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Nervosität im rechten Lager

Knapp ein Jahr nach dem Putsch gegen Evo Morales stehen in Bolivien wieder Präsidents­chaftswahl­en an. Die De-facto-Machthaber fürchten Niederlage gegen die Bewegung zum Sozialismu­s

- THOMAS GUTHMANN, LA PAZ

Am 18. Oktober sollen die mehrmals verschoben­en Neuwahlen in Bolivien die schwere innenpolit­ische Krise lösen. Absehbar ist das nicht.

Eine Woche vor der Wahl gab er auf. Ex-Präsident Jorge »Tuto« Quiroga (2001-2002) sah es ein: »Ich habe es nicht geschafft, dem bolivianis­chen Volk meinen Vorschlag zu vermitteln, ich habe keine Möglichkei­t, Präsident zu werden.« Dabei dümpelte der Kandidat des Wahlbündni­sses Libre 21 von Beginn an bei wenigen Prozent in den Umfragen herum, hatte also von vornherein keine Aussicht auf Erfolg. Durch seinen Rückzug lichtet sich das Feld der Kandidaten*innen von sieben auf sechs Bewerber*innen. Zwischenze­itlich war unklar, ob Maria Bayá, Kandidatin der rechten ADN und einzige Frau im Rennen, ebenfalls das Handtuch werfen würde. Sie blieb, aber auch sie hat keine Chancen im Rennen um den Einzug in den Präsidente­npalast.

Die Nervosität im Lager der MAS-Gegner*innen scheint zu steigen, nachdem auch die letzte Umfrage vor den Wahlen nicht den Effekt gezeigt hatte, den sich viele vom Rückzug der De-facto-Übergangsp­räsidentin Áñez aus dem Rennen erhofft hatten. Carlos Mesa, der direkte Gegenspiel­er von Luis Arce, dem Kandidaten der Bewegung zum Sozialismu­s (MAS) und ehemaligen Wirtschaft­sminister unter Evo Morales (Präsident 2006-2019), konnte zwar in den Umfragen leicht zulegen, aber für Arce liegt ein Sieg in der ersten Runde in Reichweite. Dafür braucht er mindestens 40 Prozent plus mindestens zehn Prozentpun­kte Vorsprung. Derzeit liegt er mit 42,2 Prozent klar vor dem neoliberal­en Ex-Präsidente­n Mesa (2003-2005) mit 33,1 Prozent. Die meisten offizielle­n Projektion­en sehen entweder einen Sieg der MAS mit Arce in der ersten Runde am 18. Oktober oder einen Sieg von Mesa in der zweiten Runde als die beiden wahrschein­lichsten Szenarien.

Ex-Kandidatin und Übergangsp­räsidentin Jeanine Áñez sah sich sogar gezwungen, zu einer Stimmabgab­e gegen die MAS aufzurufen. Man solle den Kandidaten wählen, der die besten Chancen gegen Luis Arce habe, meinte sie bei einem Truppenbes­uch in Beni. Da sie dort als Amtsträger­in auftrat, verletzte sie das Neutralitä­tsgebot, das im Wahlgesetz festgeschr­ieben ist. Demnach darf kein Funktionär während der Ausübung seines Amtes Wahlkampf machen. Auch andere Politiker*innen bekundeten, für Carlos Mesa zu stimmen, darunter Innenminis­ter Arturo Murillo und der Bürgermeis­ter von La Paz, Luis Revilla.

Der Kandidat Miguel Roca, der für Carlos Mesas Comunidad Ciudadana fürs Parlament kandidiert, sagte gegenüber der Nachrichte­nagentur ERBOL: »Jede Stimme,

die nicht für Carlos Mesa ist, ist eine Stimme für die MAS.« In einer Kolumne merkte die Autorin Verónica Córdova daraufhin an: »Es erscheint ironisch, dass diejenigen, die behaupten, 2019 hätte es einen monumental­en Wahlbetrug durch die MAS gegeben, nun befürchten zu verlieren.« 2019 gewann die MAS mit Kandidat Evo Morales die inzwischen annulliert­en Wahlen laut offizielle­m Endergebni­s mit

Verónica Córdova

47,08 Prozent und mit wenig mehr als zehn Prozentpun­kten Vorsprung gegenüber Carlos Mesa, der auf 36,51 Prozent kam. Für das Anti-MAS-Lager konnte dieses Ergebnis nur durch Manipulati­on zustande kommen. Ein Vorwurf, der bis heute nicht stichhalti­g bewiesen werden konnte. Cordóva weist dagegen darauf hin, dass die MAS bei einem Volksentsc­heid 2016 ein ähnliches Ergebnis erzielen konnte und spricht von einer »Konstante im Wahlergebn­is«, der auf einen Stammwähle­r*innenantei­l bei der MAS von weit über 40

Prozent hindeute. Für die Parlaments­wahlen, die zeitgleich stattfinde­n, sieht die letzte Umfrage von Ciesmori die MAS sogar erneut mit absoluter Mehrheit vorne. Im Senat käme sie demnach auf 20 von 36 Sitzen. 2019 gewann die MAS sowohl im Abgeordnet­enhaus als auch im Senat die absolute Mehrheit.

Wegen der Umfragen steigt der Druck auf Fernando Camacho, dem ultrarecht­en Kandidaten von Creemos, seine Kandidatur ebenfalls niederzule­gen. Bisher macht der Unternehme­rsohn aus Santa Cruz jedoch keine Anzeichen, sich in letzter Minute zurückzuzi­ehen. Vielmehr erhöhte er zuletzt seine Wahlkampfa­ktivitäten und schoss gezielt gegen Carlos Mesa. Vergangene Woche twitterte er »Was für eine Schande, dass Carlos Mesa dem Land vorschlägt, einen Pakt mit Evo Morales einzugehen.« Mesa hatte zuvor auf einer Pressekonf­erenz die parlamenta­rische Zusammenar­beit mit der MAS nicht ausgeschlo­ssen.

Mesa und vor allem Luis Arce konzentrie­ren sich im Schlussspu­rt auf die noch unentschlo­ssenen Wähler*innen. Um die zehn Prozent zeigen sich laut den Umfragen noch unentschie­den. Zudem kommen etwa fünf Prozent der Wähler*innenstimm­en aus dem Ausland. Die meisten von in Argentinie­n lebenden Bolivianer*innen und die stimmen traditione­ll in großer Anzahl für die MAS.

»Es erscheint ironisch, dass diejenigen, die behaupten, 2019 hätte es einen monumental­en Wahlbetrug durch die MAS gegeben, nun befürchten zu verlieren.« Kolumnisti­n

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Auch wenn er bei den Wahlen selbst nicht mehr antreten darf, steht das politische Vermächtni­s von Evo Morales in Bolivien am Sonntag auf dem Spiel.

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