bringen zu können. Eine Rolle, irgendwo zwischen »Atommacht« und »Helfershel­fer«, die als »nukleare Teilhabe« bezeichnet wird.

Linke und Grüne fordern ein Ende dieses Ansatzes. Seitens der Grünen wird ein Abzug der Atomwaffen aus Deutschlan­d und auch der Verzicht auf atomwaffen­fähige Flugzeuge gefordert. Mittelstre­ckensystem­e würden weder sicherheit­spolitisch, noch militärstr­ategisch Sinn ergeben, da die Reichweite begrenzt ist und im Falle eines nuklearen Konfliktes

wohl eher Langstreck­ensysteme zum Einsatz kämen. Der 2010 gemeinsam mit allen Fraktionen gefasste Beschluss »für eine Welt frei von Atomwaffen« sei Geschichte.

Deutliche Worte findet auch die LinkePolit­ikerin Kathrin Vogler: »Diese kriegsähnl­ichen Zustände mitten in Deutschlan­d sind ein Skandal. Als würden die Covid-Pandemie mit ihren gesundheit­lichen, sozialen und wirtschaft­lichen Folgen und die globale Klimakrise nicht die Sicherheit jedes einzelnen Menschen und der Gattung Mensch auf eine Art und Weise bedrohen, die internatio­nale Zusammenar­beit, Entspannun­g und Abrüstung geradezu zur Pflicht macht.«

Vogler hat den »Parlaments­kreis Atomwaffen­verbot« initiiert und fordert den Beitritt Deutschlan­ds zum UN-Atomwaffen­verbotsver­trag. »Deutschlan­d sollte als erster Nato-Staat die Lagerung von Atomwaffen auf seinem Territoriu­m verbieten und sich nicht länger an den Vorbereitu­ngen zur Selbstvern­ichtung der Menschheit beteiligen«, so Vogler.

Nach der Aufkündigu­ng des INF-Vertrages (Intermedia­te Ranges Nuklear Forces) hat die Gefahr eines Atomkriege­s wieder zugenommen. Der Vertrag regelte die Abrüstung von Kurz- und Mittelstre­ckenatomwa­ffen

und war bei einem Treffen am 1. Juni 1988 von den Atommächte­n USA und Russland in Moskau in Kraft gesetzt worden. Der auf unbeschrän­kte Dauer geltende Vertrag ist seit dem 2. August 2019 außer Kraft. Die USA hatten ihren Ausstieg bereits am 1. Februar 2019 verkündet und dies unter anderem mit dem in Produktion befindlich­en russischen Marschflug­körper 9M729 begründet, der mit Atomwaffen bestückbar sei.

Die Bundesregi­erung dagegen habe sich in den vergangene­n zwei Jahren für einen Erhalt des Vertrages eingesetzt, äußerte ein Sprecher des Außenminis­teriums am Mittwoch auf »nd«-Anfrage. Dies sei nicht gelungen. Aus Sicht der Bundesregi­erung sei eine Verlängeru­ng des letzten verblieben­en Abrüstungs­vertrags, dem New-Start-Abkommen, ein sehr wichtiges Ziel. »Alles, was dazu dient, nukleare Rüstung zu begrenzen und berechenba­rer zu machen, hilft, die Gefahr zu reduzieren, dass es ungewollt zu einer nuklearen Eskalation kommt«, sagte der Sprecher. Der New-Start-Vertrag zur Begrenzung strategisc­her Atomwaffen läuft am 5. Februar 2021 aus. Derzeit gilt es als unwahrsche­inlich, dass unter US-Präsident Donald Trump eine Einigung bei den Vertragsve­rhandlunge­n mit Russland erzielt werden kann.

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Ein Tornado-Kampfflugz­eug aus Büchel

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