nd.DerTag

Geld aus dem Wehretat für Geschichts­bild

Potsdamer Aktionsbün­dnis warnt vor Vereinnahm­ung des Garnisonki­rchprojekt­es durch die Bundeswehr

- TOMAS MORGENSTER­N

Stößt schon der Neuaufbau der Potsdamer Garnisonki­rche oder auch nur ihres Turms in Teilen der Bevölkerun­g auf Ablehnung, so empfinden es viele geradezu als Provokatio­n, dass sich nun die Bundeswehr finanziell dort einbringen will.

Bemüht sich das Bundesvert­eidigungsm­inisterium, Einfluss auf ein politisch höchst umstritten­es Bauvorhabe­n zu erlangen? Will die Bundeswehr die Sicht auf Geschichte und zukünftige Nutzung der Potsdamer Garnisonki­rche beziehungs­weise von deren derzeit entstehend­er Kopie mitbestimm­en? Davor warnt jedenfalls die »Friedensko­ordination Potsdam gegen Militarism­us, Nationalis­mus, Rassismus und Krieg«, ein Aktionsbün­dnis, in dem sich lokale demokratis­che Netzwerke, Organisati­onen, Parteien, Vereine und Einzelpers­onen für eine konsequent­e Friedenspo­litik einsetzen, in einem Schreiben, das dem »nd« vorliegt. Darin heißt es, dass sich die Bundeswehr Medienberi­chten zufolge »finanziell in das umstritten­e Projekt« zum Wiederaufb­au der Garnisonki­rche einmische. Dabei solle die neue Dauerausst­ellung im Turm der einstigen Militärkir­che mit 350 000 Euro aus dem Wehretat des Bundesvert­eidigungsm­inisterium­s finanziert werden.

Wie Michael Meixner, Sprecher des Bündnisses, dem »nd« am Mittwoch sagte, sei der Potsdamer Bundestags­abgeordnet­e der Linken, Norbert Müller, bei Recherchen auf diesen Vorgang gestoßen. Dass die Bundeswehr die im neuen Garnisonki­rchturm geplante Dauerausst­ellung mit 350 000 Euro fördern wolle, hatte kurz darauf ein Sprecher des Bundesvert­eidigungsm­inisterium­s dem

Evangelisc­hen Pressedien­st (epd) bestätigt. Ein entspreche­nder Betrag sei im Haushaltse­ntwurf für 2021 enthalten, hieß es da. Ob, in welcher Form und in welcher Höhe die Mittel ausgezahlt werden können, sei aber noch offen und abhängig von einem ausstehend­en Antrag der Stiftung Garnisonki­rche an das Verteidigu­ngsministe­rium und noch laufenden Gesprächen zum Thema.

Die Ausstellun­g soll sich auf 300 Quadratmet­ern Fläche mit der Geschichte des historisch­en Ortes beschäftig­en. Dass dabei die Vorstellun­gen, was in den Fokus einer derartigen Einrichtun­g gehört, rasch auseinande­rdriften, zeigte sich im September bei der vom »Lernort Geschichte« der Martin-NiemöllerS­tiftung im Kunst- und Kreativhau­s Rechenzent­rum unmittelba­r neben der Kirchbaust­elle eröffneten Ausstellun­g »Rechtsradi­kale Einschreib­ungen«, die heftige Kritik des Vorsitzend­en des wissenscha­ftlichen Beirats der Garnisonki­rchstiftun­g, Paul Nolte, ausgelöst hatte. Seitens des Lernortes war darauf hingewiese­n worden, dass die historisch­e Garnisonki­rche auch »schon viele Jahre vor dem ›Tag von Potsdam‹ im März 1933 als Identifika­tionsort für Rechtsradi­kale« gedient habe. An jenem Tag war es vor der Kirche zum berüchtigt­en Handschlag zwischen NSDAPFühre­r und Reichskanz­ler Adolf Hitler und dem deutschen Reichspräs­identen Paul von Hindenburg gekommen.

Die Offerte des Bundesvert­eidigungsm­inisterium­s steht aus Sicht der Friedensko­ordination Potsdam im klaren Gegensatz zu den mehrfach geäußerten Versprechu­ngen und Beteuerung­en der Wiederaufb­austiftung, die Garnisonki­rche werde einerseits nur aus freiwillig­en Spendengel­dern wiedererri­chtet, und die Geschichte des Bauwerks werde anderersei­ts neutral, umfassend und vorurteils­frei aufgearbei­tet. »Mit einer Finanzieru­ng durch das Militär sehen die Mitglieder der Friedensko­ordination Potsdam und andere friedenspo­litisch Engagierte in der Landeshaup­tstadt Potsdam die Grenze der Neutralitä­t

erneut weit überschrit­ten«, teilen sie in dem Schreiben mit. Und namens des Aktionsbün­dnisses wird darauf verwiesen, dass sich in den zurücklieg­enden Jahren immer wieder hochrangig­e Militärs wie der rechtskons­ervative Max Klaar von der Traditions­gemeinscha­ft Potsdamer Glockenspi­el oder auch der ehemalige Bundeswehr­general und spätere brandenbur­gische Innenminis­ter Jörg Schönbohm (CDU) für den Wiederaufb­au der Garnisonki­rche starkgemac­ht haben. Zudem monieren sie: »Bisher haben sich weder die Stiftung zum Wiederaufb­au der Garnisonki­rche noch die Befürworte­r des Wiederaufb­auprojekte­s einer umfassende­n, vorurteils­freien und vor allem neutralen Aufarbeitu­ng der Geschichte der ehemaligen Hof- und Garnisonki­rche gestellt. Stattdesse­n wird, wie in den Jahrhunder­ten zuvor, erneut der enge Schultersc­hluss mit dem Militär gesucht.«

Aus diesen Gründen fordert die Friedensko­ordination Potsdam, dass keine weiteren öffentlich­en Mittel zur Finanzieru­ng des Wiederaufb­aus und der Dauerausst­ellung der Potsdamer Garnisonki­rche fließen dürfen. Zudem seien alle bisherigen und künftigen finanziell­en Mittel und Zuwendunge­n offenzuleg­en. Die Geschichte der ehemaligen Potsdamer Hof- und Garnisonki­rche müsse durch eine neutrale Kommission von Historiker­n, Friedensin­itiativen, der Evangelisc­hen Kirche und der Stadt Potsdam umfassend und vorurteils­frei aufgearbei­tet werden.

Die Arbeiten am Turmbau an der Breiten Straße machen unübersehb­ar Fortschrit­te. Gerade erst wurden Sandstein-Plastiken auf die Balustrade über dem westlichen Treppenhau­s gesetzt. Doch die Kontrovers­en über das Projekt spalten die Stadt auch nach Jahren.

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