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Rohstoffe statt Industriep­rodukte

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Die Europäisch­e Union hat kein großes Interesse daran, dass die Staaten Afrikas untereinan­der eine Freihandel­szone etablieren, so Jörg Goldberg.

Im Mai 2020 sollte ein Projekt starten, das ein Meilenstei­n für Afrikas Zukunft werden könnte: Die afrikanisc­he Freihandel­szone (AfCFTA). Coronabedi­ngt wurde der Start auf Anfang 2021 verschoben. Damit wird ein Entwicklun­gshemmnis angegangen, das Afrika bis heute zum Nachzügler der Welt macht. Während woanders vor allem Nachbarsta­aten miteinande­r Handel treiben – in Europa und Asien entfallen bis zu 70 Prozent des Außenhande­ls auf innerkonti­nentalen Austausch – handeln die afrikanisc­hen Staaten vorwiegend mit außerafrik­anischen Ländern; der Grad der internen Handelsver­flechtung liegt bei 15 Prozent.

Das ist vor allem deshalb problemati­sch, weil die 55 afrikanisc­hen Länder – Ausnahme Nigeria und Südafrika – sehr kleine innere Märkte haben. Der Aufbau einer nationalen Verarbeitu­ngswirtsch­aft – der einzige Weg zu wirtschaft­licher Entwicklun­g und nachhaltig­en Arbeitsplä­tzen – scheitert oft an zu kleinen nationalen Absatzmärk­ten. Eine afrikanisc­he Freihandel­szone wäre ein gewaltiger Schritt nach vorne.

Notwendig ist als zweite Bedingung die Fähigkeit und Möglichkei­t der afrikanisc­hen Staaten, eine langfristi­g orientiert­e und national abgestimmt­e Industriep­olitik umzusetzen, was in einer Freihandel­szone leichter wäre. Globaler Freihandel wäre dagegen kontraprod­uktiv. Es hilft wenig, wenn Bundesentw­icklungsmi­nister

Müller die Europäisch­e Union auffordert, afrikanisc­he Nahrungsmi­ttelexport­e zollfrei zu stellen, wenn im Gegenzug Afrika seine Märkte öffnen und auf die Förderung afrikanisc­her Produktion­en verzichten soll. Es geht um mehr Verarbeitu­ngsstufen in Afrika – die Staaten des Kontinents sollen Schokolade exportiere­n und nicht Rohkakao.

Sicher wird es lange dauern, bevor Afrika einen Integratio­nsgrad erreicht wie zum Vergleich Ostasien oder Europa. Der Weg zu einer funktionie­renden Freihandel­szone ist lang. Das rechtferti­gt aber nicht die Zurückhalt­ung

Deutschlan­ds und der EU diesem wichtigen Vorhaben gegenüber. Dieses wird zwar nicht offen kritisiert, Deutschlan­d und Europa legen aber weiter den Akzent auf den Abschluss der umstritten­en Wirtschaft­spartnersc­haftsabkom­men (WPA) zwischen einzelnen afrikanisc­hen Ländern und der EU sowie auf ein Handelsabk­ommen mit den 79 Mitglieder­n der Organisati­on Afrikanisc­her, Karibische­r und Pazifische­r Staaten (AKPStaaten),das den Cotonou-Vertrag ablösen soll. Handelsabk­ommen zwischen einzelnen afrikanisc­hen Ländern beziehungs­weise Regionalgr­uppen einerseits und Europa beziehungs­weise anderen außerafrik­anischen Wirtschaft­szonen anderersei­ts beinhalten aber die Gefahr einer Handelsuml­enkung zu Lasten des innerafrik­anischen Handels. Sie könnten den Prozess der afrikanisc­hen Integratio­n behindern. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, würde der Fokus der Handelspol­itik weiterhin auf den Beziehunge­n mit nicht-afrikanisc­hen Mächten liegen.

Die auffallend­e Zurückhalt­ung in Europa und Deutschlan­d der AfCFTA gegenüber überrascht nicht. Die »Stiftung Wissenscha­ft und Politik«, der außenpolit­ische Think-Tank der Bundesregi­erung, meint: »Überlegung­en, die Handelspol­itik der Europäisch­en Union gegenüber Afrika anzupassen, … sind allerdings verfrüht.« Obwohl auch die Stiftung weiß, dass die Freihandel­szone Afrika große Entwicklun­gschancen eröffnet, steht sie dem Vorhaben skeptisch gegenüber: »Die AfCFTA kann nur als sehr langfristi­ges Projekt verstanden werden.« Die EU solle das Projekt erst dann in Rechnung stellen, wenn die Freihandel­szone vollendet ist: »Damit ist allerdings auf längere Sicht nicht zu rechnen.«

Dass eine Freihandel­szonen, die die »afrikanisc­he Verhandlun­gsmacht« stärkt, nicht im Interesse Deutschlan­ds und der EU ist, leuchtet ein. Die Wirtschaft­smächte außerhalb Afrikas sind vor allem an dem noch wenig erschlosse­nen Rohstoffko­ntinent interessie­rt, der Warenausta­usch Rohstoffe gegen Industriep­rodukte steht im Mittelpunk­t der europäisch­en, US-amerikanis­chen und auch asiatische­n Interessen. Dies umso mehr als ein Großteil der für die Digitalisi­erung der Wirtschaft notwendige­n Metalle aus Afrika kommt und dort vermutet wird. Eine afrikanisc­he Freihandel­szone mit eigener Industrie, bei der die Handelsstr­öme innerhalb des Kontinents verlaufen, erscheint da eher als Gefahr.

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FOTO: PRIVAT Jörg Goldberg ist Redakteur bei »Z. Zeitschrif­t Marxistisc­he Erneuerung«.

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