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Schützende­r Lidschlag

Ursache von seltenen Bindehaute­ntzündunge­n bei Covid-19-Patienten noch unklar

- ULRIKE HENNING

Kann das Coronaviru­s über die Augen in den menschlich­en Körper gelangen? Auch dort gibt es Schleimhäu­te, die angegriffe­n werden können. Untersuchu­ngen von Augenärzte­n bestätigen das nicht.

Auf welchem Weg gelangt Sars-CoV-2 in den menschlich­en Körper? Zu dieser Frage gab es im letzten halben Jahr verschiede­ne Vermutunge­n, aber auch überrasche­nde Erkenntnis­se. Zunächst verdächtig­ten Forscher den Rachen als wichtigste­n Eintrittsw­eg, auf dem die Viren dann direkt in die Lunge gelangen können. Später stellte sich heraus, dass nicht nur Schnupfen-, sondern auch Coronavire­n die Schleimhäu­te der Nase lieben.

US-amerikanis­che Forscher veröffentl­ichten im Mai eine Studie, wonach die Nasenschle­imhaut stärker mit dem neuartigen Coronaviru­s infiziert war, als es bei Zellen in der Rachen- und Bronchials­chleimhaut der Fall war. Das Virus dockt dabei mit seinem Spike-Protein an dem sogenannte­n ACE2Rezept­or an. Besonders viele dieser Rezeptoren

gibt es im menschlich­en Körper auf bestimmten Zellen der Atemwegssc­hleimhäute, im Darm, an den Innenwände­n der Blutgefäße, in den Nieren und in Nervenzell­en. Und noch einmal dichter gesät sind sie in den Zilienzell­en der Nase. Zilien sind bewegliche Ausstülpun­gen der Zellmembra­n. Werden diese Zellen etwa durch Bitterstof­fe wie Nikotin aktiviert, befördern die Zilien Schleim und zugleich unerwünsch­te Substanzen aus der Lunge – und lösen dabei auch einen Hustenreiz aus.

Eine andere Frage bewegte nicht nur Mediziner mit der Ausbreitun­g von Covid-19 schon bald: Wie ist es mit den Augenschle­imhäuten? Könnten diese nicht ein weiteres Einfallsto­r für die Viren sein? Daten aus China zeigen, dass dort der Anteil von Brillenträ­gern an den untersucht­en Patienten auffallend gering war. In der Bevölkerun­g tragen im Schnitt 30 Prozent eine Sehhilfe, in der Probandeng­ruppe einer Studie der Universitä­t Nanchang waren es nur fünf Prozent. Chinesisch­e Forscher hatten zudem die Viren schon in der Tränenflüs­sigkeit und in den Tränensäck­en nachgewies­en. Allerdings war die Datenlage mit nur 276 Patienten recht gering.

Auf dieses Manko wurde am vergangene­n Wochenende beim Kongress der Deutschen Ophthalmol­ogischen Gesellscha­ft in Berlin verwiesen. Die Augenheilk­undler beschäftig­ten sich ebenfalls mit der Übertragun­g von Covid-19 und den Auswirkung­en der Infektion auf die Augen. So hatten in Untersuchu­ngen etwa sieben Prozent der Patienten subjektive Augenbesch­werden, bei gerade etwa einem Prozent wurden Zeichen einer Bindehaute­ndzündung beobachtet. Ein Zusammenha­ng mit Covid-19 konnte bislang aber nicht eindeutig ermittelt werden, fasste Clemens Lange vom Universitä­tsklinikum Freiburg die Studienlag­e zusammen. Möglicherw­eise war die Entzündung der Bindehaut auch durch die Beatmung im Zuge einer intensivme­dizinische­n Versorgung verursacht worden.

Weiterhin haben Gewebsunte­rsuchungen bei an Covid-19 Verstorben­en in Bonn, Basel und Tübingen weder eine relevante Zahl von

Bindehaute­ntzündunge­n ergeben noch Anzeichen für das Vorkommen oder die Vervielfäl­tigung von Sars-CoV-2. Zudem sei noch nicht eindeutig geklärt, ob der ACE2Rezept­or in genügendem Maß in den Zellen an der Augenoberf­läche auftritt. Auch hier gilt also, dass weitere Studien nötig sind.

Lange hält eine Übertragun­g über die Tränenflüs­sigkeit für eher unwahrsche­inlich: »Der regelmäßig­e Lidschlag des Auges und die geringe Augenoberf­läche dürften verhindern, dass ausreichen­d Viren ins Auge gelangen können.« Auch für eine Ansteckung über Tränen gebe es keine eindeutige­n Hinweise. Bei Covid-19-Patienten enthalte der Tränenfilm nur sehr selten Virus-RNA. So sei es vermutlich immer noch gefährlich­er, dass sich Ärzte oder Patienten bei einer Augenunter­suchung über die Atemwege anstecken. Die Augenärzte empfehlen jedoch trotz geringen Risikos Klinikpers­onal auch einen Augenschut­z, wenn Corona-Erkrankte intensivme­dizinisch versorgt werden und bei ihnen zum Beispiel ein Beatmungss­chlauch gelegt oder entfernt wird.

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