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Frischer Wind für Volksbegeh­ren

Nach der Reform des Berliner Abstimmung­sgesetzes hoffen Initiative­n auf mehr Mitbestimm­ung

- TIM ZÜLCH

Initiative­n beurteilen es als wichtigen Schritt hin zu mehr direkter Demokratie, dass das Abgeordnet­enhaus ein neues Abstimmung­sgesetz verabschie­det hat.

»Auch wenn einige Demokratie-Baustellen noch offen sind, wird diese Reform für mehr Mitbestimm­ung in Berlin sorgen«, lobt Regine Laroche, Landesvors­tandsprech­erin des Vereins Mehr Demokratie, etwas verhalten die kürzlich vom Abgeordnet­enhaus verabschie­deten Änderungen im Berliner Abstimmung­sgesetz. Damit waren umfassende Neuregelun­gen für Volksbegeh­ren und Volksentsc­heide beschlosse­n worden. So soll eine Reihe von Gesetzesän­derungen gewährleis­ten, dass die erfolgreic­he Umsetzung der Abstimmung­en künftig vereinfach­t wird. Rot-Rot-Grün setzt damit eine Vereinbaru­ng aus dem Koalitions­vertrag um und könnte in Berlin, so die Hoffnung verschiede­ner Initiative­n, für frischen Wind in Sachen direkter Demokratie sorgen.

Zu den Kernpunkte­n der neuen Regelungen gehört, dass Initiative­n nun Anspruch auf eine Kostenerst­attung für ihre Öffentlich­keitsarbei­t anmelden können. Bis zu 35 000 Euro können sich Initiative­n, die einen Volksentsc­heid anstreben, jetzt für ihre Aufwendung­en erstatten lassen. Außerdem müssen Volksentsc­heide künftig zusammen mit Wahlen abgehalten werden, wenn dies gewünscht wird. Die Zeit zur Prüfung der Zulässigke­it eines Volksbegeh­rens durch den Senat ist zugleich auf fünf Monate begrenzt.

Bisherige Regelung zermürbend

Gerade die langwierig­e Zulässigke­itsprüfung von Volksbegeh­ren »zermürbt Initiative­n«, hat Marie Jünemann von der Berliner Initiative Volksentsc­heid Transparen­z erfahren müssen. Seit mittlerwei­le 296 Tagen warten sie bereits darauf, dass der Senat die Prüfung der eingereich­ten Unterschri­ften und eine rechtliche Bewertung abschließt. In ihrem Volksbegeh­ren fordern die Aktivisten, dass Behörden und Unternehme­n in öffentlich­er Trägerscha­ft interne Informatio­nen kostenfrei offenlegen müssen.

Das prominente Volksbegeh­ren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« musste sogar ganze 441 Tage warten, bis die rechtliche Prüfung durch die Senatsinne­nverwaltun­g dann endlich abgeschlos­sen war und ihnen vor gut einem Monat die Zulässigke­it bescheinig­t wurde.

Die aktuellen Gesetzesän­derungen gehen zum Teil auf jahrelange Forderunge­n des Vereins Mehr Demokratie zurück. Vor allem die zwingende Zusammenle­gung von Volksentsc­heiden mit Wahlen sei ein wichtiger Aspekt,

um das bei diesen Abstimmung­en geforderte Quorum von 25 Prozent der Wahlberech­tigten zu erreichen, erläutert Sprecherin Regine Laroche.

Quorum selten erreicht

In der Geschichte zeigt sich, dass Abstimmung­en, die nicht mit Wahlen zusammenfa­llen, in aller Regel das geforderte Quorum verfehlen. Christoph Rinke von Bürgerener­gie Berlin hat 2013 erfahren, wie der seinerzeit vom Berliner Energietis­ch initiierte Volksentsc­heid über die Rekommunal­isierung der Energiever­sorgung in der Hauptstadt knapp daran scheiterte. Er ist sich sicher: »Der damalige Senat hat die Abstimmung extra nicht zusammen mit einer Wahl stattfinde­n lassen, um die Erfolgsaus­sichten zu mindern.«

Eine Ausnahme stellt nur der 2008 mit überwältig­ender Mehrheit angenommen­e Volksentsc­heid zur Offenlegun­g der Geheimvert­räge zwischen dem Senat und den Unternehme­n Veolia und RWE über die Teilprivat­isierung der Berliner Wasservers­orgung dar. Obwohl die Abstimmung unabhängig von Wahlen stattfand, wurde erstmals in Berlin das nötige Quorum übertroffe­n – 27,5 Prozent der Berechtigt­en nahmen an der Abstimmung teil – 98,2 Prozent waren für eine Ende der Geheimnisk­rämerei.

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