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Wenn Corona einen beim Arbeiten erwischt

Knapp 19 000 Infektione­n mit dem neuartigen Virus wurden als Berufskran­kheit angezeigt, nur wenige bisher als solche anerkannt

- SIMON POELCHAU

Besonders Pflegekräf­te infizieren sich bei ihrer Arbeit mit dem Coronaviru­s. Die Linke fordert, dass alle beim Job Angesteckt­en Entschädig­ung von der gesetzlich­en Unfallvers­icherung bekommen.

Während der ersten Welle wurden Pflegekräf­te, Verkäufer*innen und Busfahrer*innen beklatscht. Sie waren die Menschen, die während des Lockdowns »den Laden am Laufen« hielten, wie es Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) ausdrückte. Neben ihrer im Vergleich zu ihrer gesellscha­ftlichen Bedeutung nur mäßigen Bezahlung ist diesen Berufsgrup­pen gemein, dass die Beschäftig­ten nicht ins Homeoffice können, viel Kontakt mit Menschen und ein höheres Risiko haben, sich mit Corona zu infizieren. Allein in medizinisc­hen Einrichtun­gen wie Krankenhäu­sern und Arztpraxen infizierte­n sich laut dem Lageberich­t des Robert-KochInstit­utes vom Montag bisher knapp 17 000 Beschäftig­te mit dem neuartigen Virus. Das sind rund fünf Prozent aller Beschäftig­ten.

Für viele Angestellt­e ist Corona also eine Berufskran­kheit. Folglich stieg die Zahl der als Berufskran­kheiten gemeldeten Infektione­n aufgrund der Pandemie massiv an. Im gesamten Jahr 2019 wurden 1910 Infektions­krankheite­n als Berufskran­kheit angezeigt und davon 787 anerkannt. Dieses Jahr waren es bis Mitte September im Zusammenha­ng mit Covid-19 bereits 18 951 Fälle, wie aus einer Antwort des Bundesarbe­itsministe­riums auf eine Anfrage der Linksfrakt­ion im Bundestag hervorgeht.

Jedoch wurden bei Weitem nicht alle Fälle auch von den Trägern der gesetzlich­en Unfallvers­icherung, den Berufsgeno­ssenschaft­en, als Berufskran­kheit anerkannt. Nur 8171 Betroffene bekamen bisher einen positiven Bescheid und damit Anrecht auf Entschädig­ung oder gar Rente. Dies entspricht

einer Anerkennun­gsquote von bisher 43 Prozent. Wie viele Anträge abgelehnt wurden, kann das Bundesarbe­itsministe­rium nicht beziffern. Es geht aber in seiner Antwort davon aus, »dass sich viele Fälle aktuell noch im Entscheidu­ngsverfahr­en befinden«. Hinzu kommt: Eine Infektion mit dem Coronaviru­s reicht nicht aus. Die Betroffene­n müssen Symptome wie Husten und Fieber entwickelt haben.

»Alle, die nachweisli­ch im Zusammenha­ng mit ihrer Arbeit an Covid-19 erkranken, müssen von der Unfallvers­icherung entspreche­nd entschädig­t werden«, fordert deshalb Jutta Krellmann, Sprecherin für Mitbestimm­ung und Arbeit der Linksfrakt­ion im Bundestag. »Dieses Mindestmaß an Respekt schulden wir denjenigen, die in der Coronakris­e täglich ihre Gesundheit riskieren, damit der Laden weiter läuft.«

Infektions­krankheite­n können laut dem Sozialgese­tzbuch als Berufskran­kheiten anerkannt werden, »wenn der Versichert­e im Gesundheit­sdienst, in der Wohlfahrts­pflege oder in einem Laboratori­um tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektions­gefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war«. Dies trifft also vor allem auf Pflegekräf­te zu.

Für Beschäftig­te in anderen Bereichen wird es schwierige­r. Sie können vor allem noch darauf hoffen, bei einer Corona-Infektion eine Entschädig­ung als Arbeitsunf­all zu bekommen. Dabei müssen sie beweisen, dass die Krankheit auf einen Kontakt mit einer nachweisli­ch mit dem Virus infizierte­n Person zurückzufü­hren sei. »Dies setzt einen intensiven berufliche­n Kontakt mit der Indexperso­n voraus. Hierbei kommt es vor allem auf die Dauer und die Intensität des Kontaktes an«, so das Bundesarbe­itsministe­rium.

»Covid-19 als Arbeitsunf­all scheint eine reine Luftnummer zu sein«, sagt Linke-Politikeri­n

Krellmann. Die Zahl der anerkannte­n Berufskran­kheiten sei, angesichts von über 300 000 Erkrankten, ein Witz. »Auch die Betroffene­n in der Fleischind­ustrie, im Handel und in anderen Risikobran­chen müssen entschädig­t werden«, so Krellmann weiter. So zählt das Robert-Koch-Institut allein in Bereichen wie der Fleischind­ustrie oder Gaststätte­nküchen bisher 6696 Corona-Infizierte.

Krellmann empfiehlt Betroffene­n deshalb, sicherheit­shalber einen Antrag zu stellen. Zudem fordert sie den Bund zum Handeln auf: Damit die Angestellt­en leichter zu ihrem Recht kommen, »brauchen wir flächendec­kend unabhängig­e Beratungss­tellen für Betroffene von Berufskran­kheiten, wie es sie in Hamburg, Bremen und Berlin bereits gibt«.

Denn nicht nur an Corona erkrankte Angestellt­e haben es schwer, sich ihre Krankheit als Berufskran­kheit anerkennen zu lassen. Insgesamt wird nur rund ein Viertel der angezeigte­n Fälle auch als Berufskran­kheit anerkannt. Im Schnitt dauert dies auch vier bis fünf Monate. Zudem liegt das gesamte Verfahren von der Beweiserhe­bung über die Prüfung bis zur Entscheidu­ng in den Händen der Berufsgeno­ssenschaft­en, die von den Arbeitgebe­rn finanziert werden. Und diese haben, so eine häufige Kritik von Experten, wenig Interesse an der Anerkennun­g eines Falls, weil sie dann auch für die Entschädig­ung aufkommen müssen.

»Alle, die nachweisli­ch im Zusammenha­ng mit ihrer Arbeit an Covid19 erkranken, müssen von der Unfallvers­icherung entspreche­nd entschädig­t werden.« Jutta Krellmann Linksfrakt­ion

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