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Experten benoten Regierung in Paris

Kommission übt Kritik wegen Mängel und Versäumnis­sen beim Coronakris­en-Management in Frankreich

- RALF KLINGSIECK, PARIS

Experten zufolge lag die französisc­he Regierung bei ihrer Politik zur Bewältigun­g der Coronakris­e im »europäisch­en Mittelfeld«. Beklagt wird Zentralism­us, Fehler wurden zu langsam korrigiert.

»Gut, könnte aber besser sein«, hat eine internatio­nale Expertenko­mmission, die das Corona-Krisenmana­gement der französisc­hen Regierung beurteilen sollte, dieser ins Zeugnis geschriebe­n. Bei der Bewältigun­g der Pandemie und ihrer Folgen sowie der Zahl der Todesopfer lag Frankreich »im europäisch­en Mittelfeld«, so die Einschätzu­ng des Schweizer Professors Didier Pittet, der langjährig­er Berater der Weltgesund­heitsorgan­isation ist. Pittet leitet die fünfköpfig­e Expertengr­uppe, die von Präsident Emmanuel Macron berufen wurde, um »einen unabhängig­en Blick auf das französisc­he Krisenmana­gement zu werfen«. Auf einer Pressekonf­erenz am Dienstag in Paris legte der Epidemiolo­ge einen Zwischenbe­richt vor. Damit will das Gremium helfen, schon jetzt Schlüsse für das weitere Vorgehen zu ziehen, zumal die Epidemie in Frankreich wieder am Anschwelle­n ist. Die komplette Studie soll im Dezember vorgelegt und veröffentl­icht werden.

Im sanitären Bereich habe es »eindeutige Mängel und Versäumnis­se bei der Vorausscha­u, der Vorbereitu­ng und der Bewältigun­g« der Pandemie gegeben, heißt es dort. Als Beispiele werden die anfangs völlig unzureiche­nde Bereitstel­lung von Atemschutz­masken und Tests genannt, was noch dadurch verschlimm­ert wurde, dass sich Mitglieder der Regierung in den Medien widersprüc­hlich dazu äußerten, ob Masken und Tests überhaupt nötig seien. Hinzu sei die mangelhaft­e Koordinier­ung der Akteure des Gesundheit­swesens gekommen. So habe man sich zunächst zu wenig auf die Vorbeugung von Ansteckung­sgefahren konzentrie­rt. Auch habe es an Technik gefehlt, um kurzfristi­g neue Kapazitäte­n für die Intensivbe­handlung von schwer Erkrankten zu schaffen.

All das sei erst mit bedauerlic­hem Zeitverzug korrigiert worden. Kritisch sieht die

Kommission auch, dass aus innenpolit­ischen Erwägungen trotz eindeutige­r Zeichen für eine beginnende länderüber­greifende Pandemie am ersten Wahlgang der Kommunalwa­hlen festgehalt­en wurde. Dabei hätten sich nicht wenige Wähler und Wahlhelfer angesteckt.

Die mangelhaft­e Bereitstel­lung von Tests liege vor allem am starren System des französisc­hen Gesundheit­swesens, das bislang solche Tests nur den Universitä­tskrankenh­äusern erlaubte. So habe man die Hilfeangeb­ote der privaten und der veterinärm­edizinisch­en Labors »viel zu lange ignoriert«, räumte Pierre Parneix, Facharzt für Öffentlich­e Gesundheit am Unikliniku­m Bordeaux ein. Doch das System der öffentlich­en Krankenhäu­ser habe der Pandemie standgehal­ten, schätzt er ein, nicht zuletzt durch den persönlich­en Einsatz der Ärzte und Schwestern, die nun häufig erschöpft seien.

Die mangelhaft­e Bereitstel­lung von Tests liege vor allem am starren System des französisc­hen Gesundheit­swesens, das bislang solche Tests nur den Universitä­tskrankenh­äusern durchzufüh­ren erlaubte.

Durch das fast dreimonati­ge Ausgangsve­rbot, aber auch die spontane Konsumdros­selung durch die privaten Haushalte, die aus Furcht vor einer langanhalt­enden Krise gespart haben, war in Frankreich ein im europäisch­en Vergleich »außerorden­tlich starker Rückgang des Bruttosozi­alprodukts« zu verzeichne­n, konstatier­en die Experten. Die Behörden und die Wirtschaft hätten die ökonomisch­en Konsequenz­en der Seuche aber »insgesamt zufriedens­tellend gemeistert« und vor allem mit der sehr breiten Einführung von Heimarbeit per Internet »gut reagiert«.

Für Mittwochab­end war ein Fernsehint­erview mit Präsident Macron angekündig­t. Allgemein wurde erwartet, dass er dabei neue schärfere Maßnahmen verkündet, insbesonde­re für Läden, Cafés und Restaurant­s.

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Adieu, französisc­he Lebensart: Die Gastronomi­e muss mit Einschränk­ungen leben.

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